Leben die Mitglieder des Wiesbadener Linksbündnisses und der Opposition vielleicht doch in unterschiedlichen Städten? Für die Zuhörer einer leidenschaftlichen und langen Debatte über die Wiesbadener Innenstadt und ihren aktuellen Zustand drängte sich dieser Eindruck geradezu auf. Denn unterschiedlicher hätten die Einschätzungen über den Zustand der Innenstadt kaum ausfallen können.
Die CDU hatte die Debatte mit der Forderung nach einem „Zehn-Punkte-Sofortprogramm“ zur Innenstadtbelebung initiiert und eine düstere Lage skizziert: „Wiesbaden hat ein Problem, und zwar mitten im Herzen“, sagte CDU-Fraktionschefin Daniela Georgi. Sie verwies auf „90 Leerstände, sinkende Besucherzahlen, fehlende Vielfalt und ein Sicherheitsgefühl, das deutlich nachgelassen hat“. Nur etwa jeder fünfte Bürger sei mit der Innenstadt zufrieden, und fast die Hälfte kaufe lieber woanders ein. Der Zustand der City sei „besorgniserregend“, so ihre Einschätzung.
„Die Stadt starrt vor Dreck“, sagte auch Christian Hill (Pro Auto), und präsentiere sich „so schlimm wie noch nie“. Wo alteingesessene Geschäfte schlössen, eröffneten Barbershops und Nagelstudios, kritisierte Reinhard Völker (CDU). Auch Lucas Schwalbach (FDP) erkannte eine negative Entwicklung und die dringende Notwendigkeit „umzusteuern“. Vertreter des Seniorenbeirats und des Jugendbeirats sahen ebenfalls Korrekturbedarf in der Innenstadt. Angelika Dortmann, die Vorsitzende des Seniorenbeirats, unterstützte Forderungen nach einer besseren Beleuchtung, mehr Sicherheit und Sauberkeit. Das Fehlverhalten Einzelner in der Fußgängerzone müsse sanktioniert werden: „Wir dürfen den öffentlichen Raum nicht aufgeben.“
Umfragen geben Hinninger recht
Wirtschaftsdezernentin Christiane Hinninger (Die Grünen) nahm sich mehr als 20 Minuten Zeit, der aus ihrer Sicht für Wiesbaden schädlichen „Negativerzählung“ positive Fakten und Bewertungen entgegenzuhalten. Nahezu alle vorliegenden Studien bescheinigten Wiesbaden „eine sehr gute ökonomische Position, einen stabilen Arbeitsmarkt, attraktive Standortfaktoren und Infrastruktur“, so Hinninger. Die Innenstadt werde bei Befragungen „eher schön und elegant, sicher und geordnet sowie vertraut, anregend und einladend“ wahrgenommen.
Viele Forderungen der CDU wie eine attraktivere Parkregelung und die Förderung der Gründerszene seien längst erfüllt. Andere Wünsche im Hinblick auf die Verwendung des Kurbeitrags seien aus rechtlichen Gründen nicht zu erfüllen. Die CDU stütze sich mit ihrem Forderungskatalog zudem auf eine veraltete Umfrage. In der Größenklasse 250.000 bis 600.000 Einwohner habe Wiesbaden nach einer Erhebung die am stärksten frequentiere Innenstadt. Die Leerstandsquote von zehn Prozent liege im Durchschnitt vergleichbarer Städte.
Der von der Opposition beklagten mangelnden Sauberkeit in der Innenstadt hielt Hinninger entgegen, dass Wiesbaden im kommunalen Vergleich sehr gut dastehe. Die Fußgängerzone werde immerhin 13 Mal in der Woche gereinigt. Ihr für das Thema zuständiger Magistratskollege Andreas Kowol (Die Grünen) sagte, Wiesbaden könne sich im kommunalen Vergleich bei der Sauberkeit sehen lassen. Das bestätigten auch Umfragen, deren Aussagekraft aus den Reihen der Opposition jedoch bestritten wurde.
Fußgängerzone wird häufig gereinigt
Wirtschaftsdezernentin Hinninger gab aber zu, dass im Hinblick auf eine attraktivere Innenstadt Handlungsbedarf bestehe, doch sei die Stadt schon auf dem richtigen Weg zu einem erstrebenswerten Mix aus mehr Kultur, Gastronomie und Aufenthaltsqualität. Dazu bedürfe es keines Sofortprogramms oder Aktionismus der CDU. Deren Antrag wurde durch die Debatte für erledigt erklärt.
Grünen-Fraktionschefin Gesine Bonnet nannte das Thema Innenstadt „vermeintlich gut geeignet, schlechte Stimmung zu verbreiten: die kleine Schwester der Verkehrspolitik“. Die Stadt sei „zu schön, um sie schlechtzureden“, unterstützte sie Petermartin Oschmann (FWG), und die Antworten der CDU seien nicht geeignet, die durchaus großen Schwächen der City zu beheben.
Strittig war in der Innenstadtdebatte wieder einmal das Thema Sicherheit. Ob ein neues Beleuchtungskonzept helfen kann, „Angst-Räume“ zu verhindern, wie es die CDU forderte, blieb offen. Ingo von Seemen (Die Linke) verwies auf eine neue Studie der Universität Gießen, wonach auch eine erhöhte Polizeipräsenz nicht zwangsläufig das Sicherheitsgefühl der Bürger erhöhe, sondern sogar eine erhöhte Unsicherheit zur Folge haben könne. FDP-Politiker Schwalbach verwies als Antwort auf Unternehmen in der Innenstadt, die nicht ohne Grund private Sicherheitsdienste verpflichteten.