Es gibt die gute, gesunde Wut, die sich äußern kann, einen Adressaten findet und im idealen Fall zur Lösung eines Konflikts führt. Und es gibt das, was Caro Matzko „alte Wut“ nennt. Ein diffuses Gefühl, „das vor sich hin suppt“, aber man wisse nicht, wer schuld sei. Diese „alte Wut“ wählte sie als Titel ihres Buchs, das sie im Kontext der Münchner Bücherschau im ausverkauften Saal im Haus der Kunst gemeinsam mit Hannes Ringlstetter vorstellte.
Warum dieser Titel? Das will der Kabarettist von seiner langjährigen Co-Moderatorin aus rund 250 BR-Fernsehsendungen wissen. Der sei inspiriert von dem Buchtitel „Altes Geld“ ihres Bekannten David Schalko, sagt Caro Matzko. „Ein positiv besetzter Begriff, gemeint ist Reichtum, der seit Generationen in der Familie weitergegeben wird, im Gegensatz zum prolligen Vermögen von Neureichen.“
Wobei sie diese Assoziation bewusst ins Gegenteil verkehrt. „Mir geht es um die alte Wut, die generationenübergreifend weitergereicht wird und unter der uralte Traurigkeit lauert“, sagt sie. Eine Wut, der sie und ihr älterer Bruder ausgeliefert waren seitens ihres Vaters, eines Cholerikers, und die das „Grundrauschen in meiner Kindheit war“.
Wer jetzt aber meint, ihr Buch enthalte eine Abrechnung mit diesem Vater, der bekennendes AfD-Mitglied ist, seine Tochter „prussische Panzerkette“ nennt, der jedes Telefonat mit „Knallo“ beginnt („Hallo“ verachtet er als Anglizismus) und es mit dem Gruß „Gute Nacht Deutschland“ beendet, liegt falsch.
„Ich kann ihn nicht canceln“, sagt Matzko. Schließlich ist er auch derjenige, der ihr Haferbrei und Eier gekocht, ihre Studienzeit finanziert und Umzugskisten von A nach B gefahren hat. Und genau das ist die Stärke dieses Buchs, aber auch seiner Verfasserin, die auf dem Podium offen über ihre frühen Essstörungen, Klinikaufenthalte und die spätere „Suchtverlagerung“ zur „astreinen Workaholicerin mit diagnostiziertem Burn-out“ spricht.
Vielmehr ist es ein Buch der Annäherung, keineswegs der politischen, sondern der menschlich emotionalen. Seine Traumata haben mit ihren seelischen Verletzungen zu tun, also will sie verstehen, „wie man da hinkommt, wo er steht“, erklärt sie. Warum ihr heute 91-jähriger Vater nach zwei Bier die Geräusche von deutschen Maschinenpistolen versus Kalaschnikow imitiert und nach drei Bier die deutschen Ostgebiete zurückfordert und wünscht, dass Genscher die Hand verdorren möge, mit der er die Ostverträge unterschrieben hat.
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:„Meine Traurigkeit hat viel mit der Traurigkeit meines Vaters zu tun“
Die Journalistin und Moderatorin Caro Matzko legt in einem neuen Buch ihre Krankheitsgeschichte offen: Magersucht, Depression, Klinikaufenthalte. Heute, sagt sie, gehe es ihr gut. Ein Gespräch über das Weitermachen, das Finden der passenden Therapieform und darüber, was die Traumata der eigenen Eltern damit zu tun haben.
SZ PlusInterview von Lars Reichardt
Also lässt sie das Publikum daran teilhaben, wie sie mit ihrem Mann Rainer, der elfjährigen Tochter Fanny und Hund nach Ostrada aufbricht, dem Ort im heutigen Polen, aus dem ihr Vater als zehnjähriger Junge fliehen musste. Immer die Worte der Therapeutin in den Ohren: „Wo viel Emotion ist, da ist was zu holen!“ versucht sie den „Grützbeutel“, als den sie Ostpreußen empfindet, abzuschneiden. Das muss sie Ringlstetter genauer erklären. „Ich habe mir einmal eine Verdickung hinter dem Ohr entfernen lassen, einen sogenannten Grützbeutel, der Ablagerungen von Zähnen oder Haaren eines nie geborenen Zwillings enthalten kann, wie mir der Arzt erklärte“, sagt Matzko.
„Du kannst wahnsinnig schön erzählen, wenn du unterwegs bist, nimmst einen auf diese Reise wirklich mit“, attestiert ihr Ringlstetter. Und kommt kurz auf seinen eigenen Vater zu sprechen, über den er ebenfalls ein Buch geschrieben hat. „Der stand allerdings politisch auf der ganz anderen Seite, inspirierte mich auch, Geschichte zu studieren“, sagt er. „Luck for you“, konstatiert Matzko.
Zum Abschluss trägt sie den emotionalen Höhepunkt dieses Roadtrips vor, die Passage, in der sie die Erinnerung ihres Vaters mit- und nacherlebt. Im tiefsten Winter, bei minus 20 Grad, stolpert der Junge durch den Schnee. Bei Elbing sieht er mit an, wie russische Panzer in den Treck der Flüchtenden hineinfahren, hört die Schreie der von den Rotarmisten vergewaltigten Frauen. Sein Vater, der Großvater der Autorin, wird kurz darauf verhaftet. Er hört die Frage der Mutter: „Fritz, sehen wir uns wieder?“ Und die Antwort des Vaters: „Nein. Das werde ich nicht überstehen“. Tatsächlich sollte er nie aus dem Gulag zurückkehren.
Vor der Veröffentlichung sei sie das Manuskript mit ihrem Vater Seite für Seite durchgegangen, erzählt Matzko auf die Nachfrage eines Zuhörers. Vielleicht kann sie mit diesem Buch den lang gesuchten „Seelenfrieden“ finden. Auch für ihren Vater.
