Umstrittener US-Künstler in Bern –
Marilyn Manson – Teufel oder Teufelskerl?
Im Vorfeld seines Konzerts in der Schweiz kommt es zu Protesten, nicht zum ersten Mal. Wer steckt hinter der Kunstfigur? Und was ist Marilyn Mansons Weltbild?
Publiziert: 20.11.2025, 20:13
«Ich habe immer zu zeigen versucht, dass wir selbst der Teufel sind, dem wir die Schuld für unsere Gräuel anlasten»: Marilyn Manson.
Foto: Perou (PD)
In Kürze:
- Marilyn Manson kritisiert Amerikas religiöse Heuchelei und Doppelmoral.
- Ex-Partnerinnen und Journalisten beschuldigen Brian Warner schwerer Vergehen. Andere Weggefährten rühmen sein Charisma.
- Trotz Kontroversen wurde der Künstler von keinem Gericht rechtskräftig verurteilt.
Im Grunde bräuchte es einen wie Marilyn Manson gerade dringender denn je. Und zwar in Bestform. Einen, der sich getraut, das Selbstbild der Vereinigten Staaten von Amerika nicht nur zu spiegeln, sondern diesen Spiegel auch gleich noch lustvoll zu zerkratzen.
Brian Warners Geschäftsmodell sah genau dies vor. Es muss irgendwann im Jahr 1993 gewesen sein, als der Musikjournalist auf die Idee kam, eine Figur zu erschaffen, die sein Heimatland ein bisschen aufrütteln sollte. Eine Figur, die im Vornamen auf das Liebste verweist, was die amerikanische Kultur in vieler Augen hervorgebracht hat, und im Nachnamen auf einen der dunkelsten Typen, die das US-Showbusiness je tangierte. Marilyn Manson war geboren. Ein Bastard, in Aussehen und Betragen dann doch eher an Charles Manson als an Marilyn Monroe angelehnt.
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Und dieser Marilyn Manson legte los, wie es sich für einen Neo-Schockrocker ziemte. Sein erstes Album nahm er in der Villa auf, in der die Schauspielerin Sharon Tate 1969 von Mitgliedern der Manson Family ermordet wurde. Als erste Songzeile wählte er ein sechsfaches «I’m the god of fuck», um alsbald verbal auf eine Zielgruppe einzudreschen, die in seiner weiteren Karriere noch öfters Adressatin seines Furors werden sollte: die religiösen Fanatiker des provinziellen Amerikas.
Der Schockrocker als Bürgerschreck
Marilyn Manson gefiel sich in der Rolle des Anprangerers einer degenerierten und abgestumpften Gesellschaft und hinterfragte ein Land, das einerseits Kriege verherrlicht, auf der anderen Seite Nächstenliebe predigt.
Es dauerte nicht lange, bis Marilyn Manson zu Amerikas schillerndstem Bürgerschreck arrivierte. Demonstrationen, wie sie nun von den Juso vor seinem Berner Konzert geplant sind, waren in den Anfangszeiten seiner Karriere an der Tagesordnung. Nur dass seine Gegner damals besorgte Kirchenfanatiker waren.
Es gab parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die sich mit ihm befassten; per Gesetz wurden ihm Auftritte in öffentlichen Gebäuden untersagt. Und gefühlt nach jedem Schulmassaker, das von einem schwarz gekleideten Psychopathen begangen worden war, wurde nach möglichen Zusammenhängen zwischen der Missetat und fan-technischen Verstrickungen des Delinquenten zu Marilyn Manson gefahndet.
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In Interviews gab sich der Sänger stets um einiges differenzierter als in seinem Gebaren: «Ich habe immer zu zeigen versucht, dass wir selbst der Teufel sind, dem wir die Schuld für unsere Gräuel anlasten», erzählte er dem «Rolling Stone». «Wir sind es, die es ganz in Ordnung finden, dass Jugendliche Waffen besitzen, und wir sind es auch, die den Fernseher einschalten und uns in den Nachrichten entsetzt reinziehen, was sie mit diesen Waffen angerichtet haben.»
Glam, Grobheit, Grössenwahn: Wie Brian Warner zu Marilyn Manson wurde
Im Wissen darum, dass die Schockrocker vor ihm längst im Mainstream angekommen waren und von bierbäuchigen Harley-Davidson-Lenkern verehrt wurden, positionierte Brian Warner die Figur Marylin Manson so, dass eine Vereinnahmung von jenen, die er anklagte, undenkbar war. So modellierte er Marilyn Manson zu einer schauerlichen, geschlechtslosen Kunstfigur irgendwo zwischen Grossstadtgruftie und einer Massen meuchelnden Horrorfilmfigur.
Auch musikalisch setzte Marilyn Manson nicht auf Massenunterhaltung. Indem er sich ins Umfeld von Industrial-Hoheiten wie Nine Inch Nails oder KMFDM begab, schlenkerte diese bald zwischen harschem Elektro-Metal-Stakkato und wehleidigem Grossstadt-Blues. Marilyn Manson verstand es, Grobheit, Grössenwahn, abgetakelten Glam und zur Groteske verbogene Posen des Rocks in seelenerschütternde Weltuntergangsmusik zu übersetzen.
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Dazu wählte er eine lyrische Bildsprache, die von allerlei Obskuritäten und antichristlicher Schreckmümpfeli-Poesie durchzogen war. Warner wurde in einer christlichen Schule aufgezogen, wo man ihn vor versteckten satanischen Botschaften auf Metal-Alben zu warnen trachtete – mit dem Effekt, dass er sich dafür bald mehr interessierte als für die christliche Lehre.
