Monitore mit Umlaufbahnen von Satelliten sind im Weltraumkommando der Bundeswehr am Niederrhein zu sehen.

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Stand: 18.11.2025 18:00 Uhr

Es gibt weitaus mehr militärische Störversuche im Weltall durch Russland und China als bislang bekannt. Das zeigen Recherchen von WDR, NDR und SZ. Die Bundeswehr bestätigt eine Zunahme solcher Aktionen.  

Von Manuel Bewarder, Florian Flade und Palina Milling, WDR/NDR

Das militärische Katz-und-Maus-Spiel läuft zum Beispiel so: Ein russischer Satellit verändert plötzlich seine Umlaufbahn. Er steuert eine Position an, von der er schon bald einen besseren Blick hat – und zwar auf eine Bundeswehr-Liegenschaft in Deutschland, in der ukrainische Soldaten ausgebildet werden.

So jedenfalls schildert man es in Sicherheitskreisen. Demnach ist solch ein Vorfall für das deutsche Weltraumlagezentrum seit dem Start des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nichts Außergewöhnliches mehr.

Die Reaktion der Einheit im nordrhein-westfälische Uedem folgt dann prompt: Die Gefahr wird weitergemeldet. Vor Ort wird das Training der Ukrainer zum Beispiel kurzfristig in eine Halle verlegt und so vor den Blicken aus dem All geschützt.

Weltraumstrategie soll vorgestellt werden

Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung zeigen, dass es weit mehr Störversuche durch Russland und China gibt als bisher bekannt. Die konkreten Vorfälle verdeutlichen, warum Deutschland an diesem Mittwoch erstmals eine eigene Weltraumsicherheitsstrategie vorlegen will.

Denn was im All passiert, kann massive Folgen für das Leben auf der Erde haben. Mehr als 10.000 vor allem zivile Satelliten kreisen mittlerweile um die Erde. Wenn wichtige Systeme ausfallen, dann hat das umgehend Konsequenzen: für Navigation, Banküberweisungen oder Wettervorhersagen. Und vor allem für militärische Konflikte, wie die ersten Stunden nach dem Angriff auf die Ukraine zeigten: Just da führte ein mutmaßlich durch Russland ausgeführter Cyberangriff auf einen Kommunikationssatelliten dazu, dass die Kommunikation ukrainischer Armee- und Sicherheitsbehörden gestört wurde.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gab vor Kurzem einen seltenen öffentlichen Einblick in die Bedrohungslage im Weltraum: Er berichtete beim Weltraumkongress des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, dass gerade zwei auch von der Bundeswehr mitgenutzte Satelliten durch zwei russische Aufklärungssatelliten verfolgt würden. Er warnte, Russland und China hätten ihre Fähigkeiten zur Kriegsführung im Weltraum in den vergangenen Jahren „rasant ausgebaut“.

Zahlreiche weitere Zwischenfälle

Den neuen Recherchen zufolge gab es in den vergangenen Monaten zahlreiche weitere Zwischenfälle im All: Wie die französische Firma Aldoria, die Satelliten überwacht, auf Anfrage erklärte, kam es seit April 2023 wiederholt zu auffälligen Annäherungen von bis zu 140 Kilometern auf Bundeswehr-Satelliten, eine ungewöhnliche Entfernung, die Experten zufolge ausreicht, um Signale abzufangen, die durch einen Satelliten übertragen werden. 

Bei einem weiteren Vorfall soll Russland in diesem Frühsommer einen Bundeswehr-Satelliten durch einen Angriff von einer Bodenstation aus gestört haben. Durch dieses sogenannte Jamming der Signale sei es zu einem mehrstündigen Kommunikationsausfall des deutschen Satelliten gekommen.

