Berlin – Rentenstreit, Migrationsdebatte, Wirtschaftskrise und ständiger Zoff in der schwarz-roten Koalition – es sind hitzige Zeiten in der Politik. Wie kam Deutschland in die Dauerkrise und wie kann es besser werden?
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„Wir haben eine Fülle von Problemen, die nicht gelöst werden und nur sehr zögerlich gelöst werden“, sagt der renommierte Schriftsteller und Jurist Ferdinand von Schirach im Podcast von BILD-Vize Paul Ronzheimer.
Auch dadurch habe sich die Stimmung im Land verändert. „Ich glaube, dass es sehr viel politischer ist, als es vor zehn Jahren war.“ Viel häufiger werde über Politik debattiert. „Und zwar immer nicht so, dass man ganz erfreut ist darüber“, erzählt er. Etwas, das er auch bei sich selbst festgestellt habe, sei der Vertrauensverlust in die Politik.
Bemerkenswert, so Schirach: Während der Großteil der Menschen hinter der Demokratie stünde, habe die Hälfte das Vertrauen in die Institutionen verloren.
▶︎ „Das ging (…) 2008 los mit der Finanzkrise, wurde dann ganz schlimm 2015 mit der Öffnung der Grenzen“, erklärt er. Dann folgten Pandemie, Ukraine, Krieg. Es sei offensichtlich, dass der Staat seinen hoheitlichen Aufgaben nicht besonders gut nachkomme, „und zum Teil auch sehr schlecht“.
Woran Deutschland wirklich krankt. Hören Sie jetzt das Gespräch von Paul Ronzheimer mit Ferdinand von Schirach. Bei Spotify, Apple Podcast oder im BILD-Player.
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Es müsse sich etwas ändern. „Und zwar etwas Grundlegendes und nicht so ein Flickwerk, hinten und vorne ein bisschen was drankleben und oben ein bisschen etwas wegschneiden.“ Rente, Migration, Sozialstaat oder Pünktlichkeit bei der Bahn – es gehe darum, „dass wir die Probleme tatsächlich lösen.“
„Irre gefährlich, dauernd Ankündigungen zu machen, die man nicht einhalten kann“
Bundeskanzler Friedrich Merz (70, CDU) hatte angekündigt, Syrer im großen Stil zurückzuführen. „Wir wissen heute, dass es nicht funktionieren kann“, kritisiert Schirach. Persönlich halte er Merz für integer und absolut anständig. Aber: „Politisch ist es sehr zweifelhaft und irre gefährlich, dauernd Ankündigungen zu machen, die man nicht einhalten kann. Ich würde als Bundeskanzler sagen, ich will das machen, und dann mache ich das auch.“
Alles andere verstärke den Vertrauensverlust in die Politik – und führe dazu, dass radikale Parteien wie die AfD gewählt werden. „Es gibt Protestwähler bei der AfD, überhaupt keine Frage, aber es gibt auch sehr viele Leute mittlerweile, die von den Zielen, die die AfD propagiert, überzeugt sind“, so Schirachs Analyse.
Ferdinand von Schirach im Podcast: Deutschland hat ein Problem!
Quelle: BILD / RONZHEIMER.22.11.2025
AfD-Verbot „in weiter Ferne“
Allerdings laufe in der Debatte um die AfD vieles falsch – auch bei der Forderung eines Parteiverbots. „Das scheint mir noch ziemlich in weiter Ferne zu sein“, vermutet der Jurist. Er habe den Bericht des Verfassungsschutzes gelesen, der die AfD als gesichert rechtsextrem einstuft. Von den rund 1000 Seiten könne man 700 wegstreichen, weil sie keine Hinweise auf die Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung enthielten. Für ein AfD-Verbot reiche das nicht – „nach allem, was ich da gelesen habe“.
Es sei aber auch falsch, zu glauben, durch eine Beteiligung an einer Regierung könne man die AfD „entzaubern“, weil sie Versprechen nicht umsetzen könne. „Ich gebe doch nicht irgendjemandem meine Wohnungsschlüssel und sag dann, ich hoffe, er findet das Schlüsselloch nicht.“
Auch sei „die Idee mit der Brandmauer relativ gefährlich“, meint Schirach. Es sei unbedeutend, wenn die AfD einem Antrag im Bundestag zustimmt. „Ich glaube, dass Friedrich Merz mit einem Satz recht hatte: Etwas Richtiges wird nicht falsch, weil die Falschen ihm zustimmen.“