Als Dan Driscoll, der amerikanische Heeresminister, in der vergangenen Woche nach Kiew reiste, war noch von einem „aggressiven Zeitplan“ die Rede. Die Ukraine sollte dem angeblich von Washington mit Moskau abgestimmten 28-Punkte-Plan bis Thanksgiving am Donnerstag zustimmen.

Doch die Vorzeichen, unter denen Driscoll am Montagabend in Abu Dhabi landete, um mit russischen Abgesandten zu verhandeln, waren andere. Die Frist war aufgeweicht, der Plan nach intensiven Beratungen mit der Ukraine in Genf ein anderer, der bevorstehende Stopp in den Vereinigten Arabischen Emiraten der vielleicht schwierigste.

Man sei angesichts der Verhandlungen am Wochenende guter Dinge, hatte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, zuvor gesagt. Doch selbstverständlich müsse auch Russland als Kriegspartei dem überarbeiteten Plan zustimmen. Die Kommunikation mit Moskau sollte Driscoll nun in Abu Dhabi übernehmen. Dort trafen laut amerikanischen Medienberichten der Chef des ukrainischen Militärgeheimdiensts und eine russische Delegation unbekannter Zusammensetzung zusammen.

Kritik am Trump-Plan auch von Republikanern

Das Weiße Haus ist noch um Schadensbegrenzung bemüht, nachdem die Entstehung des ursprünglichen Plans sehr nach einem Schulterschluss mit Moskau aussah. Sprecherin Leavitt hob am Montag hervor, es sei ein „völliger Irrtum“, zu glauben, Washington arbeite nicht „mit beiden Seiten gleichermaßen“ zusammen, um den Krieg zu beenden. Das Pentagon verwies im Zuge der Reise Driscolls darauf, Präsident Donald Trump wisse die Bemühungen des Ministers zu schätzen, „sowohl von russischer als auch von ukrainischer Seite Input zu sammeln“.

Der amerikanische Heeresminister Dan Driscoll vergangene Woche in KiewDer amerikanische Heeresminister Dan Driscoll vergangene Woche in KiewAP

Zu einem möglichen Treffen zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj scheint es zunächst jedoch nicht zu kommen. Laut offiziellem Plan verbringt Trump die in den Vereinigten Staaten traditionell ruhigen Thanksgiving-Tage von Dienstag bis Sonntag in seiner Residenz in Florida. Es wird jedoch erwartet, dass die beiden Männer demnächst telefonieren, um einige der finalen Fragen zu klären.

Vizepräsident J. D. Vance stemmte sich am Montag gegen Kritik aus der eigenen Partei im Umgang mit Russland. Der scheidende republikanische Senator Mitch McConnell hatte Trump in den vergangenen Tagen vorgeworfen, er lasse sich von Wladimir Putin an der Nase herumführen.

Vance erwiderte auf der Plattform X, das sei ein „lächerlicher Angriff“ auf das Team des Präsidenten, das unermüdlich daran gearbeitet habe, die Situation in der Ukraine zu lösen. Doch ob man nach Driscolls Treffen mit den Russen in Abu Dhabi nicht möglicherweise wieder bei null war, musste sich da noch zeigen.

Auf die Präsidenten kommt es an

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab sich nach der Rückkehr der ukrainischen Delegation aus Genf optimistisch. „Die Liste der notwendigen Schritte zur Beendigung des Krieges ist nun umsetzbar“, erklärte er am Montagabend in seiner täglichen Videobotschaft. Viele für sein Land wichtigen Elemente hätten nun Berücksichtigung gefunden, doch gebe es noch viel zu tun.

Der neue Entwurf sei „in der Tat der richtige Ansatz“, so Selenskyj. „Ich werde die heiklen Fragen mit Präsident Trump besprechen.“ Angeblich enthält der neu gefasste Plan statt 28 nun 19 Punkte, über die jedoch nur wenig an die Öffentlichkeit drang. Klar ist, dass vor allem die territorialen Fragen die schwierigsten sind, weil diese der ukrainischen Verfassung zufolge nicht einfach durch die Regierung oder den Präsidenten, sondern nur durch ein Referendum entschieden werden können.