Die Bundeswehr bestätige auf Anfrage allgemein, dass Störversuche gegen Satelliteninfrastrukturen am Boden und im Orbit zunehmen. Verschiedene Akteure setzten Störversuche gezielt ein. Generalmajor Michael Traut, Kommandeur des Weltraumkommandos der Bundeswehr, sagte im Interview mit WDR, NDR und SZ: „Wir sind bedroht. Russland hat Fähigkeiten, uns tatsächlich im Weltraum zu bedrohen und maßgeblich zu stören.“

Auch China verfolgt deutsche Satelliten

Wie die neuen Informationen außerdem zeigen, verfolgt neben Russland auch China deutsche Satelliten. So soll sich beispielsweise Ende Juli ein chinesischer Satellit einem Bundeswehr-Satelliten auf bis zu 120 Kilometer genähert haben. Die Bundeswehr erklärte dazu, dass man sich nicht zu konkreten Handlungen anderer Nationen äußere. Grundsätzlich verfüge China über ein „sehr ehrgeiziges Weltraumprogramm“ und habe „wiederholt Fähigkeiten im Orbit demonstriert.“ 

Die chinesische Botschaft in Berlin verweist auf eine früheres Statement, wonach man „stets für die friedliche Nutzung des Weltraums“ eingetreten sei. China lehne es „entschieden ab, dass Deutschland den Hype der Bedrohung durch andere Länder als Vorwand für den Ausbau seiner eigenen militärischen Fähigkeiten nutze“.

Es sind dann auch vor allem Russland und China, die in der neuen Weltraumsicherheitsstrategie der Bundesregierung wiederholt als mögliche Bedrohung genannt werden. „Russland stellte in den letzten Jahren mehrfach Weltraumkriegsfähigkeiten unter Beweis“, heißt es in dem Entwurf, der WDR, NDR und SZ vorliegt. China wiederum entwickle und erprobe kontinuierlich Fähigkeiten zur „Zerstörung von Satelliten durch bodengestützte Waffensysteme sowie durch Satelliten“.

35 Milliarden Euro für Weltraumprojekte

Die erste deutsche Weltraumsicherheitsstrategie war bereits von der Vorgängerregierung auf den Weg gebracht worden. Nach dem vorzeitigen Aus der Regierung ist der Entwurf jetzt noch einmal überarbeitet und finalisiert worden. Bis 2035 sollen 35 Milliarden Euro in Weltraumprojekte fließen. Falls sich andere Mächte nicht für eine „nachhaltige Ordnung“ im All einsetzten, solle Deutschland auch eine „Abschreckung aufbauen“ und auf Angriffe im Weltraum reagieren können. 

International wurden zuletzt gleich mehrere Warnungen laut: Der Leiter des britischen Weltraumkommandos berichtete, dass Russland im Grunde wöchentlich versuche, britische Militäraktivitäten zu stören: „Wir sehen, dass unsere Satelliten von Russland relativ regelmäßig gestört werden“, sagte er der BBC. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wiederum sagte vor wenigen Tagen, der Weltraum sei „zu einem Schlachtfeld“ geworden.

Bereits im April hatte NATO-Generalsekretär Mark Rutte davor gewarnt, dass Russland künftig auch Krieg im Weltraum führen und dabei Atomwaffen gegen Satelliten einsetzen könnte. Der Hintergrund: Moskau soll bereits seit mehreren Jahren an einer nuklearen Anti-Satelliten-Waffe arbeiten. Sicherheitskreisen zufolge sollen Russlands Fähigkeiten im All zwar zum Teil veraltet sein. Sorgen bereite aber dessen in den vergangenen Jahren etwa in der Ukraine demonstrierte Bereitschaft zur militärischen Eskalation. Man vermutet, dass Russland gezielt eine Strategie entwickelt, um den Weltraum als erweiterte Kriegszone nutzbar zu machen.

China wiederum gilt nicht nur als Verbündeter Russlands in vielerlei Hinsicht. Es gilt auch nach den USA als Technologieführer im Weltraum. Für Aufsehen hatte gesorgt, als es China vor einigen Jahren gelungen war, sich mit einem Satelliten einem anderen zu nähern und diesen schließlich aus seiner Umlaufbahn zu schubsen. Weder China noch Russland reagierten zunächst auf schriftliche Anfragen.

Mit mehr als 200 eigenen Militärsatelliten können die USA den rund 100 russischen und rund 150 chinesischen Militärsatelliten etwas entgegensetzen. Deutschland bringt es derzeit nur auf eine Handvoll, die EU auf insgesamt etwas mehr als 30 Militärsatelliten. Hier aufzuholen – auch das ist ein Ziel der neuen Weltraumstrategie.