Am 20. November 1975 starb der langjährige Machthaber Spaniens Francisco Franco. Juan Carlos wurde als König sein Nachfolger als Staatsoberhaupt. Er setzte auf nationale Einheit und Verdrängung – mit Folgen bis heute.

Geschickte (Außen-)Politik ist höflich und zugleich deutlich, ohne sich angreifbar zu machen. Diese Kunst der Diplomatie ist in Deutschland während der vergangenen drei Jahrzehnte in Vergessenheit geraten, ersetzt worden durch moralisierende Eindeutigkeit. Und das ganz unabhängig von der Parteizugehörigkeit der jeweiligen Minister: Ob grün, ob SPD, ob CDU – wer versteht noch das feine Spiel der Andeutungen?

Wie es besser geht, zeigte die sozialliberale Bundesregierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt am 20. November 1975. An diesem Donnerstagmorgen gegen 4.40 Uhr hatten Ärzte offiziell den Tod des spanischen Staatschefs Francisco Franco festgestellt. Kurz vor dem 83. Geburtstag starb der vergreiste General, der letzte führende Politiker, der noch mit Adolf Hitler persönlich verhandelt hatte. Zugleich war er der letzte im weiteren Sinne faschistische Diktator in Europa.

Obwohl also der politische Kontrast zwischen der SPD-FDP-Regierung in Bonn und Spanien kaum größer denkbar war, reagierte die Bundesrepublik geschickt: An öffentlichen Gebäuden sollte halbmast geflaggt werden. Gleichzeitig sprach das Auswärtige Amt dem spanischen Volk ziemlich hintergründig gute Wünsche für die Zukunft aus: „Mit dem Ableben des spanischen Staatschefs ist eine Epoche in der Geschichte dieses Landes zu Ende gegangen. Die Bundesregierung gibt in diesem Augenblick ihrer Zuversicht Ausdruck, dass es der befreundeten spanischen Nation gelingen wird, den Übergang in eine neue Phase ihrer politischen und gesellschaftlichen Entwicklung ohne Erschütterungen zu finden und ihren Platz an der Seite der demokratischen Staaten Europas einzunehmen.“

Schon 1975 gab es allerdings Politiker, denen solche diplomatischen Zwischentöne zu kompliziert waren. Etwa den Vorsitzenden der IG Metall, Eugen Loderer. Er protestierte in einem Brief an Helmut Schmidt gegen die Trauerbeflaggung. In den von SPD-Linken dominierten Bundesländern Hamburg, Bremen, Niedersachsen und West-Berlin wurde auf eine Trauerbeflaggung der Landesgebäude verzichtet, anders als in Nordrhein-Westfalen und Hessen.

In seiner zum 50. Todestag erschienenen Biografie „Franco. Der ewige Faschist“ (C. H. Beck München. 366 S., 28 Euro) schreibt der Historiker Till Kössler über Spaniens langjährigen Machthaber: „Franco entschwindet nur langsam aus dem Gedächtnis und den erinnerungspolitischen Deutungskämpfen Spaniens und Europas.“ Beispielsweise kam es 2019 zu heftigem öffentlichem Streit, als seine sterblichen Überreste aus der pompösen Grablege vor dem Altar der in einen Felsen geschlagenen riesigen Basilika Valle de los Caidos nordwestlich von Madrid ins Familiengrab am Rande der spanischen Hauptstadt umgebettet wurden.

Die Auseinandersetzung mit Franco ist aus mehreren Gründen spannend. Zuerst natürlich als Exempel für die Folgen eines „Schlussstrichs“. Nach dem Tod des Diktators bestieg der Bourbonen-Prinz Juan Carlos nach 44-jähriger Vakanz den Thron und wurde damit Francos Nachfolger als Staatsoberhaupt. Juan Carlos stieß einen langsamen Übergang („Transición“) zu einer demokratischen Gesellschaft mit parlamentarischem Regierungssystem an – aber um den Preis, auf die Aufarbeitung von Bürgerkrieg und anschließender Diktatur vorerst zu verzichten.

Stattdessen beschwor der König die nationale Einheit: „Die Institution, die ich verkörpere, verbindet alle Spanier miteinander, und heute, in dieser bedeutenden Stunde, wende ich mich an Euch, weil es unser aller Pflicht ist, Spanien zu dienen. Mögen alle großzügig und weitsichtig verstehen, dass unsere Zukunft auf der wirklichen nationalen Einheit gründen wird.“

Doch wie jeder andere Schlussstrich in demokratischen Gesellschaften erwies sich auch dieser als falsches Konzept. Denn die Verbrechen des Franco-Regimes rumorten in vielen Familien weiter, ebenso wie die Untaten seiner Gegner, der Anarchisten und Sozialisten. Immer wieder belasten daher Eruptionen von Vergangenheit die spanische Politik.

„Ein Zeichen für diesen Kampf um die Erinnerung“ nennt Kössler die erstaunliche Tatsache, dass es auch 2025 „kein staatliches Museum zur Geschichte der Franco-Zeit oder des Spanischen Bürgerkriegs gibt“. Der ohnehin eher kleine Nachlass des Diktators befindet sich weiter im Besitz einer privaten, eng mit den Nachfahren verwobenen Stiftung, die sich bemüht, den Diktator positiv in Erinnerung zu bringen, erinnert der Professor der Universität Halle-Wittenberg: „Im Frühjahr 2025 publizierte sie etwa auf ihrer Internetseite Ausschnitte einer älteren Broschüre mit dem Titel ,Sieben Dinge, die Franco gut gemacht hat‘.“

Der spätere Diktator war am 4. Dezember 1892 in die Familie eines spanischen Marineoffiziers geboren worden und strebte ebenfalls eine Karriere im Militär an. Nach einem Gefecht mit Aufständischen in Nordafrika galt er als Kriegsheld. In den frühen 1930er-Jahren schwankte er zwischen Monarchisten und Vernunftrepublikanern, die den König zu opfern bereit waren, um so viel wie möglich hergebrachte Traditionen zu bewahren. Gegen die spanischen Linksextremen jedoch war er stets.

