Ein älterer Herr nimmt im Supermarkt einen Schokoriegel aus dem Regal und bezahlt ihn nicht. Oder er fährt in einer unbekannten Straße riskant über eine rote Ampel. Später kann er sich nicht erklären, warum er so gehandelt hat. Für Angehörige wirken solche Situationen verwirrend, peinlich oder sogar bedrohlich. Wissenschaftler wissen nun, das könnte ein frühes Warnzeichen für Demenz sein.

Das Forschungsteam um Matthias Schroeter und Lena Szabo des „Max-Planck Instituts“ (MPI) wertete in einer breit angelegten Meta-Analyse 14 Studien aus, die zusammen mehr als 236.000 Menschen aus verschiedenen Ländern wie Deutschland, USA, Schweden, Finnland und Japan umfassen.

Plötzlich kriminell? Hälfte der FTD-Betroffenen wird früh auffällig

Ihr Ergebnis: Treten kriminelle Handlungen erstmals im mittleren oder höheren Alter auf, kann dies auf eine beginnende Demenz hinweisen. Oft handelt es bei solchen Taten nicht um geplante Straftaten, sondern um impulsive Handlungen. Besonders bei Menschen mit der frontotemporalen Demenz (FTD), einer Erkrankung, die bereits in den Fünfzigern auftreten kann, treten solche Verhaltensauffälligkeiten besonders häufig auf, wie die Daten zeigen. Rund die Hälfte der Betroffenen zeigt im frühen Krankheitsstadium kriminelles Risikoverhalten, oft sogar als erstes Symptom.

Bei Alzheimer ist das Phänomen seltener: Nur etwa zehn Prozent der Erkrankten zeigen solche Verhaltensänderungen, bei Parkinson oder vaskulärer Demenz liegt die Rate noch niedriger. Interessanterweise tritt das kriminelle Verhalten meist vor der Diagnose häufiger auf, danach sinkt es unter das Niveau der Allgemeinbevölkerung. Grund dafür ist laut den Forschenden, dass die Betroffenen mit fortschreitender Erkrankung eher Fähigkeiten verlieren, als dass sie noch impulsiv handeln.

Alter Mann im Pflegeheim hoert Musik mit Kopfhoerer. Old man in nursing home listening to music with headphones. Heidelb

Männer häufiger betroffen

Die Meta-Analyse zeigt zudem deutliche Geschlechterunterschiede: Männer mit Demenz zeigen häufiger kriminelles Verhalten als Frauen – bei der frontotemporalen Demenz viermal häufiger, bei Alzheimer sogar siebenmal.

Eine ergänzende Studie des MPI untersuchte auch die zugrunde liegenden Gehirnveränderungen. Dabei zeigte sich, dass Patienten mit kriminellem Verhalten eine stärkere Atrophie im Temporallappen aufwiesen. Diese Hirnregion steuert unter anderem Impulskontrolle, soziale Urteilsfähigkeit und emotionale Regulation. Schroeter spricht in der Mitteilung von einer „Enthemmung“, die durch den Verlust dieser Strukturen entsteht: Die Betroffenen verlieren Hemmschwellen und handeln impulsiv, oft ohne die Folgen zu überdenken.

Kriminelles Verhalten kann Demenz-Frühsymptom sein – Experten warnen vor Stigmatisierung

„Mit der Metaanalyse, die erstmals systematisch und quantitativ potenzielles kriminelles Verhalten bei Demenzsyndromen untersucht, wollten wir das Bewusstsein für dieses Problem schärfen. Wir hoffen, dass sie zu einem besseren Verständnis der möglichen Auswirkungen solcher Erkrankungen beiträgt, mögliche Ursachen aufzeigt und interdisziplinäre Bemühungen zur Entwicklung von Bewältigungsstrategien fördert“, erklärt Schroeter in einer Mitteilung des Instituts.

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Wenn Menschen aufgrund einer Demenz unabsichtlich gegen Regeln verstoßen, müsse das das Rechtssystem berücksichtigen. Schroeter betont: „Man muss eine weitere Stigmatisierung von Menschen mit Demenz verhindern. Bemerkenswert ist, dass es sich bei den meisten Straftaten um geringfügige Vergehen wie unangemessenes Verhalten, Verkehrsdelikte, Diebstahl und Sachbeschädigung handelte, aber auch körperliche Gewalt oder Aggressionen vorkamen. Daher sind Sensibilität für dieses Thema als mögliche Frühsymptome einer Demenz sowie eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von größter Bedeutung.“