Kiel. Da ist dieses Mädchen, das mit blauen Flecken in die Schule kommt. Vielleicht ist es wirklich nur hingefallen. Doch was, wenn mehr dahinter steckt? Michaela Peschel und Esra Yozgatli vom Mädchenhaus Kiel haben einen dringenden Appell: „Die Gesellschaft muss sensibler werden, Anzeichen von Gewalt erkennen, ein mulmiges Gefühl ernst nehmen und hingucken.“

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Ein misshandeltes Mädchen könne bis zu acht Anläufe benötigen, bevor es sich der richtigen Person anvertraue. Diese eine Person, die zuhört – und hilft. Oder Hilfe vermittelt.

Mädchenhaus Kiel: Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen 2025 „wichtig“

Anlass für diesen Appell aus dem Mädchenhaus Kiel ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2025. Und der sei nach wie vor „wichtig“, betonen Peschel und Yozgatli. Er sorge für die Aufmerksamkeit gegenüber der Gewalt, die sich gegen Mädchen und Frauen richtet.

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Damit meinen die Expertinnen aus Kiel nicht nur körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch. „Wenn Eltern ihrer Tochter immer wieder zu verstehen geben, sie sei nichts Wert, dann ist das psychische Gewalt“, sagt Michaela Peschel (63), Geschäftsführerin des Vereins Lotta, Träger des Mädchenhauses in Kiel. Mindestens genauso schlimm wie Schläge seien Sätze wie „dich wollte ich nicht“ oder „du bist zu dumm“. Sätze, die Peschel schon zu Ohren kamen.

„Gewalt macht auf Dauer krank“, sagt Peschel. „Der Körper ist immer in Alarmbereitschaft.“ Autoimmunerkrankungen, Krebs oder Herzkrankheiten könnten die Folge sein. Auch die psychischen Folgen seien nicht zu unterschätzen.

„Entwurzelte Mädchen, denen der Halt fehlt“

„Es sind entwurzelte Mädchen, denen der Halt fehlt“, berichtet Peschel. Die Suche nach Bestätigung mache sie anfällig für Menschen, die dies ausnutzen wollten. „Loverboys, die Liebe versprechen, sie in ihre Wohnung locken, Nacktfotos machen und sie damit erpressen und sie sogar auf den Strich schicken – so etwas passiert.“

Sie erinnert sich an einen Fall um sexualisierte Gewalt in der Familie. Mehrere Gespräche mit einer 15-Jährigen seien notwendig gewesen, bis sie verstand, dass sie etwas zu gewinnen habe: „Sie hatte solche Angst, die Familie zu verlassen.“ Es sei ihre Aufgabe, die Mädchen auch bei schmerzhaften Schritten zu unterstützen.

Grundsätzlich gehe es nicht um Einzelfälle: „Es hat Struktur“, sagt Peschel. „Unsere Bedingungen führen dazu, dass Frauen nach wie vor häufiger häusliche und sexuelle Gewalt erleben als Männer“ – sie meint patriarchalische Bedingungen, mangelnde Gleichberechtigung.

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Im Bereich partnerschaftlicher, auch tödlicher Gewalt gegen Frauen (Femizide) sieht sie die Haltung, einen bestimmten Besitzanspruch gegenüber einer Frau zu haben. „Nach wie vor gibt es auch eine finanzielle Abhängigkeit von Männern“, ergänzt Fachleitung Esra Yozgatli (48). Für Betroffene sei es schwieriger, sich zu lösen. Eine weitere Form der Gewalt habe deutlich zugenommen: „Digitale Gewalt ist ein Riesen-Thema“ – Mobbing und Bedrohungen im Internet.

Esra Yozgatli (links), Fachleitung im Mädchenhaus Kiel und Michaela Peschel, Geschäftsführerin Lotta e.V. , vor dem autonomen Mädchenhaus in Kiel.

Sorge macht Peschel, dass die psychische Belastung erheblich gewachsen sei. Mädchen zeigten mehr als früher selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen oder einen problematischen Konsum von Alkohol oder Drogen. Sie kämen aus allen gesellschaftlichen Schichten.

Fachleitung Esra Yozgatli (48) spricht auch von „Systemsprengern“, die in der Zufluchtstätte im Mädchenhaus Kiel einen „sicheren Hafen“ fänden: „Es ist ein Kampf, denen zu zeigen, wir halten auch Beleidigungen aus, weil sie sonst im System wegrutschen würden.“

Wenn Eltern ihrer Tochter immer wieder zu verstehen geben, sie sei nichts Wert, dann ist das psychische Gewalt.

Michaela Peschel

Autonomes Mädchenhaus Kiel

Gerade für diese Mädchen werde es immer schwieriger, eine Folgeunterbringung zu finden. Auch die Wohnungsnot in Kiel mache sich bemerkbar. So müssten einige länger im Mädchenhaus bleiben. Das führe mitunter zu weniger freien Plätzen. Während 2024 nur 45 Mädchen in der Zufluchtstätte aufgenommen wurden, habe sich die Lage 2025 etwas gebessert. Bislang hat das Team um Mitgründerin Peschel 66 Mädchen in Not Unterschlupf geboten.

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Signal gegen Gewalt an Frauen: Gebäude in Kiel leuchten orange

Als Signal gegen geschlechtsbezogene Gewalt leuchten am Dienstag mehrere bekannte Gebäude in Kiel orange. Hintergrund ist die UN-Kampagne „Orange the World”, die in jedem Jahr zwischen 25. November und 10. Dezember ein Zeichen setzt. Zum siebten Mal hat deshalb der Zonta Club Kiel dazu aufgerufen, sich an der Beleuchtungsaktion zu beteiligen.

Nicht nur das UKSH Kiel, der Landesverband des DRK, die Investitionsbank (IBSH), GMSH sowie das Theater Kiel, Seehafen Kiel und die Wankendorfer Baugenossenschaft lassen ihre Gebäude in der Farbe leuchten. Auch die Kieler Nachrichten lassen das Laufband am Asmus-Bremer-Platz nachmittags in kräftigem Orange strahlen.

Zudem startet am Dienstag um 14 Uhr wieder die jährliche Initiative „Gewalt kommt nicht in die Tüte”, auch als Brötchentütenaktion bekannt, im Citti Park Kiel. An der Aktion des Kieler Verbunds der autonomen Frauen- und Mädchenfacheinrichtungen beteiligen sich Vertreterinnen und Vertreter aus Facheinrichtungen, Gesellschaft und Politik.

KN