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Die lange Wartezeit in Pakistan endet für einige Afghan:innen. Andere fürchten eine Abschiebung. Welche Rolle spielt das Innenministerium?
Berlin/Islamabad – Erneut klagten Menschen aus Afghanistan erfolgreich auf Visa-Erteilung: Zum sechsten Mal seit Beginn der schwarz-roten Regierung um Kanzler Friedrich Merz (CDU) konnten in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad ausharrende Afghan:innen mit Aufnahmezusage nach Deutschland einreisen: Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sprach am Donnerstagabend (20. November) von 52 Personen, die in Berlin und Hannover landeten.
Afghanische Familien warten am Flughafen in Islamabad auf ihre Ausreise nach Deutschland. © Nabila Lalee/dpa
Alexander Dobrindts (CSU) Innenministerium gewährt nur noch solchen Menschen Visa, die den juristischen Weg erfolgreich durchschritten haben – trotz eines ehemaligen Aufnahmeversprechens für diejenigen, die vor der Übernahme Afghanistans durch die radikalislamitische Taliban für Deutschland gearbeitet oder sich für eine Demokratisierung des Landes eingesetzt hatten. Wie die Initiative Kabul Luftbrücke aktuell berichtet, seien mehr als 150 Klagen auf Visa-Erteilung am Verwaltungsgericht Berlin anhängig und täglich würden weitere Klagen eingereicht.
Nach erfolgreicher Klage durch Afghaninnen: BAMF entzieht Aufnahmezusage
Die Gerichte entscheiden meist zugunsten der Betroffenen: Mehr als 50 Verfahren gingen zugunsten der Antragsteller aus; über 30 positive Beschlüsse wurden in zweiter Instanz vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigt. Trotz dieser eindeutigen Rechtsprechung und der Androhung von Zwangsgeld gegenüber der Bundesregierung durch die Justiz scheint sich Schwarz-Rot nicht an deutsche Aufnahmezusagen gebunden zu fühlen. Der Trick ist immer der gleiche: Hat jemand erfolgreich geklagt, wird häufig die erteilte Aufnahmezusage durch das BAMF entzogen. Die ist aber die Grundlage für ein Visum.
Wie die Luftbrücke Kabul dokumentiert, würden auch diese Widerrufsversuche des Innenministeriums als rechtswidrig eingestuft. Dies zeigten Klagen gegen das Vorgehen, welches von zuständigen Verwaltungsgerichten, etwa dem Verwaltungsgericht Ansbach und zweitinstanzlich dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, als „rechtswidrig“ zurückgewiesen würde. Für die Betroffenen, meist Familien, ist das ein schwacher Trost: Sie bekommen zwar recht, die Aufnahmezusagen behalten ihre Gültigkeit. Die Einreise nach Deutschland wird aber um Wochen verzögert, weshalb sie der Gefahr der Abschiebung durch pakistanische Behörden ausgesetzt sind.
Unterdrückung in Afghanistan: Frauen und Mädchen leiden unter dem Taliban-Regime
Fotostrecke ansehenBlamage für Dobrindt: Geldangebot an Afghan:innen findet kaum Resonanz
Dass die Bundesregierung alles daran setzt, die Menschen aus Afghanistan nicht aufzunehmen, zeigt der jüngste Coup von Dobrindt: Um die 700 Menschen erhielten eine E-Mail mit dem Angebot von Geld- und Sachleistungen, sollten diese nach Afghanistan zurückkehren. Nach Ablauf der zweiwöchigen Frist am Abend des 17. November nahmen lediglich zehn Familien (62 Menschen) das Angebot an, was einer Annahmequote von unter 10 Prozent entspricht.
Warum sich trotz Gefahr für Leib und Leben Familien entschlossen haben, das Geld anzunehmen, dürfte am Zeitdruck liegen: Pakistan hat längst angekündigt, ab 2026 auch Afghan:innen mit Aufnahmezusage abzuschieben. Diese Familien sehen offenbar keine Chance mehr auf eine Einreise nach Deutschland. Andererseits zeigt die Zahl auch, wie groß die Angst der Menschen vor den Taliban sein muss, dass sie trotz der Methoden des Bundesinnenministeriums die Hoffnung nicht gänzlich aufgegeben haben, die rettenden Visa zu erhalten.
Auszug des Briefs an die Bundesregierung nach der Geld-Offerte
Wir alle haben eine offizielle Aufnahmezusage der deutschen Regierung und warten seit Monaten und seit Jahren unter Ihrem Schutz in Pakistan und in Kabul auf unsere Evakuierung. Wir lernen gerade schmerzhaft, dass die neue Bundesregierung Deutschlands mit immer neuen Wegen versucht, den versprochenen Prozess zu beenden – ungeachtet der Tatsache, dass dadurch unser Leben in akute Gefahr von Tod und Gewalt gerät. (…)
Mit diesem Schreiben möchten wir jetzt darauf aufmerksam machen, dass das Bundesinnenministerium der Bundesrepublik Deutschland vielen von uns ein Angebot unterbreitet hat, das für uns zutiefst unverständlich und verletzend ist: Wir werden darin indirekt aufgefordert, gegen eine finanzielle Entschädigung auf unseren lebenswichtigen Schutz zu verzichten. Ein solches Angebot gibt uns das Gefühl, dass unser Leben und das unserer Familien nur eine Summe von Euros bedeutet.
Wir sind vor Bedrohung und Tod geflohen und haben bei Ihnen Schutz gesucht. Vor dem Krieg und der Taliban waren wir in unserer Heimat Menschen mit Aufgaben, mit Verantwortung, mit Würde. Wir sind nicht vor Armut geflohen, sondern vor Gewalt und Tod. (…) Wir haben uns nicht wegen Geld in Ihren Schutz begeben – wir wollten und mussten der Taliban-Herrschaft entkommen, um zu überleben. (…)
Jetzt, nach Erhalt dieser Briefe, verbringen wir Tage und Nächte in Tränen. Wir sind Menschen und wir brauchen etwas ganz anderes als dieses Geld. Viele von uns haben mit Deutschland zusammengearbeitet und wertvolle Lebensjahre an Ihrer Seite verbracht. Wir waren wichtige Verbündete, Kameraden, Mitstreiter und Freunde. Deutschland steht für uns symbolisch für Menschlichkeit, Worttreue und für Aufrichtigkeit. Es trifft tief unsere Herzen, wenn jemand uns mit Geld dazu bewegen will, dass wir unsere Sicherheit verkaufen – und einige von uns auch ihr Leben. (…) Wir können nicht zurück nach Afghanistan. Diese Rückkehr würde für viele von uns brutal und gewaltsam enden.
Unterzeichnende: Menschen mit Aufnahmeberechtigung gemäß §22 Aufenthaltsgesetz der Bundesrepublik Deutschland, derzeit in Kabul und in Pakistan, darunter u.a. Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, Journalistinnen und Journalisten, Richterinnen und Richter.
(Quellen: Kabul Luftbrücke, dpa, eigene Recherche) (ktho)