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Die Autorin Birgit Jennen hat zu fragwürdigen Netzwerken zwischen Deutschland und Russland recherchiert. Erstaunlich oft heißt der Schauplatz München.

Man hätte es wissen können – und verschloss doch die Augen: Selbst nach der Krim-Annexion und im Krieg im Donbass ab 2014 trieb die deutsche Wirtschaft kräftig Handel mit Russland und investierte sogar dort. Ein Fehler, der spätestens mit dem Ukraine-Krieg und dem Versiegen des Gasflusses aus Russland sehr teuer wurde. Die Journalistin und Autorin Birgit Jennen beleuchtet in ihrem neuen Buch „Putins Marionetten“ unter anderem „geheime Netze in der deutschen Wirtschaft“. Erstaunlich oft ist der Schauplatz dabei: München und sein Umland.

Montage: Franz-Josef Strauß bei Michail Gorbatschow, Wladimir Putin in Bayern – und der Fall Wirecard.Etappen der (jüngeren) bayerisch-sowjetisch-russischen Geschichte: Franz-Josef Strauß bei Michail Gorbatschow, Wladimir Putin in Bayern – und der Fall Wirecard. © Montage: Yuri Lizunov/Alexander Chumichev/Itar-Tass/Frank Leonhardt/Sven Simon/Imago/dpa/picture alliance

Das liegt teils an Jennens Fokus – der ruht unter anderem auf dem untergegangenen Zahlungsdienstleister Wirecard, einst beheimatet in Aschheim, im Münchner Speckgürtel. Auch die Münchner Sicherheitskonferenz und Wladimir Putins geschichtsträchtigen Besuche dort spielen eine Rolle. Aber es steckt doch mehr dahinter, wie Jennen dem Münchner Merkur von Ippen.Media sagt. Edmund Stoiber und Horst Seehofer trafen Putin wiederholt. Und Jennen beleuchtet bei ihren Recherchen die Rolle eines früheren bayerischen Landespolizeichefs, der Wirecard mit Rat und Tat zur Seite stand. Sowie eine jedenfalls hinterfragbare Rolle von Staatsanwaltschaft und Ermittlern.

Bayerns Anfälligkeit für Putins Netzwerke: Alte Tradition – und ein kurzer Weg nach Österreich

Warum aber führten so viele Wege nach Moskau über München? Jennen verweist auf Nachfrage unserer Redaktion auf gewachsene Traditionen – und Bayerns geografische und politische Nähe zu Österreich. Der Freistaat habe seit Langem Verbindungen nach Russland gepflegt, sagt sie: „Es gab ja schon Franz-Josef Strauß’ berühmten Flug nach Moskau.“ Die CSU-Ikone hatte 1987 höchstpersönlich eine Cessna in die Hauptstadt der Sowjetunion geflogen, zu einem Gespräch mit Michail Gorbatschow. Strauß hatte die deutsche Ostpolitik mitgeprägt.

„Diese Tradition hat Edmund Stoiber fortgesetzt“, sagt Jennen. 2006 etwa empfing der damalige Ministerpräsident Putin mit Böllerschützen und Blaskapelle in Aying – „der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja nur wenige Tage zuvor hatte die Gewaltbereitschaft der russischen Führung offen deutlich gezeigt“, schreibt Jennen in ihrem Buch. „Russland kommt nicht mit Kalaschnikows und Panzern, sondern Russland bringt Geld mit“, betonte Putin bei dem Besuch in Bayern. Er drücke Putin die Daumen, dass der Mord bald aufgeklärt werde, sagte Stoiber damals. Beim Termin dabei waren unter anderen Klaus Kleinfeld und Manfred Bischoff, damals Siemens-Chef und Aufsichtsratsvorsitzender beim Airbus-Vorgänger EADS – und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU).

Bayerns Ministerpräsidenten seit 1945Bundeskanzler Konrad Adenauer (mit Zylinder, CDU), Bundesratspräsident Karl Arnold (l, CDU) und Fritz Schäffer (r, CSU) bei der feierlichen Eröffnungssitzung des Deutschen Bundestages am 07.09.1949 in Bonn.Fotostrecke ansehen

Nach 2014 habe sich die Staatsregierung unter Horst Seehofer für eine schrittweise Lockerung der Russland-Sanktionen starkgemacht und sich darin von der Bundesregierung Merkel abgesetzt, sagt Jennen. „Das heißt, das politische Klima in Bayern war viel offener für diese Netzwerke, die letztlich diese Anbindung zementiert haben.“ Verbindungen gab es ganz offiziell: Siemens etwa war lange stark in Russland aktiv, erst 2022, nach Russlands Vollinvasion, hieß es aus dem Konzern mit Hauptsitz München: „Siemens zieht sich komplett aus Russland zurück.“

