29 renommierte Stuttgarter Architekturbüros bauen Lebkuchenhäuser für einen Wettbewerb. Wir haben die Architekten von cruu architecture begleitet. Wird ihr Haus die Jury überzeugen?
Wo bewahrt man eine Kostbarkeit auf? Natürlich im Tresor. So ist es nur folgerichtig, dass Luis Traesel, Marina Trudova und Burak Hakan Karaman in einem Kellerraum des Büros von cruu architecture in Stuttgart anzutreffen sind, der einst einmal der Tresorraum einer Bank war. Vor ihnen steht zumindest schon einmal ein Teil der Kostbarkeit, die noch dazu ganz köstlich riecht.
Die köstliche Kostbarkeit ist ein Modell, gefertigt um – wie es bei Architekten üblich ist – einen Wettbewerb zu gewinnen. Allerdings ist dieses nicht aus Styropor oder Pappe, sondern aus Lebkuchen erbaut. Zu dem Wettbewerb der anderen Art aufgerufen haben bereits zum zweiten Mal der auch in Stuttgart ansässige Designermöbelladen Smow zusammen mit USM, einer Firma, die Möbelbausysteme herstellt. Bereits im vergangenen Jahr beteiligten sich rund 20 Architekturbüros.
Viele Teilnehmer beim Stuttgarter Lebkuchenhauswettbewerb
Auch cruu architecture war damals dabei. Sie gingen mit einer Lebkuchen-Doppelhausspiegelhälfte ins Rennen, aber leider leer aus. Was die Architekten nicht davon abhält, sich in diesem Jahr wieder zu beteiligen, sie sehen es eher als Ansporn.
„Fast alle Architekturbüros, die im vergangenen Jahr beteiligt waren, sind auch jetzt wieder mit dabei – und darüber hinaus haben sich noch weitere bei uns gemeldet, die dieses Mal unbedingt mit dabei sein wollten“, sagt Kathrin Axmann, die eigentlich zuständig für den Vertrieb bei Smow zuständig ist, aber aktuell ganz im Lebkuchenhäuser-Geschäft aufgeht.
Stuttgart soll eine Rolle spielen beim Entwurf
Zusammen mit Harald Nowotny, dem Verkaufsleiter von USM, hat sie eigens die Lebkuchenplatten in den Büros vorbeigebracht. Die Architekten erhielten jeweils Grundbaumaterialien in Form von vier frisch gebackenen Lebkuchenplatten im Format 60 auf 44 Zentimeter. Bei der Gestaltung haben die Architekten freie Hand, Vorgaben für das Haus gibt es keine, außer dass in diesem Jahr auf das Thema Nachhaltigkeit wert gelegt wird.
Im Büro cruu setzte sich also das Kreativabteilung inklusive dem Chef Markus Mehwald zusammen und beratschlagte, was zu tun sei. Schnell war man sich einig, dass Stuttgart eine Rolle spielen soll. „Wir haben uns gefragt, was Stuttgart ausmacht“, sagt Marina Trudova, Architektin im Praktikum, die schon im vergangenen Jahr am Bau des Lebkuchenhauses beteiligt war. Das Grün, war die schlichte Antwort. Der Wald, die Weinberge und der Schlosspark.
Inspiriert vom niederländischen Pavillon der Expo 2000 beschloss man, „Stuttgart in einer gestapelten Topografie mit Nachhaltigkeitselementen darzustellen“, wie Trudova sagt. „Wir haben das Ganze quasi auf die Spitze getrieben, jedes Stockwerk ist eine Geste.“ Eine nachhaltige Stadt im Haus. Dabei komme man vom Allgemeinen ins Detail: Im unteren Stockwerk befindet sich der (Zauber-)Wald, im mittleren die Weinreben und im oberen der Schlossgarten mitsamt Eckensee. Das Dach soll mit einer PV-Anlage und – falls es die Statik hergibt – mit einem Windrad ausgestattet werden. Die Fassade wird begrünt.
Unter dem Haus, das auf Stelzen steht, liegt der sogenannte Schwarzplan, der die Umrisse der umliegenden Gebäude schwarz abbildet. Hier ist der Plan nicht weiß wie Papier, sondern braun wie Lebkuchen. Die Umrisse der Häuser sind mit weißer Fensterfarbe aufgebracht. Ein Weißplan also.
Einiges ist schon vorbereitet, schließlich sind die Architekten schon seit Montag am Werk. Doch viel gibt es noch zu tun. In einer Ecke des Tresorraums stapeln sich Süßigkeiten, Acrylfarben und Haarspray. Haarspray? Ja. Denn der Bau eines Lebkuchenhauses ist wahre Alchemie. Da reagieren die geschmolzenen Eisbonbons für den Eckensee mit dem Lebkuchen so, dass die weiße Masse zu einem grün-bräunlichen See wird. „Das entspricht perfekt der Farbe des Sees, das ist sehr realistisch“, sagt Burak Hakan Karaman, Architekt im Praktikum, mit viel Ironie im Ton.
Auch der Schneespray will nicht so recht weiß werden auf dem Lebkuchen, ist er doch auf Wasserbasis, sodass „das Bräunliche des Lebkuchens hochkommt“, sagt Trudova. Der Schnee ist also gelblich, „und gelben Schnee soll man ja bekanntlich nicht essen.“ Also probieren sie es mit einer Basislackierung mit Haarspray, was die Sache schon besser macht. Eine zusätzliche Schicht Puderzucker rettet die Winterlandschaft.
