Das Maybachufer in Neukölln zählt zu den coolsten Straßen der Welt. Zu dieser Erkenntnis ist zumindest das britische Stadt- und Reisemagazin Time Out gekommen. Die gerade einmal anderthalb Kilometer lange, mit Weiden gesäumte Straße am Landwehrkanal habe die Londoner Reiseexperten durch ihre vielfältigen Möglichkeiten überzeugt – von der Ankerklause über Brammibal’s Donuts bis hin zu ein paar Restaurants und dem Wochenmarkt.
Der Redakteurin zufolge habe der Kanalabschnitt „sein industrielles Flair des 19. Jahrhunderts gegen klirrendes Bier unter Weiden und Radfahrer, die am Wasser entlangradeln, eingetauscht“.
Doch reicht das wirklich aus, um das Maybachufer zu einer der „coolsten Straßen der Welt“ zu küren? Wir sind da anderer Meinung. Natürlich richtet sich das Magazin nicht an Berlinerinnen und Berliner, sondern an frisch Zugezogene, Touristen und Besucher – doch selbst aus dieser Perspektive gäbe es einige Straßen, die diese Auszeichnung eher verdient hätten als das öde Ufer im Reuterkiez.
1. Torstraße in Mitte: Wo Berlin sich längst verjüngt hat
Von Oranienburger Tor bis weit über den Rosenthaler Platz hinaus hat sich die Torstraße schon seit vielen Jahren zum Hotspot für Shoppen, Trinken und Essen etabliert. Von Geschäften wie Superconscious (Streetwear) und dem legendären Pauls Chapter (Secondhand) bis zum angesagten The Store in der Berliner Dependance des Soho House findet sich hier vor Weihnachten und auch sonst sicherlich etwas fürs hungrige Shoppingherz. Besonders trubelig ist es rund um den Rosenthaler Platz, wo gerade das israelische Restaurant Saint Farah eröffnet hat und bereits den Geschmack unserer Gastro-Kolumnistin Tina Hüttl im Sturm erobert.
Wer’s japanisch mag, kommt auf der Torstraße auf seine Kosten – genauso wie jemand, der gerne französisch isst. Der sollte unbedingt bei 3 Minutes sur mer einkehren und sich nach dem Essen über die Torstraße treiben lassen, und sei es nur zum ein wenig aus der Mode gekommenen Schaufensterbummel. Das Publikum hier ist jung, urban und international, und noch immer gibt es Cafés wie St. Oberholz, das Berlin und sein Flair bereits in den 2000ern geprägt hat, als es noch nicht selbstverständlich war, Business im Kaffeehaus zu tätigen.
Aber auch unweit der Torstraße hat sich ein Viertel entwickelt, das rund um die nahe gelegene Volksbühne mit Bars und Restaurants wie der Nachtleben-Institution Bar 3 in der Weydingerstraße und dem noch gar nicht so alten Food-Hotspot Trio den Ausgehkiez in Mitte bis zur Rosa-Luxemburg-Straße erweitert.

Wo Berlin ein bisschen New York ist: das Soho House am Anfang der TorstraßeMark Seelend
2. Sex trifft Kunst auf der Potsdamer Straße in Tiergarten
Galerien, Modeläden und zeitlose Bars. Für mich ist die Potsdamer Straße die coolste Straße Berlins. Wie das mit Coolness oft so ist, hat das etwas damit zu tun, dass sie diese leicht anrüchige Note trägt. An ihrem unteren Hipness-Ende stößt sie nämlich auf die Kurfürstenstraße, die für Prostitution und Drogen bekannt ist. Der Sexshop LSD markiert die südliche Grenze des hippen Teils der „Potse“ – wie die Straße auch liebevoll genannt wird. Oben wird sie von der neuen Nationalgalerie eingegrenzt.
Sex und Kunst, das ist genau die Mischung, die die gentrifizierungswütige Fashion-Artcrowd anzieht. Wo einst Hausbesetzer und Verlage ansässig waren, eröffneten nach und nach Galerien hier, die sich über Leerstand und günstige Preise freuten.

Potsdamer Straße Ecke Kurfürstenstraße: heruntergekommenes Gebäude mit dem Sexshop LSD und „Not a Gallery“-SchriftzugThomas Meyer/OSTKREUZ
Mittlerweile ist die Potsdamer Straße das inoffizielle Epizentrum der Gallery Week. Esther Schipper, Max Hetzler, Galerie Judin – das sind nur einige der Namen, die hier Kunst ausstellen und verkaufen. Die Mode hat ebenfalls erkannt, dass die Potsdamer Straße „hot“ ist. Nicht nur, dass hier der Laden von Andreas Murkudis seit Jahren das Tor zur internationalen Modewelt ist, auch Labels wie Acne Studios, Isabel Marant und Darklands haben hier ihre Stores. Dazu kommen „Local Heroes“ wie Odeeh, Fiona Bennett und Working Title.
Zu guter Letzt lässt sich auch formidabel ausgehen auf der „Potse“. Gleich zwei Michelin-Sterne verbergen sich auf dem kurzen Abschnitt zwischen Kurfürstenstraße und Schöneberger Ufer: Irma La Douce und Golvet. Wer es lieber uriger mag, bekommt in der Joseph-Roth-Diele Linsen mit Spätzle und Wienerle oder Matjes auf Butterstulle. Danach geht’s rüber in die Victoria Bar auf einen Champagner-Cocktail und ganz zum Schluss wird im Studio 1111 getanzt – oder besser gesagt, davor mit der Kunstcrowd eine geraucht. Barbara Russ
3. Von Prenzlauer Berg bis Mitte: Die Kastanienallee
Was die vermeintlich „coolste Straße Berlins“ in Neukölln vermissen lässt, findet man auf der Kastanienallee zuhauf: hervorragende Restaurants, Bars und Cafés. Schon zu Beginn der Allee, unweit der U-Bahn-Station Eberswalder Straße bis zur ersten Kreuzung an der Oderberger Straße, eröffnet sich einem eine gastronomische Vielfalt, wie sie sich das Ufer auf seinen knapp anderthalb Kilometern nur wünschen kann.
Der Prater Garten als bester Biergarten der Stadt, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine bunte Mischung aus rustikalen und schicken Bars, gemütlichen Cafés sowie einer der wohl besten Döner der Stadt: der K’Ups Gemüsedöner.

Hat bei Tag und Nacht den Titel der „coolsten Straße Berlins“ verdient: die Kastanienallee.Imago/David Heerde
Was dem ersten Abschnitt der Straße zugegebenermaßen an idyllischem Flair fehlt, macht dann der restliche Teil bis zur Fehrbelliner Straße, wo die Kastanienallee in den Weinbergsweg übergeht, mehr als wett. Unter den vielen Kastanienbäumen, die zu jeder Jahreszeit zu einem schönen Spaziergang einladen, findet man gut sortierte Buchläden, ausgefallene Klamottengeschäfte und weitere kulinarische Anlaufstellen. Nur die eine oder andere Bar könnte diesen Abschnitt noch aufwerten.