Was das Verbrechen anbelangt, da ist man redensartlich ja gerne mal in der Unterwasserwelt zugange: Da gibt es die richtig dicken Fische im Teich, die Mitschwimmer oder die ganz kleinen, die meistens die Hunde beißen. Mert B. (Name geändert) und Rezan A. allerdings dürften zu den größeren Exemplaren gehören, die der Polizei ins Netz gegangen sind. Die 21 und 24 Jahre alten Männer sollen in München einen blühenden Handel mit Kokain, Amphetamin und Cannabis betrieben haben. In ihren Bunkern lagerten laut Staatsanwaltschaft Drogen im Kilogrammbereich.

Auf mehr als ein Dutzend Seiten hat die Staatsanwaltschaft aufgelistet, was sie den beiden jungen Männern vorwirft: unter anderem Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen, zudem noch „bewaffnetes Handeltreiben“. Denn als Drogenfahnder unter anderem ein Hotelzimmer an der Friedenheimer Brücke durchsuchten, stießen sie auf Gummistücke, sieben Schraubenzieher, ein Beil und einen sogenannten „Sautöter“, ein Messer mit beidseitig geschliffener Klinge. Die Waffen lagen griffbereit in einer Sporttasche, damit die Angeklagten „notfalls sich selbst, die Betäubungsmittel“ und das eingenommene Bargeld hätten verteidigen können, so die Anklageschrift.

„Es ist ein Riesenkomplex“, erklärt Christian Daimer, Vorsitzender Richter der 4. Jugendstrafkammer am Landgericht München I zu Prozessbeginn am Donnerstag. Soll heißen, die Anklagten sind nicht die einzigen „Fische“, die in dem Fall gefangen wurden. Mert B. und Rezan A. sind getrennt in Justizvollzugsanstalten in Bernau und Landshut untergebracht. Nach München könnten sie nicht verlegt werden, erklärt Daimer. Denn hier „und in ganz Bayern verteilt“ säßen weitere Verdächtige ein, „und mit denen dürfen sie sich nicht absprechen“.

Mert B. hält die ganze Zeit den Kopf eingezogen, wirkt unbeteiligt, Rezan A. schaut sich nach seiner Familie im Zuschauerraum um. Beide tragen wollweißen Feinstrick, der eine noch lackglänzende Sneaker dazu. Man könnte daraus schließen, dass sie finanziell ganz gut aufgestellt waren. Seit September 2024, so steht es in der Anklage, sollen die jungen Männer gedealt haben. Mert B. soll dazu wechselnde Bunkerörtlichkeiten in München genutzt haben: kurzfristig angemietete Wohnungen oder eben Hotelzimmer. Die Staatsanwaltschaft hat ermittelt, dass zu diesen Drogenverstecken mehrere Personen Zugang und sich offenbar „bedient“ hatten.

In einem Versteck zum Beispiel sollen ein ein Kilogramm schwerer Kokainziegel sowie 13 Kilo Amphetamine gelagert worden sein. Das Amphetamin war in Verkaufseinheiten zu jeweils einem Kilo verpackt. Neben den Drogen soll auch eine italienische Schreckschusspistole gelegen haben. Binnen einer Woche soll Mert B. die Betäubungsmittel für insgesamt mindestens 40 000 Euro an diverse Kleinhändler verkauft haben.

„El Capitano“, nannte sich einer der Dealer im Bestell-Messenger

100 Gramm Koks sollen für etwa 3900 Euro an einen Kunden gegangen sein, der unter der Threema-Kennung „Koka-Express“ firmierte.  Threema ist ein Messanger-Dienst, der eine anonyme Kommunikation erlaubt. Dort trieben sich auch Abnehmer mit Namen wie „alles muss alles geht“ oder „Durstlöscher“ herum. Mert B. soll sich „El Capitano“ oder auch „only plug“ genannt haben. „Plug“ wird in der Jugendsprache oft für jemanden benutzt, der eine Quelle oder ein Kontakt ist, in diesem Fall wohl für Drogen.

Mehr als 13 Kilogramm Kokain, meist in Ziegelform, sollen die Angeklagten an diversen Verstecken aufbewahrt haben. Die Drogen sollen teilweise aus einem Überfall stammen: Mehrere Männer, darunter mutmaßlich Rezan A., sollen einer Gruppe von Dealern den Stoff gestohlen haben. Als die Polizei im Januar dieses Jahres eher barsch an die Türen von Mert B. und Rezan A. klopfte, fand sie in der Laimer Wohnung des 24-Jährigen 234 500 Euro Bargeld. Ein weiteres Mitglied der Familie A. wird von der Staatsanwaltschaft als Mitbeschuldigter geführt.

Mert B. ist gerade 21 Jahre alt geworden, „da werden wir entscheiden müssen, ob noch Jugendstrafrecht angewendet werden sollte“, erklärt Richter Daimer. Nach Gesprächen mit der Staatsanwaltschaft und seinem Verteidiger Jörg Sklebitz legte der 21-jährige B. ein Geständnis ab – ihn erwarten nun fünf bis sieben Jahre Gefängnis. Bei dem 24-jährigen Rezan A. gilt Erwachsenenstrafrecht, er und sein Anwalt Alexander Eckstein wollen sich auf keinen „Deal“ einlassen. Ein Urteil wird Mitte Dezember erwartet.