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Softness: das Ensemble von „The Tide“. © Jörg Landsberg
Was an diesem unwiderstehlichen, gar nicht leicht in Worte zu fassenden Abend besticht, ist so einiges: Die Zärtlichkeit, der Humor, die Freude am Spiel, manchmal auch mit Slapstick-Einlagen, aber ohne Schadenfreude, die Zugewandtheit des elfköpfigen Ensembles, das sich aus Teilen der „Unusual Symptoms“ und Tänzern und Tänzerinnen des inklusiven Projekts „tanzbar bremen“ zusammensetzt. Die beiden jeweils sehr eigenen Gruppen lernten sich erst bei den Proben für „The Tide“, ein Stück des Choreografen Josep Caballero García, kennen.
Bremen – „The Tide“, das englische Wort für die Gezeiten, steht für den Rhythmus von Flut und Ebbe, für eine nicht immer freundliche Umgebung, zu der sich Menschen verhalten müssen, um nicht unterzugehen. Was nach Kampf klingt, so in etwa die Grundthese des Abends, lässt sich vielleicht auch anders bewältigen. „Softness, fragiles Miteinander und Nähe“ sind drei Begriffe, die im Abendzettel über einem Text von Anne Kersting stehen, die mit Gregor Runge die Dramaturgie des Abends gestaltet hat.
Man muss das allerdings nicht unbedingt wissen, um an „The Tide“ große Freude zu haben. Von Beginn an verströmt der Abend etwas, was mit dem viel strapazierten Begriff der Leichtigkeit recht gut zu fassen ist. Aus Stoffbahnen, die von der Decke hängen, knoten die Tänzerinnen und Tänzer eine Art Schaukel, in der sie sich nacheinander mit viel Lust bewegen und bewegen lassen, immer mal wieder kurz vor dem Fall, aber die anderen fangen die Fallenden auf. Nach einer Weile beginnt Nora Ronge eine Schrittfolge, nach und nach gesellen sich die anderen dazu, „fünf, sechs, sieben, acht, to the front“, bis sie, alle elf, in einer Reihe den Anweisungen folgen.
Abgeordnete aus einer anderen Welt
Nach einer Weile löst sich die Reihe wieder in ihre Einzelteile auf, hier wird geschaukelt, dort dreht sich jemand um die eigene Achse, hüben wird an den Stoffbahnen geturnt, dann bildet sich wieder eine Kette, die Tänzerinnen und Tänzer ziehen am Publikum vorbei, ratlos mit den Schultern zuckend, Blickkontakt suchend, still lächelnd, wie Abgeordnete aus einer anderen Welt, die freundlich ihren Platz suchen. Wieder Auflösung, und so geht es die übrige Zeit des 70-minütigen Abends, hinein ins Publikum und wieder heraus, manchmal über eine lange Rutsche, die über die Tribüne läuft. Nähe, Distanz und erneute Annäherung ziehen sich so durch die Choreografie, die jedem und jeder Raum lässt, ohne dass der gemeinsame Gestus, der ausgesprochen spielerische Umgang miteinander verloren ginge.
Neben Ronge sind Aaron Samuel Davis, Maria Pasadaki, Andor Rusu, Waithera Lena Schreyeck, Young-Won Song und Csenger K. Szabó von den „Unusual Symptoms“ dabei, von „tanzbar bremen“ kommen Amelie Gerdes, Till Krumwiede, Oskar Spatz und Adrian Wenzel. Sie alle sind als Tänzerinnen und Tänzer hier so sehr Individuen wie Teile eines großen Ganzen, wobei Adrian Wenzel dann doch in einem recht markanten Alleingang die direkte Ansprache sucht: „Na, Schnucki, wie läuft‘s?“, fragt er zum großen Vergnügen des Publikums eine Reihe der Anwesenden.
Schaumstoffteile und Spannbettlaken
Sehenswert sind auch die Kostüme von Janne Plutat, die in zarten Farben und fließenden Formen die Farben des Raumes, den García gestaltet hat, aufnehmen, während sich die Musik von Janis Elias-Müller zwischen hingetupfter Elektronik und manchmal bis ins Bedrohliche anschwellendem Wellenrauschen und Regenprasseln bewegt. Die Softness, die Dramaturgin Kersting erwähnt, findet ihren Ausdruck besonders sinnfällig gegen Ende, als sich das Ensemble mit Schaumstoffteilen und Spannbettlaken in knuffige, munter umherfallende und kollidierende Wesen verwandelt, im einem Fall als wandelndes Doppelbett.
Für den inklusiven Charakter gibt es derweil nicht nur ein Early Boarding für Menschen mit Beeinträchtigung, sondern auch Sitzsäcke für jene, die auf den Kissen und Stühlen nicht sitzen können. Auch hier also ein Augenmerk auf einen aufmerksamen Umgang miteinander – und auf „softness“.
Die nächsten Termine: Samstag, 29. November, Donnerstag, 4. Dezember, Montag, 22. Dezember, Montag, 29. Dezember, 19.30 Uhr, Kleines Haus, Theater Bremen.