Dass der Friedrichsbau auf dem Pragsattel in dieser Premierennacht den goldenen und nicht den roten Teppich ausrollt, wirkt fast trotzig wie ein funkelndes Statement in Zeiten, die alles andere als golden sind. Die Stadt Stuttgart muss sparen, angeblich pauschal um 20 Prozent – ein „Rasenmäherprinzip“, das auch die Kultur trifft und Häuser wie das Friedrichsbau Varieté an ihre Grenzen bringt.

Doch die Premiere der neuen 1920er-Jahre-Show „Größenwahn“ beweist: Das Varieté hat treue Fans, die das Traditionshaus lieben und ihm in schweren Zeiten helfen wollen. Viele Gäste kommen stilecht im Gewand der „Roaring Twenties“ und machen den Abend zu einem Gesamtkunstwerk aus Inszenierung, Mode und gelebter Kulturbegeisterung. Man sieht Knickerbockerhosen und Smoking bei den Herren, Pailletten, Perlen und Hütchen bei den Damen. Und bei allen viel gute Laune.

„Demokratie verteidigen: Parallelen zu den 1920er Jahren“

Hatte das Land nicht schon früher Probleme? Varieté-Chef Timo Steinhauer verweist in seiner Begrüßung im ausverkauften Haus auf frappierende Ähnlichkeiten zwischen den damaligen und den heutigen Zwanzigerjahren. Damals wie heute seien die Zeiten angespannt, damals wie heute hätten rechte Kräfte an Stärke gewonnen. Sein Appell, sich für die Demokratie einzusetzen und wachsam zu bleiben, wird mit starkem Beifall bedacht.

Varieté-Chef Timo Steinhauer (rechts) mit dem früheren CSD-Sprecher Detlef Raasch und Brigitte Loesch von den Grünen. ´ Foto: Klaus Schnaidt „Kürzungen bedrohen Existenz des Friedrichsbau Varietés“

Bei der Premierenfeier nach einer Show, die viele begeistert, spricht Steinhauer vor Ehrengästen, darunter Stadträte, die Existenzbedingungen seines Hauses an. Die drohenden Kürzungen stellen das Varieté vor ernsthafte Herausforderungen, worauf der Direktor hinweist: Zwar habe man eine „sehr gute Eigenfinanzierung von über 90 Prozent“, doch das neue Jahr bringe Unwägbarkeiten, die ihn ängstigten. Die bisher guten Einnahmen lägen nicht zuletzt an Buchungen von Firmen. Doch angesichts der Wirtschaftslage müsse man mit einem drastischen Rückgang der Firmenengagements rechnen. Hinzu käme, dass die Stadt Fördergelder kürzt – in welcher Höhe das den Friedrichsbau trifft, ist noch nicht bekannt.

Darüber koste die Mindestlohnerhöhung dem Friedrichsbau mehrere tausend Euro pro Jahr, gleichzeitig müsse bei wachsende Aufwände für Verbrauch, Reinigung und vieles mehr finanzieren. „Alle Komponenten zusammen belasten uns sehr“, so Steinhauer.

Das Haus habe seine „Hausaufgaben gemacht“. Schon längerer Zeit reduzierte der Chef die Zahl der Eigenproduktionen von vier auf drei im Jahr. Die Stadt hat den Kultureinrichtungen empfohlen, zu sparen, indem man weniger Programme auf die Bühne bringt. Doch nur noch zwei Shows im Jahr kommen für ihn nicht in Frage. Bei der Qualität könne man nicht streichen, so Steinhauer: „Dann schaufelt man sich das eigene Grab.“

Die Lage ist ernst – doch vielleicht ist genau dies der Grund zu feiern, um damit die Bedeutung in Kultur zu unterstreichen. Die Premierengäste – viele stilecht in 20er-Jahre-Outfit – stehen es so. Moderator Jens Zimmermann, der Vorsitzende des Weindorf-Vereins Pro Stuttgart, knüpft an Steinhauers Worte an: „Wir sind jetzt wieder in den 20er Jahren und der Angriff von rechts ist ähnlich wie vor 100 Jahren. Wir müssen die Demokratie verteidigen und das Leben leben.“

„Größenwahn“: Artistik und Nostalgie im Berliner 1920er-Stil

Dass „Größenwahn“ diesen Spagat schafft, bestätigten im Anschluss zahlreiche Premierenbesucher. Die Show verbindet Artistik, schillernde Kostüme und die unverwechselbare Musiker der Berliner 1920er – verbunden mit einem atmosphärischen Unterton, der an die Brüche der Epoche erinnert.

Boss-Model Anni Hoyer ist begeistert: „Die Show ist kurzweilig und erfrischend. Eine Zeitreise mit Eleganz, tollen Stimmen und beeindruckender Akrobatik! Kunst auf hohem Niveau.“ Außerdem gesehen: Opernstar Helene Schneiderman, Künstlerin Christa Winter, Wirtin Sonja Merz, Kunsthändler Frank Zimmermann, Elvis-Interpret Nils Strassburg, Schauspieler Ralf Scharrer.

Sänger Damian Maiolini (Mitte) mit Moderator Jens Zimmermann (rechts) und Tam Gücklhorn, Manager bei Stadtkultur Stuttgart. Foto: Klaus Schnaidt Glanz und Glamour – aber ein Hauch von Vergänglichkeit

Der Pop- und Schlagersänger Damiano Maiolini, der gerade vom Auftritt beim Winter Pride aus Gran Canaria zurückgekehrt, aktuell in der Produktion von „The Voice of Germany“ steht und bald auf Tour mit Andy Borg geht, erlebt die Premiere als eine ebenso glamouröse wie nachdenkliche Veranstaltung: „Glanz und Glamour – aber dennoch lag ein Hauch von Vergänglichkeit in der Luft. Die Mischung dieses Stücks ist extrem spannend, sehr anders als viele Premieren, die ich bisher besucht habe. Die Moral des Abends hat mich besonders berührt: zu lieben, so viel es geht, und mit Aufmerksamkeit füreinander nicht zu sparen.“

Kultur als Fundament: Lebensfreude trotzt der Krise

So schillernd der goldene Teppich und die funkelnden Outfits – so deutlich die Botschaft des Abends: Kultur ist kein Luxus, sondern ein Fundament gesellschaftlicher Offenheit und Lebensfreude. Die Premiere von „Größenwahn“ ist nicht nur ein Fest im Stil der 1920er, sondern auch ein Statement für Zusammenhalt in schwierigen Zeiten. Lebensfreude ist vielleicht der stärkste Gegenentwurf zu Krise und Sparzwang.