
In Bochum hat die Polizei einem zwölfjährigen Mädchen in den Bauch geschossen. Es wurde dadurch lebensgefährlich verletzt. Das Kind ist offenbar gehörlos und war aus einer Wohngruppe verschwunden. Nach Aussage der Polizei ging das Mädchen mit zwei Messern auf die Polizisten los.
Von Maya Graef, Maximilian Werner
Bei einem Einsatz der Bochumer Polizei in der Nacht haben Beamte auf ein zwölfjähriges Mädchen geschossen. Es soll ein einzelner Schuss gefallen sein, der sie im Bauch getroffen hat. Das Kind liegt auf der Intensivstation und wurde notopertiert. Laut Polizei habe das Mädchen die Operation gut überstanden.
Der Zustand des Mädchens sei kritisch, aber stabil. Wegen ihres gesundheitlichen Zustands wurde die 12-Jährige bislang nicht befragt. Ermittlungen gegen sie gebe es nicht, da sie noch nicht strafmündig ist, sagte ein Polizeisprecher.
Mädchen war als vermisst gemeldet
Das Mädchen ist gehörlos, auf lebenswichtige Medikamente angewiesen und wohnt nicht bei seinen Eltern, sondern in einer Wohngruppe in Münster. Weil es dort den ganzen Tag nicht gesehen worden war, meldeten die Betreuer das Kind bei der Polizei als vermisst. Die Polizei hat mitten in der Nacht nach dem Mädchen gesucht, weil sie seit mehreren Stunden ihre lebenswichtigen Medikamente nicht genommen habe.
Vor der Wohnungstür der Mutter
Gesucht wurde auch am Wohnort der Mutter. In deren Wohnung trafen die Beamten auf die Zwölfjährige, die laut Polizeibericht „mit zwei Messern in der Hand auf die Polizisten zuging“. Das Mädchen durfte sich eigentlich nicht bei der Mutter aufhalten. Der Mutter soll das Sorgerecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Mädchen entzogen worden sein.
Gehörlose Mutter öffnete Wohnungstür
Die Polizisten sollen vor der Wohnungstür Geräusche aus der Wohnung vernommen haben. Erst nach einer Stunde, gegen 01:30 Uhr am Morgen, habe die gehörlose Mutter die Tür geöffnet. Wie die Mutter auf die Polizisten im Treppenhaus aufmerksam wurde, ist derzeit noch nicht bekannt. Im Hintergrund waren das Mädchen und ein junger Mann zu sehen, bei dem es sich um ihren Bruder handelte.
Laut der Polizei Essen soll die Mutter den Bochumer Polizisten den Zutritt zur Wohnung versperrt haben. Um zu dem Mädchen zu gelangen, zogen die Einsatzkräfte die Mutter in den Hausflur und fixierten sie mit Handschellen. Als die Beamten dann in die Wohnung gelangen, soll die 12-Jährige mit zwei großen Küchenmessern aus der Küche gekommen sein und die Polizisten angegriffen haben.
Polizei setzte Taser gegen die 12-Jährige ein
Um einen Angriff mit dem Messer abzuwehren, setzte einer der Bochumer Polizisten einen Taser ein. Gleichzeitig hat ein anderer Polizist auf das Mädchen geschossen, heißt es von der Polizei Essen. Der Schuss traf sie im Bauch. Die Handlungskonzepte der Polizei NRW sehen vor, dass beim Angriff mit Messer eine Schusswaffe einzusetzen sei.
Kein Polizist schießt gerne auf Menschen. Kein Polizist schießt gerne auf Mädchen. Es hat sich um eine Notsituation gehandelt und da mussten die Kollegen in Sekunden eine Entscheidung treffen.
Sprecher der Polizei Essen
Ein Gebärdendolmetscher sei bei dem Einsatz nicht dabei gewesen. Aber die Polizei sagt, dass eine Kommunikation mit Gehörlosen gut möglich sei – durch Apps, mit Zettel und Stift oder Händen und Füßen. Einen Gebärdendolmetscher anzufordern, hätte zu lange gedauert. Aus Neutralitätsgründen hat die Essener Mordkommission die Ermittlungen übernommen.
GdP: „Messer sind die am schwierigsten abzuwehrende Waffe“
Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, GdP, in NRW Patrick Schlüter sieht Messer als die am schwierigsten abzuwehrende Waffe. „Man kann Messer nicht im Nahkampf abwehren“, so Schlüter gegenüber dem WDR.
Da die Polizei keine stichschutzhemmende Uniform trage, gebe es laut Schlüter keine andere Möglichkeit, als den Einsatz einer Schusswaffe anzudrohen. Und eine Wohnung gebe den Einsatzkräften keine Möglichkeit, eine Entfernung zu der angreifenden Person zu behalten.
Polizeiwissenschaftler: Schüsse auf Kinder laut Polizeigesetz verboten
Der Polizeiwissenschaftler Prof. Dr. Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg weist darauf hin, dass Notwehr gegenüber Kindern an andere Voraussetzungen gebunden sei, als Notwehr gegenüber ebenbürtigen Erwachsenen. Auf Kinder dürfe nach dem Polizeigesetz nicht geschossen werden.
Inwiefern andere Maßnahmen möglich gewesen wären, gehe laut Behr aus der aktuellen Polizeimeldung noch nicht hervor. Das müsse nun untersucht werden. Der Journalist und Autor Mohamed Amjahid beschäftigt sich in seinen Büchern mit Polizeigewalt. Sozio-psychiatrische Dienste hätten ihm gesagt, dass die Polizei dazu tendiere, auf die Begleitung durch Jugendamt oder Sozialarbiter zu verzichten, weil das weniger effizient sei.
Unser Quellen:
- Polizei Essen
- Agentur dpa
- Patrick Schlüter, Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, GdP
- Prof. Dr. Rafael Behr, Polizeiwissenschaftler Akademie der Polizei Hamburg
- WAZ Zeitung
- Interview mit Mohamed Amjahid