Wer die Band ABBA vor Augen hat – in Glitzerkostümen und den legendären Katzenkleidern, vielleicht auch in napoleonischem Outfit beim Singen von „Waterloo“ –, denkt in diesem Moment an Inbegriffe des bunten Siebziger-Pop. Und wer das gealterte Gruppenmitglied Björn Ulvaeus heute vor Augen hat – einen eleganten Geschäftsmann mit geschätztem Privatvermögen von mehr als 300 Millionen Euro, der auf Technikkongressen über Avatare und Künstliche Intelligenz spricht oder für Kamingespräche mit Jungunternehmern höchste Gagen erhält –, vergisst leicht, woher diese Band kommt und worauf ihr Erfolg gründet: Sie kommt aus den schwedischen Wäldern, und ihre Wurzeln liegen in der traditionellen Musik.

Ja, es mag komisch klingen, aber ABBA sind im Herzen eine Folkband. Alle vier Mitglieder waren bereits Stars der schwedischen volkstümlichen Musik, bevor sie sich um 1972 zu einer „Supergroup“ formierten. Björn Ulvaeus und Benny Andersson hatten sich 1964 auf einem Sommerfestival kennengelernt, damals noch als Mitglieder anderer Gruppen, und die Frauen, Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad, waren in Schweden berühmte Solo-Sängerinnen zwischen Folk und Schlager, mit Liedern über die Liebe und teils auch das Landleben, bei dem man dem Hamsterrad der Moderne entkommt.

Das Vehikel für die Pop-Träume

Björn Ulvaeus, der 1945 in Göteborg geboren wurde, wuchs in der Kleinstadt Västervik auf und arbeitete dort in jungen Jahren in der Papiermühle. Seine erste Gitarre soll er 1958 zu seinem dreizehnten Geburtstag erhalten haben. Er spielte bald in einer Folk-Gruppe, die mehrmals den Namen wechselte und schließlich unter dem der Hootenanny Singers bekannt wurde. So wie auch die frühen Gruppen von Benny Andersson war sie stark von der Skifflemusik beeinflusst, später dann auch von aufkommenden Popstars wie den Beatles.

DSGVO Platzhalter Externe Inhalte aktivieren

Ul­vaeus spielte Gitarre und Banjo und sang zunächst auf Schwedisch, bevor er versuchte, Hits auf Englisch zu schreiben. In einem Gespräch mit der F.A.Z. sagte er 2023: „Vor ABBA haben wir alle möglichen Sachen für alle möglichen Leute geschrieben – aber erst mit ABBA fanden wir das Vehikel, um unsere Pop-Träume vollkommen zu verwirklichen.“ So erfolgreich sie damit auch wurden: Die Keimzelle ihre Musik war eine Hütte auf der Schären-Insel Viggsö, in der Benny und Björn gemeinsam Welthits komponierten. Selbst unter deren Disco-Grooves hört man die Volkstümlichkeit oft noch durch. Andersson war zumeist für die Melodie, Ulvaeus für die Texte verantwortlich. Die schillern zwischen babyhafter Lautmalerei („Chiquitita“) und melancholischer Lebensweisheit („Knowing me, knowing you – aha!“).

Am stärksten in Beziehungsliedern

Wirklich charakteristisch wurden die Lieder aber erst durch den hellen, getragenen Gesang und den Authentizität nahelegenden, dabei oft theatralischen Ausdruck der Frauen. Die Besonderheit der Band, die aus zwei Liebes- und vorübergehend auch Ehepaaren bestand, schlug sich am stärksten in Beziehungsliedern wie „The Winner Takes It All“ nieder, deren Reiz zwischen biographischer Lesart und Spiegelfläche für Millionen Fans liegt, wie sich auch beim Comeback-Album „Voyage“ (2021) nach einer Pause von vierzig Jahren zeigte.

Hinter dem Plan, in einer eigens dafür gebauten Londoner Arena täglich virtuelle „Abbatare“ in der Gestalt der Mitglieder aus dem Jahr 1979 singen zu lassen, war Ulvaeus die treibende Kraft. Erstaunlicherweise versteht er die Konservierung als Statement gegen Altersdiskriminierung. Während er damals auf Viggsö nur die Hütte gekauft hat, kann er sich in Stockholm inzwischen eine eigene kleine Insel leisten, auf der er mit seiner dritten Ehefrau lebt. Am heutigen Freitag wird Björn Kristian Ulvaeus achtzig Jahre alt.