An diesem Wochenende wird in Hamburg viel gelaufen – der Marathon mit mehreren Neben-Wettbewerben wird im Herzen der Stadt ausgetragen. Dabei sind etliche Spitzenläufer, aber auch bei den Amateuren ist die Nachfrage wieder deutlich gewachsen. Organisator Frank Thaleiser erklärt sein Konzept.

Die kurzen blauen Striche, die jetzt seit einigen Wochen wieder etliche Hamburger Straßen zieren, sind ein untrügliches Zeichen: Der Haspa Marathon Hamburg kündigt sich mit dieser Ideallinie an. Am Sonntag (27. April) wird sich wieder eine immer länger werdende Schlange von rennenden, laufenden, joggenden und am Ende dieses Lindwurms nur noch mühsam gehenden Menschen über 42,195 Kilometer Richtung Ziel bewegen.

Wer dabei die Sieganwärter an mehreren Stellen der Strecke und beim Zieleinlauf live sehen will, muss sich mit U- und S-Bahn oder dem Fahrrad schon ein wenig beeilen und sich zuvor einen guten Plan zurechtgelegt haben. Denn nur etwas mehr als zwei Stunden nach dem Start um 9.30 Uhr auf der Karolinenstraße werden die Ersten eben dort wieder erwartet.

Marathon-Chef Frank Thaleiser, 58, und die niederländische Agentur Global Sports Communication haben für die 39. Auflage des Hamburger Stadtmarathons, gleich drei Männer verpflichtet, die einen Marathon schon in weniger als 2:04 Stunden absolviert haben. Und so sind der Kenianer Amos Kipruto (2:03:13) sowie die Äthiopier Guye Adola (2:03:36) und Kinde Atanaw (2:03:51) per se die Topfavoriten auf den Sieg und auch Anwärter darauf, den vor zwei Jahren vom Kenianer Bernard Koech aufgestellten Streckenrekord von 2:04:09 Stunden zu brechen. Noch bis 2008 hätte diese Zeit auch Weltrekord bedeutet. Inzwischen liegt dieser bei 2:00:35 Stunden, 2023 in Chicago aufgestellt vom Kenianer Kelvin Kiptum, der im vergangenen Jahr tragischerweise bei einem Autounfall im Alter von nur 24 Jahren ums Leben kam.

Im Zusammenhang mit möglichen Rekorden in diesem Jahr warnt Frank Thaleiser vor zu hohen Erwartungen. „Es ist bei unseren drei Topläufern schon ein wenig her, dass sie ihre Bestzeiten gelaufen sind. Vor allem aber hängt immer sehr viel vom Wetter ab und davon, wie lange die Führenden im Rennen zusammenbleiben und wie gut diese Gruppe funktioniert“, sagt der Marathon-Chef im Gespräch mit der WELT.

Er nennt in diesem Zusammenhang das Beispiel aus dem vergangenen Jahr, als Titelverteidiger Bernard Koech lange auf einem guten Weg war, seinen eigenen Streckenrekord zu verbessern und auch die Marke von 2:04 Stunden zu brechen. „Doch die letzten Kilometer lief er allein und konnte bei allem Bemühen das Tempo nicht mehr ganz halten. Es ist eben ein Unterschied, wenn am Ende noch zwei oder drei um den Sieg kämpfen“, berichtet Thaleiser. Die Zeit von 2:04:24 Stunden war dennoch aller Ehren wert. 66 Sekunden vergingen, ehe der Äthiopier Haymanot Alew als Zweiter ins Ziel kam. „Für mich ist ein Rennen nicht nur dann gut, wenn es einen neuen Streckenrekord gibt, sondern auch, wenn zwei oder besser drei Athleten es in unsere ewige Top-Ten-Liste schaffen“, sagt Thaleiser. 2:05:37 Stunden sind dafür zu unterbieten.

Als aussichtsreichster Deutscher wird diesmal Richard Ringer, 36, starten. Der Marathon-Europameister vom LC Rehlingen war zuletzt am 1. Dezember 2024 beim stark besetzten Marathon in Valencia 2:05:46 Stunden gelaufen. „Da er damit die Norm für die Weltmeisterschaft im September in Tokio bereits erfüllt hat, kann er jetzt in Hamburg ein gewisses Risiko eingehen“, sagt Thaleiser. Soll heißen: Ringer könnte von Anfang an ein noch etwas höheres Tempo als bei seiner bisherigen Bestleitung in Valencia anschlagen, um sich nochmals zu steigern.

Nach den derzeitigen Vorhersagen könnte das Wetter tatsächlich mitspielen. Maximal 13 Grad Celsius am Vormittag, kein Regen und ein mäßiger Wind wurden zuletzt prognostiziert. Das ist für Hobbyläufer und Zuschauer ebenso wie für die Topleute geradezu ideal.

„Das größte Problem für gute Zeiten an der Spitze ist immer ein böiger Wind“, weiß Frank Thaleiser. „Die Statistiken zeigen dabei aber, dass die Frauen davon weniger beeinträchtigt werden als die Männer“. Der plausible Grund dafür ist, dass bei den Männern die Pacemaker, also die sogenannten „Hasen“, in aller Regel nicht bis zum Ende durchlaufen, sondern nach 30 bis 35 Kilometern aussteigen. Auf den entscheidenden Kilometern sind die Topläufer dann selbst dem Gegenwind ausgesetzt. Bei den Frauen bieten die männlichen Tempomacher, die meist auch mehr Körperfläche vorweisen, dagegen Windschatten bis zum Ende.

