Mit Ängsten kann man Politik machen. Sie machen Menschen hilflos, denn sie sehen dann nur noch die unheilvollen Entwicklungen, oft völlig verzerrt, sodass die Angst sie auch noch lähmt. Seit 2022 gehört die Frage nach den Ängsten der Leipziger zur Bürgerumfrage. Auch 2024 wurde das wieder abgefragt. Dabei weichen einige der Leipziger Ängste deutlich von Werten der Langzeitstudie der R+V-Versicherung ab. So etwa bei den steigenden Wohnkosten, die in Leipzig auf ein deutlich niedrigeres Einkommensniveau stoßen.
„Dass ‚Wohnen in Deutschland unbezahlbar wird‘: Dies geben gesamtdeutsch 52 Prozent der Befragten an; für Leipzig liegt dieser Wert – bei abweichender Itemformulierung – deutlich höher (70 Prozent), bleibt im Vergleich zu 2022 jedoch unverändert. Hinsichtlich steigender Lebenshaltungskosten nehmen die Ängste aktuell etwas ab.
Auch gesamtdeutsch ist dieser Rückgang zu verzeichnen (von 67 auf 57 Prozent), fällt jedoch in Leipzig geringer aus. Die stärkere Angst vor unbezahlbarem Wohnraum in Leipzig ist im Kontext einer unterdurchschnittlichen Einkommenssituation zu sehen“, stellen denn auch die Autor/-innen des Berichts zur Bürgerumfrage 2025 fest.
Das sind sehr reale Ängste, die eigentlich in der Politik deutlich ernster genommen werden müssten. Denn auf kommunaler Ebene kann das nicht allein abgepuffert werden. Im Gegenteil: Schon jetzt hebeln die Sozialkosten den Leipziger Haushalt aus den Angeln, häuft Leipzig immer mehr Schulden auf, weil vor allem der Bund die Sozialkosten nicht voll erstattet.
Die „Ängste der Leipziger“ im Zeitvergleich 2022 und 2024. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2024
Gleichzeitig werden – auch medial – andere Ängste geschürt: die vor einem möglichen Krieg etwa bzw. der Möglichkeit, dass die Befragten im Kriegsfall hier nicht mehr sicher wären. Da stutzt man natürlich. Hat das Amt für Statistik und Wahlen tatsächlich so gefragt?
Hat es: „Es gibt viele Risiken und Gefahren im Leben. Uns interessiert nun, inwieweit Sie sich davon bedroht fühlen. Eine 1 drückt aus, dass Sie keine Angst davor haben. Mit einer 7 geben Sie zum Ausdruck, dass Sie sehr große Angst davor haben. Mit den Werten dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen“. Und dann folgen lauter verschiedene Ängste wild durcheinander.
Der Fragekasten zu den Ängsten der Leipziger. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2024
Eine Systematik oder Sinnhaftigkeit ist dabei nicht zu erkennen. Schon gar kein Versuch, die tatsächlichen Alltagsängste der Befragten zu erkunden. Also jene, bei denen die Stadt tatsächlich aktiv werden könnte. Sich an das wilde Frageschema einer Versicherung anzulehnen, ergibt – wie man sieht – ein völlig verzerrtes Bild.
Und macht die Lokalpolitik nicht die Bohne klüger. Eher hat man das Gefühl, bei diesem Themenkomplex von den Befragern vor den Fernseher gesetzt zu werden und mit all den oft völlig überzeichneten Alarm-Themen aus den Nachrichten konfrontiert zu werden.
Medien haben sich längst – bedingt durch die falsch programmierten Algorithmen der Aufmerksamkeitsökonomie – zu Angstmaschinen entwickelt. Und für viele Befragte ist das, was ihnen da auf den Bildschirmen fortwährend serviert wird, tatsächlich die Realität.
Und das Verwirrende ist: Die Autor/-innen des Berichts zur Bürgerumfrage nehmen das auch noch ernst. Und dann kommt so eine Auswertung dabei heraus: „Für die Leipzigerinnen und Leipziger zeigen sich höhere Ängste auf Ebene der Einzelitems im Zeitvergleich insbesondere bei der Angst vor einem Krieg, der Betroffenheit von eigener Arbeitslosigkeit sowie dem sich ausbreitenden politischen Extremismus, dies deckt sich mit der gesamtdeutschen Entwicklung, bei der insbesondere die Angst vor politischem Extremismus seit 2020 deutlich zunimmt und in der R+VLangzeitstudie einen Wert von 46 Prozent erreicht (Platz 10).
Für die Leipzigerinnen und Leipziger ist keine Differenzierung hinsichtlich der Form des Extremismus möglich, aus den gesamtdeutschen Daten geht jedoch hervor, dass sich dieser insbesondere aus islamistischem Extremismus (48 Prozent Ängste) und Rechtsextremismus (38 Prozent Ängste) speist.“
Um nur einmal auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen: Wo ist die Angst vor der Armutsrente? Die vor einem kaputtgesparten Gesundheitssystem? Vor einer unbezahlbaren Pflege? Die Angst vor der zunehmenden Verschuldung der Kommune? Die Angst vor der Aushöhlung der Sozialsysteme? Also den Dingen, die das Leben der Leipziger dann tatsächlich berühren?
Und was heißt es eigentlich, „wenn sich der politische Extremismus ausbreitet“? Ist das ein Naturphänomen? Oder nicht doch Ergebnis falscher Politik?
Wirklich klüger macht das Angst-Thema in der Bürgerumfrage nicht. Eher zeigt es, wie undurchdacht und oberflächlich auch das Frageschema der R+V-Versicherung ist. Mit dem Ergebung eines belastbaren Stimmungsbildes hat dieser Teil der Umfrage wirklich nichts zu tun.