Die Hauskapelle des Bestattungsinstituts Frankenheim an der Münsterstraße dient naturgemäß als Ort des Umgangs mit Trauer. Das tut sie auch an diesem Abend, allerdings auf besondere Weise: Der Kostenpflichtiger Inhalt Kölner Autor Yannic Han Biao Federer ist zu Gast und liest aus seinem in diesem Jahr erschienenen Buch „Für immer seh ich dich wieder.“
In seiner autobiografischen Erzählung, für die er den Buchpreis Familienroman der Stiftung Ravensburger Verlag erhalten hat, berichtet Federer über einen persönlichen Schicksalsschlag: Sein Sohn Gustav Tian Ming, den seine Partnerin Charlotte und er erwarten, stirbt aufgrund einer plötzlich auftretenden Komplikation im Mutterleib, die Partnerin muss mit einer Not-OP gerettet werden. In den folgenden Tagen und Wochen versucht das Paar, mit dem Verlust fertig zu werden.
Jemanden über eine derart intime Erfahrung reden zu hören, könnte beim Zuhörer schlimmstenfalls bewirken, dass er sich unwohl und hilflos fühlt. Diese Gefahr besteht jedoch zu keinem Zeitpunkt. Das liegt an der behaglichen Atmosphäre in der vor wenigen Jahren neu errichteten Kapelle, vor allem aber daran, wie Federer sein Buch geschrieben hat, wie er daraus vorliest und darüber spricht: mit Bedacht und Sensibilität, weder pathetisch noch kühl.
„Für immer seh ich dich wieder“ beschreibe in mehrfacher Hinsicht das Ringen um Sprache, sagt Federer im Gespräch mit Moderatorin Maren Jungclaus. Da sind die eigenen hilflosen Versuche, im Moment des Geschehens Worte zu finden und einen klaren Gedanken zu fassen; die Beileidsbekundungen der Angehörigen und Freunde; zuletzt die Umsetzung des Erlebten in einen literarischen, möglichst „schönen“ Text. Sein Buch versteht er als „literarischen Grabspruch“ für Gustav. Und er sagt: „Charlotte und ich hatten das Gefühl, dass in der Gesellschaft zu wenig über Trauer um Kinder geredet wird. Vielleicht kann dieser Text zur Stütze werden.“
Federer liest zwei längere Passagen aus seinem Buch vor: zunächst die ersten Seiten, in denen er den Leser ohne Vorgeplänkel in jene fatalen Stunden mitnimmt, als es Charlotte plötzlich schlecht ging, sie zum Krankenhaus fuhren, sie das Kind verlor und operiert werden musste. Dann, wie er und Charlotte drei Monate später an Gustavs vorgesehenem Geburtstermin eine Reise nach Italien unternehmen, um mit sich und ihrer Trauer klarzukommen.
Federer hat das Geschehene, das Gesagte und die eigenen Gedanken protokollarisch genau in kurzen, dichten Sätzen festgehalten. Bereits während der Ereignisse habe er „eine Literaturstimme“ im Ohr gehabt, erzählt er: „Ich habe erst später verstanden, dass ich versucht habe, mit der Sprache eine Distanz zu finden, um klar sehen zu können.“ Die Verschriftlichung des Erlebten – zunächst nicht zur Veröffentlichung gedacht – sei für Charlotte und ihn ein „tägliches Trauerritual“ geworden.
Federer redet und schreibt auch darüber, wie Mitmenschen Charlotte und ihm in ihrer Situation geholfen haben – und wie nicht. Da ist die Hebamme, die Charlotte in den Arm nimmt oder der Friedhofswärter, der nicht verlegen um den heißen Brei herumredet. Den Umgang mit staatlichen Behörden erlebte der Autor hingegen als „grotesk“, und Beileidsbekundungen blieben oft floskelhaft. Hilfreicher als Worte war Praktisches: Freunde zum Beispiel, die dem Paar, dem die Dinge über den Kopf wachsen, ungefragt ein Essen nach Hause bestellen.
In „Für immer seh ich dich wieder“ – der Titel ist eine Zeile aus einem Gedicht von Ungaretti – streiten der Autor und Charlotte darüber, ob sie noch einmal versuchen sollen, ein Kind zu bekommen. Im vergangenen März wurden sie Eltern einer Tochter. Irgendwann, sagt Federer, werden sie ihr beibringen müssen, dass sie schon jemanden verloren hat.