Welch guten Ruf sich der Haspa Marathon in der Szene erworben hat, zeigte jetzt das Beispiel von Brigid Kosgei. Die 31 Jahre alte Kenianerin, die 2019 ebenfalls in Chicago Weltrekord (2:14:04) gelaufen war, fragte kürzlich von sich aus an, ob sie in Hamburg laufen könne. Nachdem sie 2024 wegen gesundheitlicher Probleme auf einen Herbstmarathon verzichtet hatte und sich für den Tokio-Marathon am 2. März noch nicht fit genug fühlte, suchte sie jetzt ein geeignetes Rennen, um wieder einzusteigen.

„Brigid hätte auch am selben Tag in London laufen können, doch dort wäre sie nur eine unter mehreren Topathletinnen gewesen und hätte zum Beispiel keinen eigenen Tempomacher haben können“, sagt Thaleiser. In Hamburg erfährt sie hingegen eine individuelle Betreuung nach ihren Wünschen. Dass der Frauen-Streckenrekord an Elbe und Alster von 2:17:23 Stunden, aufgestellt 2022 durch Yalemzerf Yehualaw, fallen könnte, ist dank Kosgeis Start also nicht unrealistisch, zumal die Strecke bei guten Bedingungen auch im internationalen Vergleich als schnell gilt.

Hamburg setzt auf eine Nische

Grundsätzlich aber bleibt es dabei, dass Hamburg im internationalen Konzert der großen Marathons darauf angewiesen ist, interessante Nischen zu besetzen, also Top-Athleten nach einer Pause einen Wiedereinstieg zu ermöglichen sowie auf aussichtsreiche Marathon-Einsteiger zu bauen. Rund 300.000 Euro stehen für Antrittsgelder und Prämien für die Spitzenläuferinnen und -läufer zur Verfügung bei einem Gesamtetat von knapp 3,5 Millionen Euro. „Diese Summe wendet London allein für die Eliteläufer auf“, rechnet Thaleiser vor. „Selbst wenn wir 200.000 Euro mehr für die Topläufer ausgeben, würde das grundsätzlich an den Verhältnissen nicht viel ändern.“

Eine potenziell aussichtsreiche Marathon-Einsteigerin im Hamburger Feld ist die Norwegerin Karoline Grøvdal, 34, die im vergangenen Sommer in Rom Europameisterin im Halbmarathon wurde und nun in ihre Karriere auf der doppelten Distanz startet. „Sie ist eine sehr interessante Läuferin und wäre nicht die erste, die bei uns im ersten Marathon Außerordentliches leistet“, sagt Thaleiser.

Bestes Vorbild in dieser Hinsicht ist Eliud Kipchoge. Zwölf Jahre ist es mittlerweile her, dass der heute 40 Jahre alte Kenianer auf Hamburgs Straßen sein Marathon-Debüt gab, Streckenrekord lief und damit die Grundlage für seine Weltklasse-Karriere legte. Zweimal verbesserte er in Berlin (2018 und 2022) den Weltrekord und war 2019 der erste Mensch, der die Distanz unter zwei Stunden (1:59:40) lief. Dieser Lauf im Wiener Prater fand allerdings quasi unter Laborbedingungen statt, auf einem absolut flachen, nur gut 350 Meter langen Rundkurs und mit ständig wechselnden Tempomachern bis zum Ende. Als offizieller Weltrekord gilt diese Zeit damit nicht. Doch angesichts einer zuletzt schon fast revolutionären Weiterentwicklung der Laufschuhe mit einer Art Trampolineffekt erwarten Experten, dass in absehbarer Zeit die Zwei-Stunden-Marke auch in einem regulären Wettkampf fällt.

Marathon ist als Hobby wieder angesagt

Derweil wird Frank Thaleisers Blick nach dem Rennen nicht nur auf die Zeiten der Sieger, sondern auf die Ergebnisse der bis Rang acht Platzierten gerichtet sein. Diese Werte sind als Summe für ein Ranking der weltweiten Marathonläufe, neben den Weltranglistenplatzierungen der Teilnehmer, maßgeblich. So schaffte es der Haspa Marathon 2024 auf den sechsten Rang und ließ dabei einige, finanziell deutlich besser aufgestellte Events wie Rotterdam (8.) und Dubai (9.) hinter sich.

Unter den Hobbyläufern ist unterdessen geradezu ein neuer Marathon-Boom zu spüren. Bereits am 29. November hieß es „ausverkauft“. Alle 15.000 Startnummern für den vollen Marathon waren so früh wie nie zuvor vergeben. Sogar noch um einiges früher waren auch die 4500 Startplätze für den Halbmarathon (Start 8.25 Uhr) und die 1500 Tickets für die Staffel (je vier Teilnehmer) an die Läufer gebracht. „Wir sehen hier ganz klar einen Effekt durch Corona. Laufen war die erste Sportart, die in der Pandemie eine wieder betrieben werden durfte. Jetzt sind viele, die damals damit angefangen und dabeigeblieben sind, so weit, dass sie sich einen Marathon zutrauen“, analysiert Thaleiser.

Zu den insgesamt also 25.500 Teilnehmern am Sonntag kommen tags zuvor beim „Zehntel“ noch einmal 12.000 Kinder und Jugendliche. Es ist damit weiterhin Deutschlands größter Lauf für Schülerinnen und Schüler. Hier hieß es übrigens schon 71 Minuten nach dem Start der Anmeldung: „Ausverkauft“.

Zur 40. Auflage des Hamburger Marathons im kommenden Jahr plant Thaleiser, die Kapazitäten zu erhöhen, was nicht unerhebliche logistische Herausforderungen mit sich bringt. Gespräche dazu sind bereits angelaufen. Bereits jetzt prognostiziert der Marathon-Chef: „Wir werden bei diesem Jubiläum noch früher als jetzt ausverkauft sein.“

Carsten Harms