Brüssel – Unter allen 27 EU-Kommissaren hat er den wahrscheinlich härtesten Job: Der Österreicher Magnus Brunner (53, ÖVP), zuständig für Inneres und Migration, soll die Asyl-Wende endlich schaffen. Das Problem daran: Die Flüchtlingspolitik ist vermintes Gelände, in keinem anderen Bereich ist Europa so zerstritten.
Brunner empfängt in seinem Büro im 9. Stock des imposanten Kommissionsgebäudes. Vier Stockwerke über ihm residiert und arbeitet seine Chefin, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (67, CDU). Sie hat in ihrer ersten Amtszeit lange gezögert, Europas Außengrenzen zu sichern. Doch inzwischen vertritt auch sie die neue, härtere Linie.
Seinen Kaffee trinkt der Österreicher italienisch: kurz, stark und zuckerfrei. Das passt zu den elf Fragen von BILD.
Mehr zum Thema5,8 Millionen Registrierungen in vier Wochen
BILD: Was stimmt Sie optimistisch, dass Ihnen die Asylwende gelingt?
Magnus Brunner: „Die Zahlen gehen nach unten: 35 Prozent weniger illegale Migration im letzten Jahr, fast 95 Prozent weniger in den vergangenen drei Jahren auf der Westbalkanroute. Das liegt an der etwas stabileren Lage in Syrien, aber auch an unseren neuen Abkommen mit Drittstaaten und am Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS). Das ist noch nicht vollständig umgesetzt. Aber Teile funktionieren schon.“
Konkretes Beispiel?
Brunner: „Vor vier Wochen haben wir an vielen Flughäfen mit unserem ‚Entry/Exit-System‘ begonnen. Die meisten Menschen, die sich illegal in Europa aufhalten, sind auf legalem Wege nach Europa gekommen und erst nach Ablauf ihres Visums untergetaucht. Jetzt wird biometrisch registriert, das heißt, wir wissen jetzt, wer nach Europa kommt und wer es wieder verlässt. Der Start hat super funktioniert. Nach vier Wochen haben wir bereits 5,8 Millionen Registrierungen.
BILD trifft Magnus Brunner: EU-Sheriff will die Asyl-Krise endlich lösen!
Quelle: BILD21.11.2025
„Wir haben 70 Prozent“
Dennoch gibt es Länder, die Ihren Asylpakt weiter torpedieren. Reicht die Zeit?
Brunner: „Ich bin optimistisch, aber nicht naiv. Ja, wir haben bis Juni 2026 noch gewisse Herausforderungen. Jeder hat noch Hausaufgaben zu machen. Aber ich habe schon das Gefühl, dass alle Mitgliedstaaten jetzt die Chance sehen, dass wir bald die Kontrolle wiederhaben, dass wir die Regeln selbst gestalten, dass wir dieses europäische Haus in Ordnung bringen. GEAS ist nicht perfekt. Aber eine Basis. Mir ist lieber, wir haben 70 Prozent, als null Prozent.“
Wie sicher sind Sie etwa, dass die neuen Asylzentren an den EU-Außengrenzen im Sommer wirklich in Betrieb gehen?
Brunner: „Die Asylzentren sind wichtig, weil wir dann für Staaten, die ein sicheres Herkunftsland sind, schnellere Asylverfahren direkt an den Außengrenzen machen können. Der Zeitplan bis Juni 2026 ist das Ziel. Es wird nicht am ersten Tag alles funktionieren, so ehrlich muss man auch sein. Aber wir sind auf einem guten Weg.“
„Es wird nicht am ersten Tag alles funktionieren“: EU-Kommissar Brunner weiß, woran es bei der Umsetzung der Asylwende noch hapert
Foto: Fredrik von Erichsen/BILD
Der EU-Sheriff sieht sich „in der Mitte“
In der Migrationspolitik schaut alle Welt derzeit auf die USA, wo Trump knallhart durchgreifen lässt. Der amerikanische Papst Leo XIV., bei dem Sie gerade eine Audienz hatten, fordert mehr Respekt vor Eingewanderten, klagt über Behördengewalt. Wo genau steht der EU-Sheriff?
