„Berlin autofrei“ würde das Leben in der Stadt in heute schwer vorstellbaren Umfang verändern. In diesem Punkt waren sich die Initiative dieses Namens, der Berliner Senat und das Gericht am Mittwoch einig. Vier Stunden verhandelte der Berliner Verfassungsgerichtshof über den von der Initiative vorgelegten Gesetzesentwurf. Ziel ist ein Volksbegehren, das den motorisierten Individualverkehr innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings weitestgehend verbieten will.

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Der Gesetzentwurf sieht dazu einen neuen Typ „Autoreduzierte Straße“ für den größten Teil der Innenstadt vor. Fahren und Parken soll nach einer Übergangszeit von vier Jahren nur noch eingeschränkt zulässig sein. Privatpersonen bekommen ein Kontingent von Fahrten an zwölf Tagen pro Jahr. Sonderregelungen soll es unter anderem für Müllabfuhr, Polizei und Unternehmer geben.

Die Aktivisten hatten im August 2021 die Einleitung eines Volksbegehrens beantragt und hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die zuständige Innenverwaltung hält den Entwurf nicht „mit höherrangigem Recht vereinbar“ und hat ihn deshalb dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt.

Der Senat argumentierte am Mittwoch vor Gericht, dass ein neuer Typ Straße doch Bundesrecht sei. Dem folgten die Richter nicht. Wer soll außer dem Land denn sonst über eine Landesstraße entscheiden, fragte eine Richterin. Der neue Typ Straße liegt zwischen Fußgängerzone und normaler Straße. Autobahnen und Bundesstraßen wären nicht von einem künftigen Autofrei erfasst.

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Senat fürchtet „bundesweite Auswirkungen“

Aus Sicht des Senats hätte das Gesetz bundesweite Auswirkungen auf die Mobilität. „Darf ein Bayer noch mit dem Auto nach Berlin hineinfahren?“, fragte ein Jurist der Innenverwaltung. Philipp Schulte, Anwalt der Initiative, antwortete, dass sich der Bayer ja ein Tagesticket für die Fahrt ziehen könne. Und überhaupt: „Es fährt auch niemand mit dem Auto nach Amsterdam.“

Die Initiative will die nach dem Zweiten Weltkrieg begonnene Entwicklung zur autogerechten Stadt offensiv umdrehen. „Das ist nicht von Gott gegeben“, sagte Schulte.

Der Senat hält die nur zwölf Fahrten pro Jahr für viel zu wenig, die Ausnahmen für Handwerker für viel zu kompliziert. Wer einen Angehörigen zum Arzt fahren muss, benötige ein Auto, glaubt die Innenverwaltung. Eine Richterin stellte die Frage, ob es tatsächlich einen Anspruch darauf gibt, jederzeit ein Auto benützen zu dürfen. Sie erinnerte daran, dass nur eine Minderheit der Berliner ein Auto habe.

Im zweiten Themenkomplex ging es um die Grundrechte. Ludgera Selting, die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, sagte, dass der Gesetzentwurf weitreichende Konsequenzen für viele Berufsgruppen habe. Autowerkstätten oder große Märkte würden einen großen Teil ihrer Kundschaft verlieren.

„Im Prozess wurde deutlich, dass dem Senat die politische und juristische Weitsicht fehlt für eine zeitgemäße Verkehrspolitik“, bilanzierte die Sprecherin des Verkehrsentscheids, Marie Wagner, nach dem ersten Verhandlungstag. Der Senat beharre auf dem autozentrierten Status quo. „Alles andere sieht er als unverhältnismäßig an.“ Dr. Philipp Schulte, der Rechtsanwalt der Initiative, äußerte sich vorsichtig optimistisch: „Es ist durchaus deutlich geworden, dass das Verfassungsgericht keinesfalls von einem geschützen Recht auf Autofahren überzeugt ist. Es ist die Aufgabe demokratischer Gesetzgebung, über die Nutzung und Neuaufteilung des öffentlichen Raums zu entscheiden.

Das Verfassungsgericht will in den kommenden Wochen über die Rechtmäßigkeit beraten, es hat maximal drei Monate dafür Zeit. Anschließend wird das Urteil verkündet.

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Sollte „Berlin autofrei“ gegen das Grundgesetz verstoßen, wäre die Gesetzesinitiative beendet. Wenn nicht, könnten die Initiatoren die für ein Volksbegehren notwendigen Unterschriften sammeln. In einer zweiten Stufe müssten die Berliner dann im Rahmen eines Volksentscheides darüber abstimmen. In welche Richtung das Gericht tendiert, blieb offen.