Kiel. Es ist ein Stochern im Nebel, ein Fischen im Trüben: Vor einer Kommunalwahl verlässliche Prognosen über den Ausgang abzugeben, ist kaum möglich. Anders als bei Bundes- oder Landtagswahlen gibt es keine Umfragewerte. Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel möchte das ändern. Die neue Forschungsstelle Landes- und Kommunalpolitik am Institut für Sozialwissenschaften will künftig regelmäßig Analysen und Studien zu aktuellen politischen Themen im Land veröffentlichen. Eines der ersten Projekte: die Oberbürgermeisterwahl in Kiel.

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Der erste Wahlgang war bereits extrem spannend – zumindest im Kampf um Platz zwei. Und auch für die Stichwahl zwischen Gerrit Derkowski (parteilos für CDU und FDP) und Samet Yilmaz (Grüne) erwartet Prof. Christian Martin ein Kopf-an-Kopf-Rennen. „Es wird sehr knapp“, sagt der geschäftsführende Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften und zusammen mit Prof. Wilhelm Knelangen Gründungsdirektor der neuen Forschungsstelle Landes- und Kommunalpolitik.

Welche kommunalpolitischen Themen interessieren?

Einen knappen Ausgang der Stichwahl vorauszusagen, ist keine gewagte Prognose. Christian Martin kann seine Aussage allerdings anhand von Daten begründen. In der neuen Forschungsstelle haben der Politologe und sein Team das Stimmverhalten im ersten Wahlgang analysiert. „Landes- und Kommunalpolitik ist die Politik, die den Menschen am nächsten ist – und zugleich die, über die wir am wenigsten wissen. Mit der Forschungsstelle wollen wir diese Lücke schließen und systematisch untersuchen, wie Politik in den Ländern und Gemeinden funktioniert“, erklärt Martin.

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Prof. Christian Martin ist Gründungsdirektor der neuen Forschungsstelle Landes- und Kommunalpolitik.

Die Auswertung des ersten Wahlgangs hat ergeben, dass Gerrit Derkowski in Wahlkreisen mit einer hohen Wahlbeteiligung besonders gute Ergebnisse erzielt hat. „Es ist ihm gelungen zu mobilisieren“, sagt Christian Martin. Samet Yilmaz erhielt viele Stimmen aus Stadtteilen, in denen viele Bewohner einen akademischen Abschluss haben.

Gerrit Derkowski ist es gelungen zu mobilisieren.

Prof. Christian Martin

Gründungsdirektor Forschungsstelle Landes- und Kommunalpolitik

Das Verhalten der SPD-Anhänger wird den Ausgang der Stichwahl maßgeblich beeinflussen, analysiert Martin. Doch wie sich die Ulf-Daude-Wähler entscheiden werden, ist noch völlig offen. Martin glaubt nicht, dass alle SPD-Stimmen automatisch an Samet Yilmaz gehen, dem Kandidaten des grünen Kooperationspartners. Die SPD selbst hat noch keine Wahlempfehlung ausgesprochen.

SPD häufig zweitstärkste Kraft

Warum eine Prognose zum SPD-Verhalten schwer ist? Die Sozialdemokraten sind in rund zwei Dritteln aller Wahlkreise zweitstärkste Kraft geworden. In den Stadtteilen, in denen Derkowski die meisten Stimmen erhalten hat, landete in den meisten Fällen Ulf Daude deutlich vor Yilmaz auf Rang zwei. Dies spreche laut Martin dafür, dass beispielsweise in Schilksee, Meimersdorf oder Elmschenhagen SPD-Wähler eher zu Derkowski tendieren könnten. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Grünen im Kieler Zentrum mehrheitlich mit den Stimmen der Sozialdemokraten rechnen können.

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Die Analyse des ersten Wahlgangs beruht allein auf Strukturdaten der Bevölkerung. Welche Sachthemen die Wahl geprägt haben und welche Rolle die Kandidaten spielen, wurde nicht berücksichtigt. „Zu Inhalten haben wir keine Informationen. Wir können nur spekulieren“, sagt Martin.

Für Kommunalwahlen in der Zukunft, aber auch für andere Meinungsbilder im Land – etwa zum Bürgerentscheid zu Kiels Olympiabewerbung – kann sich die neue Forschungsstelle vorstellen, Prognosen abzugeben. Dabei helfen soll unter anderem die App Appnyx. Mit der Software eines Schweizer Unternehmens können Meinungen und Themen von Bürgern erfasst werden. Menschen aus Schleswig-Holstein können gezielt Fragen gestellt werden. Gleichzeitig kann auch die Bevölkerung Umfragen starten, auf deren Ergebnisse die CAU-Forschenden zurückgreifen können.

KN