Im Jahr 1998 geriet das Weltbild der Kosmologie ins Wanken. Zwei Forscherteams – eines unter der Leitung von Saul Perlmutter, das andere geführt von Adam Riess und Brian Schmidt – beobachteten entlegene Supernovae und stießen auf eine Entdeckung, die niemand erwartet hatte: Das Universum expandiert nicht gleichmäßig, es beschleunigt sich. Etwas Unbekanntes scheint den Raum selbst auseinanderzutreiben, als würde das Nichts Druck ausüben. Die Wissenschaft gab ihr einen Namen: Dunkle Energie. Was sie ist, bleibt bis heute eines der größten Rätsel der Physik. Klar war aber sofort: Diese Dunkle Energie entscheidet mit darüber, wie die Geschichte des Universums einmal endet.
Genau hier setzt nun eine neue Studie von Forschenden der Cornell University und weiterer Institute an – sie stellt die bisherige Vorstellung vom ewigen Wachsen des Universums infrage und entwirft ein anderes Bild seines möglichen Endes.
Big Freeze, Big Rip, Big Crunch – die kosmischen Endspiele
Seit Jahrzehnten versuchen Physikerinnen und Kosmologen den letzten Akt des Universums vorherzusagen. Sie entwarfen Szenarien, verwarfen sie wieder, gaben ihnen eingängige Namen.
- Der Big Freeze etwa beschreibt ein All, das sich ewig weiter ausdehnt, bis alle Sterne erlöschen und selbst die letzte Wärme versiegt – ein kosmischer Kältetod.
- Beim Big Rip hingegen würde die Dunkle Energie immer stärker werden, bis sie die Schwerkraft besiegt und schließlich selbst Atome auseinanderreißt.
- Der Big Crunch ist das Gegenstück zum Urknall: das große Zusammenfallen allen Seins.
- Und schließlich der Big Splat, ein Modell, in dem unser Universum auf einer vierdimensionalen Membran ruht, die mit einer anderen kollidiert – wodurch ein neuer Urknall ausgelöst wird.
Nach der Entdeckung der Dunklen Energie Ende der 1990er-Jahre schien die Frage nach dem kosmischen Ende entschieden. Wenn diese mysteriöse Kraft wirklich dauerhaft und unverändert wirkt, würde sie das All für immer auseinander treiben. Der Big Freeze galt als nahezu sicher: ein kaltes Ende in unendlicher Leere. Doch neuere theoretische Berechnungen stellen dieses Szenario in Frage – und zeichnen ein überraschend anderes Bild vom Schicksal des Universums.
Universum am Ende: Neue Berechnungen geben ihm ein Ablaufdatum
Dieses neue Bild vom Ende des Kosmos stammt aus einer aktuellen Studie von Hoang Nhan Luu vom Donostia International Physics Center in Spanien, Yu-Cheng Qiu von der Shanghai Jiao Tong University in China und Henry Tye von der Cornell University in den USA. In ihrer Arbeit „The Lifespan of Our Universe“ schlagen die Forschenden ein Modell vor, das die gängige Vorstellung von einer ewigen Ausdehnung des Alls infrage stellt – und ihm ein Ablaufdatum verpasst.
Demnach wird das Universum nicht unendlich weiterbestehen, sondern nach rund 33 Milliarden Jahren enden. Da seit dem Urknall bereits 13,8 Milliarden Jahre vergangen sind, läge der Kosmos also deutlich über der Hälfte seiner Lebenszeit. Laut der im „Journal of Cosmology and Astroparticle Physics“ veröffentlichten Studie wird sich das All noch etwa elf Milliarden Jahre weiter ausdehnen. Dann erreicht es seine maximale Größe – ungefähr das 1,7-Fache seiner heutigen Ausdehnung. An diesem Punkt, so schreiben Luu und seine Kollegen, kommt die Expansion zum Stillstand.