So seien vor allem die Fragen nach Gebietsabtretungen an Russland sowie die künftigen Beziehungen zwischen der Ukraine, Russland, der NATO und den USA ausgeklammert worden, um sie bei einem persönlichen Treffen zwischen Trump und Selenskyj zu klären, berichtete die Zeitung „Financial Times“ unter Berufung auf den ukrainischen Vizeaußenminister Serhij Kyslyzja, der Teil der Delegation in Genf war. Ihr gehörten außerdem Präsidialamtschef Andrij Jermak und Sicherheitsberater Rustem Umjerow an.

Kyslyzja zufolge seien die Verhandlungen mit den USA anstrengend, kurz vor dem Abbruch, aber letztlich produktiv gewesen. Die amerikanische Seite, bestehend aus Außenminister Marco Rubio, Minister Driscoll, Trumps Sondergesandten Steve Witkoff sowie Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, habe der ukrainischen Seite jedoch geflissentlich zugehört und sei offen für Vorschläge gewesen.

Von dem ursprünglichen „28-Punkte-Plan“, über dessen Ursprung es wilde Gerüchte gibt, die sich insbesondere um die Frage drehen, ob es ein amerikanischer oder doch russischer Entwurf war, seien letztlich nur „sehr wenige Punkte“ übrig geblieben. „Wir haben eine solide Basis an Übereinstimmungen erarbeitet und einige Punkte gefunden, bei denen wir Kompromisse eingehen können“, so Kyslyzja. Für den Rest seien nun Führungsentscheidungen erforderlich.

London und Paris wollen Truppen stellen

Einen Termin für ein Treffen der Präsidenten gibt es jedoch nicht. Gerüchte, wonach Selenskyj noch in dieser Woche nach Washington fliegen werde, bestätigten sich bisher nicht. Die unkontrollierte Dynamik, die um den wohl nicht ganz zufällig an die Öffentlichkeit gelangten „Friedensplan“ entstand, hat angesichts der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Realität deutlich nachgelassen. Umjerow erklärte am Dienstag auf X, dass sich Kiew darauf freue, „den Besuch des ukrainischen Präsidenten in den USA zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ zu organisieren.

„Wir wissen es zu schätzen, dass der Großteil der Welt bereit ist, uns zu unterstützen, und dass die amerikanische Seite konstruktiv an die Sache herangeht“, sagte Selenskyj und versicherte abermals, dass sein Land lieber eher als später Frieden wünsche. „Die Ukraine wird niemals ein Hindernis für den Frieden sein“, so der Präsident. „Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer hoffen auf einen würdigen Frieden, und sie haben ihn verdient.“ Seine Regierung werde alles dafür tun und sei bereit, schnell zu handeln, immer in dem Wissen, die Interessen der Ukraine zu wahren.

Die Staats- und Regierungschefs der „Koalition der Willigen“, welche die Ukraine militärisch unterstützt, wollten sich am Dienstag in einer Videokonferenz austauschen. Diese Gruppe von gut dreißig Staaten war besonders durch zwei Festlegungen im ursprünglichen US-Plan betroffen: das Verbot, Truppen und Kampfflugzeuge aus NATO-Staaten in der Ukraine zu stationieren, sowie eine Begrenzung der ukrainischen Streitkräfte auf 600.000 Soldaten.

Dagegen sehen bisherige Planungen vor, dass einige Staaten wie Frankreich und das Vereinigte Königreich Truppen im ukrainischen Hinterland stationieren wollen. Zudem soll die ukrainische Armee auch nach einem Waffenstillstand aufgerüstet werden, um sich gegen eine weitere russische Aggression wehren zu können. Inzwischen wurde der US-Plan überarbeitet, doch ist unklar, wie weit die Vereinigten Staaten – und vor allem Russland – bereit sind, die europäischen Einwände zu berücksichtigen.

Schweigen über die laufenden Gespräche

An der Videokonferenz nahm auch NATO-Generalsekretär Mark Rutte teil. Rutte hatte sich tagelang öffentlich in Schweigen gehüllt, obwohl der mit Russland abgestimmte US-Plan eine Provokation der Allianz darstellte. Sie sollte auf die Aufnahme weiterer Mitglieder verzichten und dies für die Ukraine sogar vertraglich verankern. Außerdem sollte sie sich in einen von den USA moderierten Dialog mit Moskau begeben.