Ein weiterer Faktor sei Österreich. Bayerns Nachbar sei verfassungsrechtlich neutral und nicht an die NATO angebunden, betont die Autorin. „Deshalb war es immer schon ein Tummelplatz für die Wirtschaft, aber eben auch verschiedenste Sicherheitsdienste. In Österreich lassen sich leicht über die Wirtschaft einflussreiche Kontakte nach Russland aufbauen.“ Auch für deutsche Unternehmen habe es als Brückenkopf nach Russland gedient – und Bayern sei das Tor zum Nachbarland.

Brisant ist aber nicht zuletzt der Fall Wirecard. Jennen sieht das spektakulär geplatzte Unternehmen nicht nur als einen Fall von Luftbuchungen und Bilanzmanipulation, wie sie in ihrem Buch darlegt. „Meiner Ansicht nach haben sich da Strukturen gebildet, die Zahlungsströmen von russischem Schwarzgeld dienten“, sagt sie. Politik und Behörden hätten das Thema jahrelang nicht beachtet. „Letztlich wollte man diese russischen Schwarzgeld-Milliarden nach Europa fließen lassen, denn sie kurbelten die Wirtschaft an“, meint Jennen.

Nicht nur Bayerns Politiker halfen Wirecard – aber die Spur führt oft nach München

Trotz belegbarer Warnungen aus den USA vor Geldwäsche und Korruption hätten die Behörden in Sachen Russland-Verbindungen nicht gehandelt. Teils womöglich, weil man Washington nach dem Skandal um mutmaßliche US-Wirtschaftsspionage – etwa über das Echelonsystem im oberbayerischen Bad Aibling – Eigeninteresse unterstellte. Nach Jennens Ansicht aber eben auch, weil man sich in Deutschland das Russland-Geschäft nicht habe entgehen lassen wollen.

Jennen verweist in ihrem Buch mehrfach auf Eigenwilligkeiten bei Wirecard-Ermittlungen in München. „Bis Wirecard abgewickelt wurde, kam es in entscheidenden Momenten immer wieder zu Leaks aus Ermittlerkreisen, die die Staatsanwaltschaft auf Distanz zu den Klägern gehen ließ“, notiert sie etwa. Und nach Russlands Krim-Annexion und ihren wirtschaftlichen Folgen habe Wirecard „Unterstützung aus ehemals hochrangigen deutschen Sicherheitskreisen“ erhalten.

Birgit Jennen und ihr Buch „Putins Marionetten“Birgit Jennen und ihr Buch „Putins Marionetten“ (Deutscher Wirtschaftsbuchverlag, 25,- €) © privat/Deutscher Wirtschaftsbuch Verlag/fkn

So habe etwa Bayerns früherer Landespolizeipräsident Waldemar Kindler das Unternehmen beraten. Auch Ex-Ministerpräsident und -Innenminister Günther Beckstein (CSU) hatte nach Erkenntnissen aus dem Wirecard-Untersuchungsausschuss Türen in die deutsche Spitzenpolitik geöffnet. Allein stand Bayern mit dieser Art Lobbyismus freilich nicht da. Die einstigen Nord-Ministerpräsidenten Ole von Beust (CDU) und Peter Harry Carstensen (CDU) machten sich nach ihrer politischen Karriere ebenfalls nützlich. Und in Zusammenhang mit der Wirecard-Aufklärung fielen beispielsweise die Namen der früheren Gemeindienstkoordinatoren Klaus-Dieter Fritsche und Bernd Schmidbauer.

Fritsche ergatterte 2019 sogar – nach seiner Tätigkeit im Kanzleramt – einen Beratervertrag mit Wirecard. An dieser Stelle schließt sich wieder ein Kreis zu Österreich: Fritsche beriet 2019 auch die österreichische ÖVP-FPÖ-Bundesregierung. Und die FPÖ wiederum pflegte offenbar Kontakte zu Jan Marsalek, wie Der Standard 2024 berichtete. Marsalek wollte Wirecard von der Zentrale in München aus nicht nur Jennens Recherchen zufolge aktiv in Russland vernetzen.

Putin scheint indes die deutsche Wirtschaft noch nicht aufgegeben zu haben – wenngleich das auch in Russland ein Politikum ist. Zuletzt erklärte er: „Unsere Türen sind immer offen“. (Quellen: Birgit Jennen, Der Standard, eigenen Recherchen)