24. November 2025

Bernd Müller

Prozentmodell mit Münzstapel. Konzepte des Bankensystems, steigende Zinssätze, Inflation, Deflation und Ersparnisse.

(Bild: sommart sombutwanitkul / Shutterstock.com)

Die EU will Milliardenbeträge mobilisieren, die derzeit auf Girokonten liegen – und plant dafür ein System nach US-Vorbild.

Die Bürger der Europäischen Union könnten schon bald dazu angehalten sein, für ihre Rente mit Aktien und anderen Wertpapieren zu sparen. Die Beschäftigten sollen, so berichtet die Welt, automatisch in eine zusätzliche private Altersvorsorge aufgenommen werden.

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Automatische Aufnahme in Zusatzvorsorge

Als Grund dafür gibt die EU-Finanzkommissarin Maria Luís Albuquerque demnach an, dass sich viele zu spät um ihre Altersvorsorge kümmerten. Die EU-Kommission wolle sie deshalb animieren, früher als bisher zu sparen.

Aber, so sagte sie laut Welt, niemand solle gezwungen werden. Wer keine zusätzliche Altersvorsorge aufbauen möchte, könne sich über eine Opt-out-Möglichkeit wieder austragen.

In gewisser Weise kopiert die EU-Kommission damit das Vorbild USA. Dort nutzen über 90 Millionen Beschäftigte sogenannte 401(k)-Konten, bei denen automatisch ein Teil des Gehalts in Aktien oder Fonds fließt. Auch Großbritannien, Italien und Polen kennen ähnliche Modelle.

Bislang handelt es sich dabei nur um eine Empfehlung der EU-Kommission. Noch muss kein Mitgliedsstaat das System einführen. Ein Interesse hat die EU-Kommission dennoch, dass möglichst viele EU-Bürger Teile ihrer Ersparnisse über dieses Rentenmodell an die Finanzmärkte bringen.

Der Grund dafür liegt in dem doppelten Problem, vor dem die EU steht: Einerseits fehlen bis 2030 jährlich 750 bis 800 Milliarden Euro für Investitionen in Digitalisierung, Klimaschutz und Verteidigung. Andererseits liegen rund zehn Billionen Euro privater Ersparnisse weitgehend ungenutzt auf Bankkonten – etwa 70 Prozent der Haushaltsvermögen in der EU.

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Was ist die Spar- und Investitionsunion?

Die EU-Kommission will beides zusammenbringen: mit der Spar- und Investitionsunion, kurz SIU. Im Kern geht es darum, Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger in produktive Investitionen zu lenken und gleichzeitig die Altersvorsorge zu verbessern.

Die SIU ist eine Initiative, die im Frühjahr 2025 gestartet wurde. Sie soll den Zugang zu Kapitalmärkten erleichtern und Ersparnisse mobilisieren. Die Strategie umfasst, so die Unternehmensberatung KPMG, vier Bereiche: Bürger und Sparvermögen, Investitionen und Finanzierung, Integration und Größe sowie eine effiziente Aufsicht im Binnenmarkt.

Erste Gesetzesentwürfe wurden für das zweite Halbjahr 2025 angekündigt, eine Halbzeitbilanz folgt im zweiten Quartal 2027, heißt von der EU-Kommission.

Einfacher Einstieg über Spar- und Investmentkonten

Parallel dazu empfiehlt die Kommission die Einführung sogenannter Savings and Investment Accounts, kurz SIAs. Diese Konten sollen es Beschäftigten ohne Vorkenntnisse ermöglichen, unkompliziert in Fonds, Aktien oder Anleihen zu investieren. Anbieten dürfen sie Banken, Wertpapierfirmen oder Neobroker.

Die Konten sollen online und offline nutzbar sein, der Wechsel zwischen Anbietern soll ohne hohe Gebühren möglich sein. Steuerliche Anreize und vereinfachte Prozesse – etwa durch automatische Steuererklärungen durch den Anbieter – sollen die Attraktivität erhöhen.

Sicherheit und Transparenz

Kapitalmarktanlagen unterliegen Schwankungen, bieten aber langfristig oft höhere Renditen als Bankeinlagen. Um das Risiko zu begrenzen, setzt die Kommission auf eine alte Börsenweisheit: Diversifikation. Anleger sollen ihr Geld breit streuen können – über verschiedene Produkte, Branchen und Regionen.

Zudem will die EU den Anlegerschutz stärken, etwa durch einheitliche Standards bei Beratung und Offenlegung im Rahmen der Retail Investment Strategy, heißt es bei den Wirtschaftsberatern KPMG.

Die Kommission empfiehlt außerdem Online-Plattformen, auf denen Beschäftigte ihre Rentenansprüche über verschiedene Systeme und Anbieter hinweg einsehen können. Wer innerhalb der EU umzieht, soll seine Anlageprodukte ohne Einschränkungen weiter besparen können.

Nutzen für Wirtschaft und Arbeitsplätze

Der Kerngedanke hinter der SIU ist, dass nicht nur die Altersvorsorge verbessert, sondern auch der Wirtschaft geholfen werden könnte. Denn, wenn mehr Kapital in die Unternehmen fließt, können sie, so die Theorie, leichter wachsen, Arbeitsplätze schaffen und höhere Löhne zahlen.

Besonders Start-ups und mittelständische Firmen haben oft Schwierigkeiten, an Eigenkapital zu kommen. Die Kommission will deshalb regulatorische Hürden abbauen, etwa durch einheitlichere Zulassungen für Fonds oder geringere Transaktionskosten.

Lehren aus der Kapitalmarktunion

Die SIU knüpft an die Kapitalmarktunion (CMU) an, die bereits 2015 gestartet wurde. Trotz zahlreicher Gesetze blieb der Erfolg begrenzt: Die durchschnittliche Marktfinanzierungsquote in der EU sank von 50,8 Prozent im Jahr 2015 auf 49,6 Prozent im Jahr 2024.

Der Wert von Börsengängen fiel auf etwa zehn Prozent des Niveaus von 2015, und die direkte Beteiligung von Haushalten am Kapitalmarkt ging leicht zurück. Strukturelle Hindernisse wie nationale Kompetenzabgrenzungen und die Vorliebe der Bürger, ihr Geld auf dem Girokonto liegenzulassen, blieben bestehen.

Ob die SIU jetzt diese Hürden überwindet, ist offen. Die Kommission setzt auf eine schrittweise Umsetzung und will zunächst Maßnahmen vorantreiben, die auf breitere Zustimmung stoßen – etwa Vereinfachungen bei Verbriefungen.

Umstrittenere Themen wie eine zentrale Kapitalmarktaufsicht werden zunächst zurückgestellt. Stattdessen sollen die bestehenden europäischen Aufsichtsbehörden gestärkt werden.