Nach einem Quäntchen Daseinsfreude oder Zuversicht fahndet man in seinen Texten bis heute vergebens. Ein kleines Beispiel? «The sky is as blue as …» – nein, Mansons Himmel ist nicht blau wie die Hoffnung oder wie der Enzian, er ist blau wie eine Schussverletzung. Sein Credo: «Kunst, die nicht Verstörung oder Nachdenken auslöst, ist keine Kunst. Und jeder Künstler, der mit seiner Kunst nicht eins ist, ist kein Künstler. Du musst sein, was du erschaffst, sonst bist du nur ein Illustrator oder ein Kommentator.»
Erste Brüche in Marilyn Mansons Image
So verstrichen die Jahre. Und Brian Warner schien tatsächlich zusehends mit seiner Kunstfigur zu verwachsen. Er bemühte sich, das Bürgerschreckdasein weiter zu kultivieren, und produzierte dazu überdurchschnittlich aufregende Rockmusik. Er schrieb eine Autobiografie, in der Urheber und Bühnengestalt kaum mehr auseinanderzuhalten waren. Er destillierte in Kallnach einen preisgekrönten Absinth, malte aufsehenerregend obskure Bilder.
Seine Poesie wurde dabei zunehmend resignativer und introvertierter. Er mutierte vom Propheten des Schocks und politischen Agitator zum Beobachter seiner brüchigen, pessimistischen Innenwelt. Reinhard Palm, der frühere Zürcher Schauspielhaus-Direktor, bezeichnete ihn einmal als einen der begnadetsten Lyriker des Jahrhunderts.
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Stets rätselhaft blieb indes, was sich unter der seltsamen Schminke letztlich für ein Typ verbirgt. Ehemalige Bandmitglieder zeichnen das Bild eines hochintelligenten und kreativen Charismatikers. Andere sprechen von einem manipulativen Geist, von Gewaltausbrüchen, von sehr bizarren Dingen, die sich in seinem Umfeld abspielen sollen.
Überliefert ist der Fall eines Journalisten, der Brian Warner 1998 interviewen wollte. Als er ihm eröffnet habe, dass er nicht das Cover des Magazins zieren würde, habe ihn dieser mit dem Tode bedroht, eine Pistole in den Mund gedrückt und von den Bodyguards dermassen prekär würgen lassen, dass ein Spitalaufenthalt nötig geworden sei.
Darauf folgte eine Prozedur, die sich später öfter wiederholen sollte. Warner wurde verklagt, lancierte eine Gegenklage wegen Verleumdung – am Schluss einigte man sich aussergerichtlich. Ein Verfahren, das per se keine Schuld des Angeklagten impliziert. Wenn dieser jedoch Jahre später den Vorfall in Interviews als eine Art amüsante Episode detailgetreu schildert, ist dann eben doch Schluss mit der Unschuldsvermutung.
Die Vorwürfe einiger Ex-Partnerinnen sind weit gravierender. Sie reichen von Vergewaltigung über psychische Gewalt bis zu Menschenhandel-ähnlicher Ausbeutung. Mindestens zwei Anklagen in Los Angeles wurden aussergerichtlich beigelegt. Eine kam wegen Verjährung nicht vor Gericht.
Und ja, man könnte sich nun in Whataboutism flüchten. Man könnte erwähnen, dass man bei ähnlicher Verdachtslage auch die Konzerte vieler alter und junger Hip-Hop-Heroen absagen müsste. Man müsste vor Konstantin-Wecker-Auftritten Demonstrationszüge organisieren, Radiostationen tadeln, die Michael-Jackson-Songs spielen. Man müsste vor dem Grab des lustigen Ozzy Osbourne Mahnwachen für geschlagene Frauen abhalten. Man müsste Regisseure anprangern, die in ihren Filmen Frauenmorde thematisieren, wie es Marilyn Manson in einem seiner Videos tut. Doch das macht die Sache nicht besser.
Moral und Kunstfreiheit vor dem Konzert in Bern
So poppt wieder die alte Frage auf, wie sehr man einen Kunstschaffenden persönlich und moralisch grossartig finden muss, um sein Werk zu mögen.
Brian Warner ist bis jetzt von keinem Gericht dieser Welt verurteilt worden. Und doch darf angenommen werden, dass es sich bei ihm um einen problematischen Charakter handelt. Wer sich als moralische Instanz aufspielt, würde gut daran tun, auch im Privaten, grundlegende ethische Prinzipien hochzuhalten.
Dass man das Konzert von Marilyn Manson nun also zum Anlass nimmt, darauf hinzuweisen, dass Gewalt an Frauen eines der grössten gesellschaftlichen Probleme dieser Welt darstellt, ist deshalb dringend zu begrüssen. Ein Auftrittsverbot aufgrund künstlerischer oder ethischer Bedenken zu fordern, muffelt hingegen nach moralpolizeilicher Symbolpolitik. Wir leben in einer imperfekten Welt, und es wäre ein Frevel, wenn die Kunst uns unentwegt das Gegenteil vorgaukeln würde.
Sa, 22.11., Festhalle Bern
Ane Hebeisen ist Musikredaktor und schreibt seit 1996 über Pop und Artverwandtes aus aller Welt.Mehr Infos
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