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Ungarns Regierungschef Orbán erschwert mit seinen Blockaden immer wieder EU-Beschlüsse. Ein Verfahren könnte ihm zum Verhängnis werden.
Brüssel – Immer wieder droht der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán mit Blockaden bei gemeinsamen EU-Entscheidungen. EU-Abgeordnete und -Mitgliedsländer sehen deshalb die Sicherheit aller gefährdet. Es kursiert bereits die Forderung, dass die Europäische Union das Stimmrecht von Ungarn aussetzen soll.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán nutzt das Einstimmigkeitsprinzip häufig für eigene Interessen. © Philipp von Ditfurth/dpa
„Diese Blockaden sind häufig von nationalen innenpolitischen Kalkülen geprägt“, sagte der EU-Parlamentarier David McAllister (CDU) der Frankfurter Rundschau von Ippen.Media. Dass Ungarn das Prinzip der Einstimmigkeit für seine Zwecke instrumentalisiere, sei inakzeptabel, meint der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten.
Orbáns Ungarn könnte Stimmrecht wegen Verstößen gegen EU-Grundwerte verlieren
McAllister spricht sich für einen Mechanismus aus, mit dem die Mitglieder unter bestimmten Bedingungen mit qualifizierten Mehrheiten entscheiden können. Er beruft sich auf Artikel 31 Absatz 3 EUV des EU-Vertrags. Der besagt, dass der Europäische Rat in bestimmten Fällen mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann. Das gilt aber unter anderem für Beschlüsse mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen nicht.
EU-Abgeordnete wie Terry Reintke wollen Ungarn nicht nur mit qualifizierten Mehrheitsentscheidungen überstimmen, sondern dem osteuropäischen Land das Stimmrecht entziehen. Dafür verweisen sie auf einen anderen Artikel des EU-Vertrags: „Ungarn ist de facto keine funktionierende Demokratie mehr und mit Artikel 7 könnten wir den Stimmrechtsentzug begründen“, argumentierte die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament gegenüber unserer Redaktion.
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Unter dem sogenannten Artikel-7-Verfahren kann Mitgliedsstaaten, die die EU-Werte schwerwiegend und anhaltend verletzen, das Stimmrecht im Rat entzogen werden. Das EU-Parlament hatte ein Verfahren bereits 2018 eingeleitet. Allerdings blockiert der Rat das Verfahren, das einstimmig – von den übrigen 26 EU-Mitgliedsstaaten ohne Ungarn – entschieden werden muss.
Ungarns Stimmrechtsentzug gilt in der EU als unwahrscheinlich
Bis 2023 stand Polen unter der rechtspopulistischen PiS-Partei an Ungarns Seite. Das hat sich mit der Regierungsübernahme von Donald Tusk von seiner konservativen Partei Platforma Obywatelska (PO) geändert. Dafür hat Orbán mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico einen neuen Verbündeten gefunden. Aber: Selbst wenn Orbán keinen direkten Verbündeten in den EU-Mitgliedsländern besäße, gälte ein einstimmiger Stimmrechtsentzug Ungarns als unwahrscheinlich.
Der EU-Abgeordnete Daniel Freund (Grüne) gehört zu den bekanntesten Kritikern des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. © Denis Lomme/Europäisches Parlament
Niemand in der EU wolle sich die Blöße geben, sollte eine offizielle Abstimmung über einen ungarischen Stimmrechtsentzug scheitern, heißt es in EU-Kreisen. Viele hofften, dass das Artikel-7-Verfahren das angeklagte Land selbst zu weniger Blockaden diszipliniert. Auch der EU-Abgeordnete Daniel Freund sieht in der notwendigen Einstimmigkeit eine „hohe Hürde“, wie er der Frankfurter Rundschau sagt.
Bekannter Orbán-Kritiker Freund fordert anderes Instrument gegen Ungarn
Laut dem bekannten Orbán-Kritiker wurde in der Vergangenheit hinter verschlossenen Türen einmal sehr ernsthaft über den ungarischen Stimmrechtsentzug diskutiert: rund um den Sondergipfel im Januar 2024, als die Europäische Union der Ukraine Finanzhilfen in Höhe von 50 Milliarden Euro zusicherte und Orbán sein Vetorecht nutzte. Am Ende stimmten alle Mitglieder dem Finanzpaket zu.
Aufgrund der Schwierigkeiten beim Stimmrechtsentzug spricht sich Freund für ein anderes Instrument aus: „Orbán versteht die Sprache des Geldes. Deshalb sollte die EU alle Gelder, die für Ungarn bestimmt sind, zurückhalten“, sagte der Grünen-Politiker. Nach seinen Angaben sind zurzeit 18 Milliarden Euro eingefroren – unter anderem, weil die ungarische Regierung LGBTQ-Rechte nicht respektiere, das Asylrecht missachte und weil Orbán die staatliche Korruptionsbekämpfung in seinem Land größtenteils zerstört habe. (Quellen: Daniel Freund, EU-Vertrag, eigene Recherche/Jan-Frederik Wendt)