»Wir besetzen gewaltfrei das AStA-Plenarium an der TU Berlin«, kündigte eine Gruppe namens »Besetzung gegen Antisemitismus« am Montag vergangener Woche auf Instagram an. Vier Tage und drei Nächte besetzten jüdische und antisemitismuskritische Studierende der TU Berlin daraufhin den Plenarsaal des AStA. »Wir haben gezeigt, dass es möglich und wichtig ist, einen Raum für jüdische und israelische Studierende zu schaffen«, hieß es dann am Freitag zum Ende der Besetzung in einem weiteren Post.
Die Technische Universität Berlin ist den Besetzer:innen zufolge kein sicherer Ort mehr für Jüdinnen und Juden. »Es war uns wichtig, an der Uni einen Safe Space für jene zu schaffen, die sich nicht mehr wohlfühlen können«, begründete eine der Besetzer:innen im Gespräch mit der Jungle World die Aktion.
Viele jüdische Studierende seien vorbeigekommen, »die froh waren, dass so ein Raum geschaffen wurde«. Der besetzte Plenarsaal erinnerte an eine Mischung aus Autonomem Zentrum und Wohnzimmer: An den Wänden und Whiteboards hingen LGBT-Flaggen mit Davidsternen; auf Tischen waren unzählige Sticker und antisemitismuskritische Broschüren verteilt; in der Mitte war ein Tisch mit Getränken und Snacks aufgebaut, Unterstützer:innen brachten Essen vorbei.
Am dritten Tag der Besetzung rissen zwei Männer ein Transparent mit Davidstern ab.
Draußen am Fenster des Saals hingen zwei Transparente mit der Aufschrift »davidstern statt hamasdreieck« und »we fight antisemitism – asta does not«. In der ersten Nacht versuchten Unbekannte, eines der Transparente abzureißen. In der zweiten Nacht gab es einen Farbanschlag. Am dritten Tag rissen zwei Männer das Transparent mit dem Davidstern ab. Im Zeichen des Davidsterns seien sehr viele Menschen ermordet worden, behaupteten sie. Am vierten Tag hielten sich laut den Besetzer:innen fünf Personen, teilweise mit Kufiya bekleidet, für zwei Stunden vor dem Plenarsaal auf; anschließend sah man an den Wänden Schmierereien wie »Glory to Hamas« und »Death to Israhell«.
Der Tag der Besetzung war mit Bedacht gewählt. Am Montag vergangener Woche hätte im Plenarsaal die konstituierende Sitzung des AStA stattfinden sollen, in welchen den Besetzer:innen zufolge Vertreter:innen antizionistischer und autoritärer Gruppen gewählt worden waren. Die Sorgen jüdischer Student:innen wegen des grassierenden Antisemitismus auf dem Campus sollen von einigen belacht worden sein – unter anderem von einer Person, die später in den AStA gewählt worden sei. Die Besetzung war eine Reaktion darauf.
Streit um Ramsis Kilani und Uffa Jensen
Die Besetzer:innen kritisierten, dass Personen aus Gruppen wie dem SDS (dem Studierendenverband der Linkspartei), der »Solidarischen Liste – Free Palestine!« und »Not in Our Name« TU in den AStA gewählt worden seien. Anfang Oktober hatte der SDS-Verband in Berlin zu einer Kundgebung gegen den Ausschluss von Ramsis Kilani aus der Linkspartei aufgerufen. Diese hatte Kilani vergangenes Jahr aufgrund Hamas-verherrlichender Aussagen ausgeschlossen.
Die Gruppe Not in Our Name TU bezichtigt Israel des Völkermords und war Ende Oktober an einer Kampagne gegen die jüdisch-kurdische Frauenallianz Pek Koach beteiligt, wobei sie die Frauengruppe als »islamfeindlich« diffamierte. Pek Koach bringt die Sichtweisen von Islamismus Betroffener zum Ausdruck.
Die Besetzer forderten auch eine Neubesetzung der Stelle des Antisemitismusbeauftragten der TU Berlin. Derzeit wird das Amt durch den Historiker Uffa Jensen bekleidet, dessen Benennung bereits der Zentralrat der Juden als »eine große Enttäuschung« kritisierte. »Jensen hat in der Vergangenheit nicht bewiesen, dass er die Situation von Jüdinnen und Juden versteht, er ist ein Gegner der IHRA-Definition für Antisemitismus«, hieß es dazu im Mai vergangenen Jahres in einer Stellungnahme des Zentralrats. Jensen unterstützt die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus (JDA), die als Gegenentwurf zur gängigen IHRA-Definition entwickelt wurde.
Delegitimation der Betroffenenperspektive von jüdischen Stimmen
Bei der JDA geht es weniger um die Präzisierung der Antisemitismusdefinition als vielmehr darum, sogenannte Israelkritik vor dem Vorwurf des Antisemitismus zu schützen. »Die Stelle darf nicht mit jemandem besetzt werden, der sich eher damit beschäftigt, wie man sich am besten nicht mit Antisemitismus auseinandersetzen muss«, sagte die hier bereits zitierte Besetzerin dazu.
Zu Beginn der Besetzung suchten zwei AStA-Repräsentanten das Gespräch. »Es hat sich schnell gezeigt, dass die Grundlage für ein Gespräch nicht da war«, berichtete die Besetzerin. »Die haben nicht anerkannt, dass der 7. Oktober eine antisemitische Terrorattacke war. ›Terroristisch‹ lehnten sie als rassistischen Begriff ab. Es war eine Delegitimation der Betroffenenperspektive von jüdischen Stimmen, wie auch schon zuvor im Studierendenparlament.«
Die Jungle World wollte daraufhin wissen, wie der AStA den 7. Oktober 2023 einordne, wurde aber lediglich auf eine Erklärung zur Besetzung verwiesen. Darüber hinaus wolle der AStA sich derzeit nicht äußern, da man mehr Zeit brauche, sich intern abzustimmen, so das Öffentlichkeitsreferat.
»Klare Haltung gegen den Genozid nicht antisemitisch«
»Es ist besorgniserregend, dass der notwendige Schutz jüdischer Studierender vor Antisemitismus zunehmend als Vorwand genutzt wird, um demokratische Strukturen anzugreifen und emanzipatorische Politik zu delegitimieren«, heißt es in der Erklärung. »Kritik an der israelischen Regierungspolitik, Solidarität mit dem Selbstbestimmungsrecht der Palästinenserinnen und eine klare Haltung gegen den Genozid sind nicht antisemitisch.«
Die Folge einer solchen »Instrumentalisierung« des Antisemitismusbegriffs schwäche »den ernsthaften Kampf gegen Antisemitismus«. Inwiefern der AStA sich für den Schutz jüdischen Lebens und gegen Antisemitismus einsetzt, bleibt fraglich, wenn jüdische Student:innen sich aus der Not heraus gezwungen sehen, einen Plenarsaal besetzen.
Zur selben Zeit, als an der TU die Besetzung stattfand, hat das Studierendenparlament der Humboldt-Universität zu Berlin einen Beschluss von 2018 aufgehoben, der die Zusammenarbeit mit und jedwede Unterstützung von Gruppen, die der antisemitischen BDS-Bewegung nahestehen, ausgeschlossen hatte. Den Aufhebungsantrag hatte die Linke Liste eingebracht. Von rund 40 Anwesenden hätten lediglich vier dagegen gestimmt, berichtete ein Student dem Tagesspiegel. Vier weitere hätten sich enthalten.