Danach beginnt eine langsame Umkehr: Das Universum zieht sich wieder zusammen. In weiteren acht Milliarden Jahren, so das Modell, endet alles in einem Big Crunch – einem gewaltigen Kollaps, bei dem Raum, Zeit und Materie in eine unendlich dichte Singularität stürzen. Henry Tye fasst das so zusammen: „In den vergangenen zwanzig Jahren glaubten die Menschen, die kosmologische Konstante sei positiv und das Universum werde sich für immer ausdehnen“, sagt er in einer Mitteilung der Cornell University. „Doch die neuen Daten deuten darauf hin, dass sie negativ sein könnte – und dass das Universum schließlich kollabiert.“

Big Crunch: Wie das Universum im eigenen Gewicht versinken könnte
Im Zentrum dieser Überlegungen steht die sogenannte kosmologische Konstante, meist mit dem griechischen Buchstaben Λ (Lambda) bezeichnet. Albert Einstein führte sie einst in seine Allgemeine Relativitätstheorie ein, um die Energie des leeren Raums zu beschreiben. Vereinfacht gesagt:
- Wenn Lambda positiv ist, wirkt es wie eine unsichtbare Abstoßung: Alles im Universum wird ein bisschen voneinander weggedrückt. Das hilft dabei, dass sich das Universum immer weiter ausdehnt.
- Wenn Lambda negativ ist, ist es eher wie eine zusätzliche Anziehung: Es zieht alles ein wenig stärker zusammen, zusätzlich zur normalen Schwerkraft. Auf sehr langen Zeitskalen könnte das dazu führen, dass die Ausdehnung stoppt – und das Universum irgendwann wieder in sich zusammenfällt.
Lange Zeit ging die Mehrheit der Physikerinnen und Physiker davon aus, dass Lambda positiv sein muss, um die beobachtete beschleunigte Expansion des Universums zu erklären. Tye und sein Team argumentieren nun, dass die besten Übereinstimmungen mit aktuellen Daten auf ein leicht negatives Lambda hinweisen – wenn man ein weiteres Element mit ins Spiel bringt: das Axionfeld.
Axionen sind hypothetische, also bisher nicht nachgewiesene Teilchen. Man kann sie sich als extrem leicht und unsichtbar vorstellen, verteilt als gleichmäßiges Feld im gesamten Raum. In der Frühzeit des Universums, so das Modell, könnten Axionen eine ähnliche Rolle wie die Dunkle Energie gespielt haben: Sie hätten die Ausdehnung des Alls angetrieben. Mit der Zeit aber, so die Idee, verliert dieses Axionfeld an Wirkung. In Tyes Modell passiert dann Folgendes: Solange das Axionfeld stark genug ist, dehnt sich das Universum weiter aus. Wenn der Effekt nachlässt, bremst die Expansion ab, kommt zum Stillstand – und kehrt sich schließlich um.
Tye veranschaulicht das mit einem Bild: Ein Fahrrad rollt einen Hügel hinauf. Solange Rückenwind herrscht, kommt es voran. Doch irgendwann lässt der Wind nach, das Rad bleibt stehen – und rollt dann langsam, dann immer schneller wieder zurück.
DESI-Messungen: Die Dunkle Energie scheint schwächer zu werden
Auch Beobachtungsdaten aus jüngster Zeit stützen zumindest die Möglichkeit, dass sich die Dunkle Energie verändert. Das Dark Energy Spectroscopic Instrument (DESI), ein Großprojekt im US-Bundesstaat Arizona, vermisst seit einigen Jahren die Positionen von Millionen Galaxien. Aus dieser gewaltigen Datenmenge lässt sich rekonstruieren, wie schnell sich das Universum zu verschiedenen Zeiten ausgedehnt hat.
Erste Auswertungen deuten darauf hin, dass die Dunkle Energie in jüngerer Zeit etwas schwächer geworden sein könnte. Das Universum dehnt sich zwar weiter aus, möglicherweise aber nicht mehr ganz so stark beschleunigt wie zuvor. Die Forschenden betonen jedoch, dass diese Hinweise noch unsicher sind. Auch in der Fachwelt gibt es Vorbehalte: Eine Gegenanalyse von Wang und Mota, veröffentlicht auf „arXiv“, kommt zu dem Schluss, dass die verschiedenen Datensätze – also die unterschiedlichen Messungen und Beobachtungen – derzeit nicht gut genug zusammenpassen, um sicher sagen zu können, ob sich die Dunkle Energie tatsächlich verändert.
Ob das Universum tatsächlich auf einen Big Crunch zusteuert, bleibt offen. Die Modelle sind empfindlich, die Messungen voller Unsicherheiten, und vieles, was heute berechnet wird, ist noch immer Theorie. Sicher scheint nur: Für den Moment scheint der Himmel unverändert, die Galaxien ziehen lautlos davon, während das Universum wächst.
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Doch in den Formeln und Daten, tief in der Struktur der Raumzeit, liegt womöglich schon die Vorahnung seines Endes. Und vielleicht, wenn Henry Tye recht behält, endet die Ewigkeit in einem einzigen Augenblick – dem Big Crunch.