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Brunner: „Der europäische Sheriff braucht Lösungen in der Mitte. Mir bringt es ja nichts, wenn ich in die eine oder andere Richtung polarisiere, wenn ich 27 Mitgliedstaaten unter einen Hut bringen muss. Gemeinsames Ziel ist, die Zahlen bei der illegalen Migration runterzubringen und auch zu unterscheiden zwischen der illegalen Migration, die wir bekämpfen müssen, und der legalen Migration, die der Arbeitsmarkt braucht. Da müssen wir schauen, wie wir Talente besser nach Europa bringen.“
Spüren Sie Rückenwind aus Deutschland?
Brunner: „Ja, auf jeden Fall. Deutschland ist jetzt Teil der europäischen Migrationswende. Das ist für uns natürlich enorm wichtig.“
Ansage an Italien: „Dublin muss wieder funktionieren“
Thema Rückführungen: Italien und Griechenland haben die Dublin-Regeln de facto ausgesetzt, also die Zuständigkeit von Asylverfahren im Ankunftsland. Muss Deutschland sich damit abfinden?
Brunner: „Natürlich haben Mitgliedstaaten wie Griechenland oder Italien da eine Verantwortung. Dublin muss wieder funktionieren. Und Solidarität kann es nur geben, wenn auf der anderen Seite auch die Verantwortung übernommen wird.“
Länder wie die Niederlande, Dänemark oder Großbritannien haben Pläne in der Schublade, Asylverfahren in sichere Drittländer auszulagern, etwa nach Ruanda oder Uganda. Italien hat bereits ein Abkommen mit Albanien. Ist das die Zukunft?
Brunner: „Wir schaffen bei der Rückführungsverordnung die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Mitgliedstaaten, sich solche innovative Ideen wie Rückführungszentren anzuschauen und auch umzusetzen. Ich unterstütze das sehr.“
Wollte lange keine Mauern und Stacheldrähte an Europas Grenzen – und verteidigt sie jetzt wie hier in Polen: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Foto: Agnieszka Sadowska/ Agencja Wyborcza.pl/Agencja Wyborcza.pl via REUTERS
Bleibt das Problem, dass bei Abschiebungen am Ende immer auch das Herkunftsland mitspielen muss.
Brunner: „Aus meiner Sicht müssen wir bei allen EU-Abkommen, die wir mit Drittstaaten verhandeln, die Migration auf den Tisch legen. Wir haben viele Dinge, die andere Staaten wollen, Visa-Erleichterungen beispielsweise. Das zu verknüpfen, finde ich fair. Nur ein Beispiel. Äthiopien hat nicht kooperiert mit Europa über Jahre. Dann hat Europa Visa-Sanktionen angekündigt. Plötzlich wollten sie doch reden.“
„Wir unterstützen die Rückkehr nach Syrien“
Wichtiger aus deutscher Sicht, gerade bei Straftätern, wären Herkunftsländer wie Afghanistan oder Syrien.
Brunner: „Ich finde, es ist keine Option, mit diesen Staaten nicht zu reden. Wenn es um die Abschiebung von Kriminellen geht, bin ich total auf der Seite Deutschlands oder Österreichs: Menschen, die eine Gefahr für unsere Sicherheit in Europa sind, sind so schnell und effektiv wie möglich abzuschieben. Auf der anderen Seite kehren derzeit viele Syrer auf freiwilliger Basis zurück. Aus der Türkei reden wir von einer Million Rückkehrern. Das unterstützen wir, weil für uns wichtig ist, dass die Türkei stabil ist und dass Syrien stabil ist.“
Stichwort Wiederaufbau: Sollten die Europäer Syrern Ausreiseprämien bezahlen, wie Dänemark, das jedem erwachsenen Syrer 27.000 Euro anbietet?
Brunner: „Die Frage, wie viel Geld man jemandem fürs Rückkehren ins Heimatland gibt, ist allein Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Was wir tun können, ist, Möglichkeiten zu schaffen, sich einmal in Syrien die Situation vor Ort anzuschauen, ohne gleich den Status im europäischen Land zu verlieren.“
Das ist Magnus Brunner
Der Politiker der konservativen ÖVP stammt aus Vorarlberg. Vor seinem Job als EU-Sheriff war er u. a. Finanzminister in Wien, geriet dort wegen Haushaltslöchern unter Beschuss. In Brüssel wird allseits anerkannt, dass er sich schnell in seine neue Aufgabe eingearbeitet hat.
Brunner ist verheiratet und Vater von drei Söhnen. Seine Freizeit verbringt er oft auf dem Tennisplatz. Dieses Hobby teilt er mit Papst Leo XIV., dem er bei seiner Audienz im Vatikan kürzlich Tennisbälle mit EU-Logo geschenkt hat.