Der Niederländer wartete bis Montag, um das in einem Interview mit dem Sender Radio Free Europe/Radio Liberty zurückzuweisen. Der NATO-Russland-Rat und die NATO-Russland-Grundakte von 1997 seien seit der Vollinvasion „tot“, sagte er auf die Frage, ob er den Rat einberufen werde. „Ihr Herz blieb im Februar 2022 stehen.“ Zudem bekräftigte er das im NATO-Vertrag verankerte Recht jedes europäischen Staates, sich um einen Beitritt zur Allianz zu bewerben. Allerdings bedürfe dies des Konsenses aller Verbündeten, was im Fall der Ukraine nicht gegeben sei.

Zu Details der Verhandlungen wollte sich Rutte nicht äußern. Er gab aber zu erkennen, dass er über das Wochenende mit „allen wichtigen Akteuren“ telefoniert habe, auch mit Trump. Als Rutte am Montag auch dem Sender Fox News ein Interview gab, überschüttete er Trump ein weiteres Mal mit überschwänglichem Lob für dessen Rolle als Friedensstifter. In den Gremien der Allianz war der 28-Punkte-Plan nach Angaben von Diplomaten bisher kein Thema. Nur auf den Gängen werde darüber gesprochen, hieß es. Die Verhandlungen fänden in anderen Gremien statt. Allerdings werden die Außenminister der Mitgliedstaaten das Thema nicht vermeiden können, wenn sie in einer Woche in Brüssel zusammenkommen.

Der russische Präsidentensprecher Dmitrij Peskow wurde am Dienstag nach den Medienberichten über das Treffen in Abu Dhabi befragt, sagte aber, dazu habe man „nichts mitzuteilen“. Wie schon am Montag Putins außenpolitischer Berater Jurij Uschakow wirkte Peskow bestrebt, Washingtons Rolle zu loben, die der Ukrainer und der Europäer hingegen kleinzureden. „Jetzt ist das einzig Substanzielle das amerikanische Projekt, Trumps Projekt“, sagte Peskow über den 28-Punkte-Plan und wiederholte die am Freitag von Putin vorgegebene Linie: „Wir denken, dass das eine sehr gute Grundlage für Verhandlungen werden kann.“

Putin hält an Kriegszielen fest

Etwas gesprächiger zeigte sich Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Die Europäer hätten ihre „Gelegenheit verspielt“, an einer Lösung des „Ukrainekonflikts“ mitzuwirken. „Ihr hattet eure Chancen, Leute“, sagte Lawrow am Dienstag russischen Agenturen zufolge. „Ihr habt diese Chancen nicht genutzt, ihr habt sie einfach vertan“, so Lawrow mit Blick auf das Minsker Abkommen, das nach 2014 von Deutschland und Frankreich vermittelt worden war und den Krieg in der Ostukraine beenden sollte. Die Vereinbarung wurde jedoch von Moskau gebrochen.

Befragt nach den Medienberichten, denen zufolge Putins Emissär Kirill Dmitrijew an der Ausarbeitung des Plans beteiligt war, sagte wiederum Peskow, „konkret“ sei der Plan „nicht vorbereitet, nicht erörtert worden“, sondern „ein Entwurf der amerikanischen Seite, der uns übergeben worden ist“. Man warte jetzt auf eine „offizielle Information“ der Amerikaner über Änderungen an dem Text.

Peskow hob auch hervor, „wir sind daran interessiert, unsere Ziele mit politisch-diplomatischen Mitteln zu erreichen“. Auch Putin hatte sich am Freitag wie stets offen für Verhandlungen gegeben, aber gesagt, andernfalls werde man die Ziele der „militärischen Spezialoperation“, wie er den Angriffskrieg nennt, „im bewaffneten Kampf“ erreichen. Diese Ziele reichen weit über die Ukraine hinaus und laufen auf eine Rückabwicklung etlicher NATO-Erweiterungsrunden hinaus.

Die Menschen in der Ukraine erfuhren in der Nacht zum Dienstag abermals, was das heißt. Russland griff, ungeachtet aller Gespräche und Friedensbemühungen, die Ukraine und vor allem Kiew mit 460 Drohnen und 22 Raketen an. Dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und 20 verletzt, teilten die Behörden mit. Im Fokus der russischen Angriffe haben abermals zivile Ziele gestanden, vor allem Energie- und Wärmekraftwerke.