Nach einer mutmaßlich radikal-islamistisch und antisemitisch motivierten Messerattacke auf einen Besucher des Holocaust-Mahnmals in Berlin hat der Prozess begonnen. Angeklagt ist ein 19 Jahre alter anerkannter syrischer Flüchtling, der zuletzt in Leipzig wohnte.  

Er wurde am 21. Februar wenige Stunden nach der Tat mit blutverschmierten Händen im Umfeld der Gedenkstätte festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Schwer bewaffnet brachten ihn Beamte zum Prozess vor dem Berliner Kammergericht. 

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Der 19-Jährige will vor Gericht nicht aussagen. Er habe seinem Mandanten geraten, zunächst von seinem Recht zu schweigen Gebrauch zu machen, sagte Verteidiger Daniel Sprafke zum Prozessauftakt. 

Der Angeklagte soll am 21. Februar von Leipzig nach Berlin gereist sein, um in der Hauptstadt im Namen des Islamischen Staats (IS) den Angriff zu verüben. Dabei wurde ein Tourist aus Spanien lebensgefährlich verletzt.

Der damals 30 Jahre alte Berlin-Besucher wurde am 21. Februar gegen 18 Uhr im Stelenfeld des Denkmals für die ermordeten Juden Europas mit einem Messer von hinten angegriffen. Nach den Ermittlungen soll der Täter den Mann von hinten gepackt und ihm mit einem Messer einen 14 Zentimeter langen Schnitt an der Kehle zugefügt haben. Außerdem erlitt das Opfer zwei weitere Stichverletzungen im Gesicht und am Finger. 

Angeklagter soll sich IS als Mitglied angeboten haben

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Angeklagten versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung und versuchte Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vor. Sie sieht die Mordmerkmale niedrige Beweggründe und Heimtücke als erfüllt an. Nach Einschätzung der Behörde war die Tat radikal-islamistisch und antisemitisch motiviert. 

Der 19-Jährige sei Anhänger der Ideologie der terroristischen Organisation IS gewesen. Wegen dieser Gesinnung und „angetrieben durch die Eskalation des Nahostkonflikts“ fuhr er laut Anklage am Tattag von Sachsen nach Berlin, um in der Hauptstadt im Namen des IS einen Angriff auf einen Menschen zu begehen und „dadurch einen Repräsentanten der von ihm abgelehnten freiheitlichen Gesellschaft zu töten“. Kurz vor der Tat habe Wassim Al M. über einen Messengerdienst ein Foto von sich an Mitglieder des IS übersandt und sich als Mitglied angedient.

Laut Anklage wählte der 19-Jährige das Holocaust-Mahnmal als Tatort, weil er davon ausging, dort „mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Menschen jüdischen Glaubens“ zu treffen. 

Das Opfer wird im Dezember als Zeuge erwartet

Der damals 30 Jahre alte Tourist schwebte nach der Messerattacke in Lebensgefahr. Nur durch das schnelle Eingreifen von Rettungskräften und einer Notoperation konnte nach Polizeiangaben sein Leben gerettet werden. Der Mann wurde für einige Zeit in ein künstliches Koma versetzt, so die Behörden.

Als dies gesundheitlich möglich war, kehrte der Mann in seine Heimat zurück. Der Opferbeauftragte der Bundesregierung und des Landes Berlin, Roland Weber, übernahm damals die Betreuung. Auch um Zeugen des Angriffs kümmerte sich seine Behörde gemeinsam mit der Zentralen Anlaufstelle in Berlin. Diese ist infolge der Erfahrungen nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz entstanden. 

Der Tatort

Das Denkmal für die ermordeten Juden in Europa des Architekten Peter Eisenman war im Mai 2005 der Öffentlichkeit übergeben worden. Mit dem Stelenfeld und einem unterirdischen Informationsort wird in der Hauptstadt nahe dem Brandenburger Tor an die sechs Millionen Juden erinnert, die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten ermordet wurden.

Die Zentrale Anlaufstelle kümmert sich nach Angaben von Weber bis heute um alle Belange, die in Deutschland nötig und möglich sind im Interesse des Opfers. Zudem werde der Mann in Spanien vom Europäischen Netzwerk für die Rechte der Opfer SCPVOT betreut. 

Im Strafverfahren in Berlin wird der Spanier im Dezember als Zeuge erwartet. Nach Angaben einer Gerichtssprecherin ist er auch Nebenkläger. 

19-Jähriger lief mit blutverschmierten Händen auf Polizisten zu

Der 19-Jährige wurde wenige Stunden nach der Tat im Umfeld der Gedenkstätte festgenommen. Nach Behördenangaben lief er am 21. Februar gegen 20.45 Uhr während der noch laufenden Ermittlungsarbeiten auf Polizisten zu. Diese bemerkten seine blutverschmierten Hände und Blut auf seiner Hose, wie es damals hieß. In seinem Rucksack fanden Polizisten neben der mutmaßlichen Tatwaffe unter anderem auch einen Koran, wie es damals hieß. Der junge Mann wurde festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

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Nach Behördenangaben kam der 19-Jährige 2023 als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling – also ohne seine Eltern – nach Deutschland. Er erhielt eine Aufenthaltsgenehmigung und wohnte in Leipzig in einer Gemeinschaftsunterkunft.

Zahlreiche Zeugen sollen aussagen

Für das Staatsschutzverfahren gegen Wassim Al M. hat das Kammergericht Berlin nach Angaben der Sprecherin bislang insgesamt zwölf Prozesstage geplant. Ein Urteil könnte demnach am 29. Januar 2026 gesprochen werden. 

Der zuständige 1. Senat mit der Vorsitzenden Richterin Doris Husch hat bislang etwa ein Dutzend Zeugen geladen, weitere werden folgen, wie es hieß. Die ersten Zeugen – zwei Polizisten – sollen am ersten Prozesstag aussagen. (dpa)