Seit 1934 war Franco Oberkommandierender der spanischen Armee. Zur selben Zeit stieg die faschistische Falange von einer Splitterpartei zur ernst zu nehmenden Kraft auf. Als im Februar 1936 linke Kräfte die Parlamentswahlen knapp gewannen, begannen Franco und weitere Generäle den Aufstand. Es folgte ein zweieinhalbjähriger, sehr grausamer Konflikt, der erste große Stellvertreterkrieg der Zeitgeschichte.

Die Volksfront, unterstützt von Stalins Sowjetunion, verübte zahlreiche Verbrechen an Gegnern und an Kirchenvertretern, sogar an Nonnen. Die vom faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland unterstützten Franco-Truppen waren allerdings keinen Deut besser: Sie massakrierten massenhaft echte oder angebliche Linke, die oft in Gruben am Rand von Friedhöfen oder sogar direkt außerhalb der Friedhofsmauern verscharrt wurden.

Im März 1939 endete der Bürgerkrieg mit der Niederlage der Republikaner; nun war Francisco Franco der unumstrittene Herrscher. Insgesamt waren rund eine halbe Million Spanier direkt oder indirekt im Bürgerkrieg gestorben. Zwar stützte sich Franco fortan auf die Faschisten, integrierte sie aber in eine größere Bewegung, die zunächst den Namen Falange behielt. Wichtiger als die Parteizugehörigkeit waren jedoch in der Politik Spaniens fortan die „persönlichen Kontakte zum Herrschaftszentrum um Franco“, schreibt Kössler.

Obwohl Hitler und Mussolini den spanischen Machthaber 1940 drängten, an ihrer Seite in den Zweiten Weltkrieg einzutreten, beschränkte sich Franco im Wesentlichen auf nominelle Hilfe – die „blaue Division“ aus überzeugten spanischen Faschisten, die freiwillig an der Ostfront kämpften, blieb Episode.

Nach Kriegsende drängten die USA, Großbritannien und Frankreich Franco zum Rücktritt, der sich aber angesichts des aufkommenden des Kalten Krieges halten konnte; ein Verteidigungsabkommen mit den USA verstetigte diese Kooperation. Als Entgegenkommen gestand der Diktator zu, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Monarchie in Spanien restituiert werde. 1955 wurde das Land Mitglied der Vereinten Nationen, aber erst Jahre nach Francos Tod 1982 der Nato und 1986 der damaligen Europäischen Gemeinschaft.

Die Bundesrepublik schickte 1952 den ersten Botschafter nach Madrid. In seinem Bericht über das erste Treffen beschrieb Adalbert von Bayern, Sohn einer spanischen Prinzessin, der nur dieser familiären Beziehung wegen den Posten erhalten hatte, Franco als einen „nach deutschen Begriffen eher kleinen, untersetzten Mann in Marineuniform“. Die Stimmung war offenbar angenehm: „Dem spanischen Naturell entsprechend, herrschte, trotz Wahrung des vorgeschriebenen Zeremoniells, von Anfang an eine freundliche Atmosphäre.“ Frei heraus berichtete Franco seine Eindrücke über Hitler, die der Diplomat gerafft nach Bonn weitergab.

Spanien prosperierte in Francos Herrschaft, doch die politische Unfreiheit wurde immer drückender. Separatistische Bewegungen im Baskenland und in Katalonien sorgten für Spannung, die baskische Terrororganisation Eta setzte die Zentralregierung unter Druck. Seit dem tödlichen Anschlag auf Francos rechte Hand Carrero Blanco am 20. Dezember 1973 war das Ende des vergreisten Regimes nur noch eine Frage der Zeit.

Entscheidend war, ob nach Francos Tod die gewaltsame Konfrontation von Linken und Traditionalisten wieder aufflammen würde. „Als die Spanier am Morgen des 20. November 1975 vom Tod des Diktators erfuhren, dürfte die meisten die Sorge vor einer ungewissen Zukunft umgetrieben haben“, schreibt Kössler: „Die Erinnerung an den Bürgerkrieg mit all seinen Schrecken hatte Francos lange Herrschaft überdauert und drohte sich auch der Zukunft zu bemächtigen.“

Doch Juan Carlos, übrigens ein Großneffe Adalberts von Bayern, gelang der friedliche Übergang – allerdings um den Preis der Verdrängung, die seit 1975 die spanische Gesellschaft belastet. Schrittweise werden Archive mit Material aus der Franco-Diktatur geöffnet. Mehr als 40.000 Opfer aus Bürgerkrieg und Franco-Diktatur sind im 21. Jahrhundert bereits exhumiert und neu bestattet worden.

Sven Felix Kellerhoff ist Leitender Redakteur bei WELTGeschichte. Zu seinen Themenschwerpunkten zählen der Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung. 2012 stand er am damaligen Franco-Grab in der Basilika im Valle de los Caidos.