Die Total Factor Productivity (TFP) – also der technologische und organisatorische Fortschritt – wuchs in den USA seit 1995 doppelt so schnell wie im EU-Durchschnitt. In Deutschland lag sie meist unter 0,6 Prozent pro Jahr. Gleichzeitig stagniert das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland seit einigen Jahren, während die Zahl der Erwerbstätigen kontinuierlich auf über 45 Millionen Menschen gestiegen ist. Daraus folgt ein Rückgang der Arbeitsproduktivität – gemessen als BIP pro Beschäftigten.

Bürokratie macht unproduktiv 

Ein zentraler Grund für diese Entwicklung ist die lähmende Bürokratie. Laut aktuellen Umfragen sehen 85 Prozent der deutschen Unternehmen die Verwaltungsflut als ernstes Produktivitätshindernis. Die DSGVO und nationale Vorschriften haben allein in Deutschland über 300.000 zusätzliche Verwaltungsstellen geschaffen – mit begrenztem Mehrwert.

Diese Einschätzung wird durch den Nationalen Normenkontrollrat (NKR) gestützt, eine halbstaatliche Institution, die die Bundesregierung bei der Kontrolle von Bürokratiekosten berät. In seinem Jahresbericht 2023 stellte der NKR fest, dass der laufende Erfüllungsaufwand für Unternehmen eine „nie dagewesene Höhe“ erreicht hat – allein im Berichtszeitraum belief sich dieser auf mehrere Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kommen einmalige Kosten in Milliardenhöhe, die bei der Umsetzung neuer Vorschriften entstehen.

Der NKR fordert daher ein messbares Ziel zur Reduzierung der Bürokratiekosten, um die Wirtschaft spürbar zu entlasten.

Während andere Länder mit künstlicher Intelligenz neue Effizienzsprünge erzielen, ringt Deutschland noch mit der praktischen Umsetzung digitaler Standards und regulatorischer Vorgaben. Vor diesem Hintergrund könnte Künstliche Intelligenz (KI) große Produktivitätspotenziale freisetzen.

KI könnte helfen

Doch auch hier setzen Datenschutzanforderungen und der EU-AI Act enge Grenzen. Empirische Studien belegen dagegen in den USA bereits Produktivitätssteigerungen durch KI von zwölf bis 40 Prozent pro Arbeitsplatz – je nach Branche und Anwendung. Besonders in Finanzen, Softwareentwicklung und automatisierter Textanalyse ermöglichen KI-Lösungen deutliche Effizienzgewinne.

Der entscheidende Punkt ist damit weniger die Verfügbarkeit einzelner digitaler Anwendungen, sondern die konsequente Verzahnung von Prozessen über Verwaltung und Wirtschaft hinweg. Wie weit Deutschland vom digitalen Alltag moderner Volkswirtschaften entfernt ist, zeigt ein Blick nach Asien: In China genügt eine einzige App, um sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen – vom Bus bis zur Metro. Der Fahrpreis wird automatisch beim Verlassen der U-Bahn berechnet, ohne Tarifzonen, Papierfahrkarten oder Automatenstress.

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In München dagegen steht man noch vor dem Automaten und fragt sich, ob man „Innenraum“, „Zone M“ oder „Ringe“ wählen muss. Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Modernisierung im Nahverkehr bestehen auch deshalb, weil in vielen Weltstädten U‑Bahnen bereits seit Jahren fahrerlos fahren – in Deutschland hingegen bislang nur in Nürnberg.

Deutschland verfolgt Symbolprojekte 

Statt echte Produktivitätssprünge zu schaffen, beschränkt sich die Digitalisierung auf halbgare Symbolpolitik, die dem Bürger den Eindruck vermitteln soll, dass in Deutschland die Digitalisierung vorankommt: der digitale Personalausweis, der digitale Führerschein oder der digitale Kraftfahrzeugausweis sind technisch unausgereift, schwer nutzbar und kaum integriert. Sie zeigen vor allem eines – wie weit Deutschland noch davon entfernt ist, digitale Systeme wirklich in den Alltag einzubetten.

Während Estland seit über 20 Jahren sämtliche Behördengänge online abwickelt und in China Mobilität, Bezahlung und Verwaltung nahtlos ineinandergreifen, kämpft Deutschland noch mit Portalen wie Elster, bei denen Freischaltcodes per Post notwendig sind, PDF-Formulare ausgedruckt werden müssen und manche Funktionen nur eingeschränkt in bestimmten Browsern laufen.

Implikationen für Investoren

Solange die Digitalisierung hierzulande primär der Bürokratieerleichterung der Verwaltung dient – und nicht der Produktivität der Bürger und Unternehmen – bleibt Deutschland das Land der Downloadformulare im Zeitalter der KI. Für Investoren bedeutet das: Eine dauerhaft schwache Produktivitätsdynamik belastet mittelfristig Standortattraktivität und Gewinnwachstum – und erhöht den Druck auf Unternehmen, Effizienzgewinne stärker aus eigener Kraft zu realisieren.


Foto: FV Frankfurter Vermögen

Über den Autor: 

Jürgen Brückner, Portfoliomanager beim Vermögensverwalter FV Frankfurter Vermögen in Bad Homburg/ Königstein.