Die Tannenbäume und die Weinreben werden aus einer Mischung von Amaranth und Haferfleks geformt, bei 50 Grad im Ofen getrocknet und mit Acrylfarbe bemalt. Davor aber muss jeweils ausprobiert werden, wie die Farbe mit dem Material reagiert. Es gilt also, kreativ in puncto Baumaterialien zu sein. Da wird grüne Zuckerwatte zur Fassadenbegrünung, Mäusespeck soll eigentlich zum Bau des Windrades dienen, stellt sich aber aber zu wenig fest dafür heraus. Also muss doch ein Stück Lebkuchenplatte dafür her.
Zuckerstangen könnten noch zum Stabilisieren dienen und die PV-Anlage auf dem Dach wird aus Sauren Drachenzungen gebaut. Bei den Tieren im Wald drückt man ein Auge zu und greift auf Alpakas, Bären und Drachen zurück. „Es gibt echt wenig Tiere bei den Fruchtgummis“, sagt Trudova. Zumal fast alle Süßigkeiten vegan sind, weil Trudova als Veganerin neben dem Bauen auch mal Naschen möchte.
Der Härtetest: Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone
Sie und Karaman sind detailverliebt, ja detailbesessen. Doch manchmal muss der Verstand siegen. „Ich sage mir, dass das Thema ja Nachhaltigkeit ist – und dass das auch heißt, dass wir nicht zu viel Material verwenden dürfen und auch den Einsatz von Zeit zurückschrauben müssen. Denn das ist alles schon sehr aufwendig.“
Ist das eine Ansage von oben? Geht es um Arbeitszeitverschwendung? Ganz und gar nicht. Luis Traesel, der Stuttgarter Büroleiter von cruu architecture, unterstützt seine Mitarbeiter und findet es ausgesprochen gut für sein Büro, bei dem Wettbewerb dabeizusein. „Es ist toll, ein Lebkuchenhaus auf so ein Niveau zu bringen“, sagt er. Aber das sei nur ein Aspekt. Vor allem ginge es darum, etwas Einmaliges zu machen und zu schaffen. Deshalb wollte auch Karaman unbedingt am Lebkuchenhausbau mitmachen: „Es macht Spaß, ist aber auch kompliziert. Aber wenn man dann eine Lösung findet, macht das auch wieder Spaß“.
Am Ende kommt der große Tragwerktest. Die einzelnen Stockwerke des Stadthauses werden – erst einmal zur Probe – übereinander gestapelt. Das Haus hält! Und offenbart nun das spannende Spiel zwischen Innen- und Außenraum, erst so zeigen sich die verschiedenen Einblicke. „Wir brauchen noch eine Lichterkette mit warmen Licht“, sagt Trudova.
Die freilich ebenso wenig essbar sein dürfte wie Acrylfarbe oder Haarspray. „Glücklicherweise lautet die Vorgabe nur, dass die Materialien essbar aussehen sollen, aber nicht wirklich essbar sein müssen“, sagt Traesel. „Aber wenn ein Lebkuchenhaus wochenlang ausgestellt wird, dann will das sowieso niemand mehr essen.“ Denn nach dem Wettbewerb am 26. November werden alle Lebkuchenhäuser zunächst bei Smow, später dann teilweise auch im Stuttgarter Stadtpalais zu besichtigen sein.
Das Lebkuchenhaus ist auf dem besten Wege
Trudova hatte übrigens bereits zu ihrer Zeit an der Stuttgarter Universität ein Lebkuchenhaus geplant. Es sollte im Stadtgarten an der Uni stehen und tatsächlich groß genug sein, dass Menschen es betreten können. „Als Material wollte ich zuckerbasierten Styropor benutzen, der zerfällt, sobald er mit Regen in Berührung kommt. Es sollte vergänglich sein – wie alles im Leben. Es wurde aber nie gebaut.“ Aber bevor etwas vergeht, muss es erst einmal entstehen. Die Stadt im Haus ist auf dem besten Wege. Aber solange bleibt das Lebkuchenhaus im Tresor.
Infos
Der Wettbewerb mit Ausstellung bei Smow
Die Sieger des Wettbewerbs werden am 26. November von einer Jury aus Designerinnen und Designern und Architektinnen und Architekten ausgewählt werden. Für die Gewinner der ersten drei Plätze veranstaltet Smow und USM Büro-Events. Zudem wird von Mitgliedern von Smow, USM und Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten ein Sonderpreis vergeben. Danach werden die Lebkuchenhäuser bei Smow vom 27. November bis zum 19. Dezember zu den regulären Öffnungszeiten in der Breitscheidstraße 10 ausgestellt.
Ausstellung im Stadtpalais
In diesem Jahr gibt es eine Kooperation mit dem Stuttgarter Stadtpalais. Das Stadtpalais hat einen eigenen Wettbewerb ausgeschrieben, an dem Nicht-Architekten teilnehmen sollen, um die Stadt Stuttgart nachzubauen. Die Schau „Winterwunder-Lebkuchenstadt“ ist vom 7. Dezember 2025 bis 11. Januar 2026 in der Galerie des Stadtpalais zu sehen. Dort werden zehn Nicht-Architekten-Lebkuchenhäuser und zehn Architekten-Lebkuchenhäuser zu sehen sein.