Jede dritte Frau in Deutschland erfährt mindestens einmal in ihrem Leben körperliche, psychische oder sexualisierte Gewalt – diese reicht von Belästigung, Schlägen und Vergewaltigungen bis hin zu Femiziden. Laut Bundeskriminalamt wurden im vergangenen Jahr 558 frauenfeindliche Straftaten registriert – das entspricht einem Anstieg von 73,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch in Baden-Württemberg steigen die Zahlen.
Im Sicherheitsberichts 2024 des Innenministeriums wurden 18.538 Frauen erfasst, die von häuslicher Gewalt betroffen waren, 5.575 Frauen wurden Opfer von Sexualstraftaten. Die Dunkelziffer liegt Schätzungen zufolge jedoch weitaus höher. 37 Frauen kamen im Jahr 2024 durch einen Femizid ums Leben. Damit wurden 27,4 Prozent mehr Frauen und Mädchen als im Vorjahr Opfer eines Tötungsdelikts.
Demonstration gegen Gewalt an Frauen in Stuttgart
Am Dienstag, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, fanden weltweit Demonstrationen statt. Auch in der Stuttgarter Innenstadt kamen am Dienstagabend zahlreiche Menschen zusammen, um an die Opfer patriarchaler Gewalt zu erinnern und auf die prekäre Situation vieler Frauen aufmerksam zu machen.
Zu der Kundgebung am Wilhelmsplatz in Stuttgart-Mitte und dem anschließenden Demonstrationszug durch die Innenstadt hatte das Stuttgarter „Aktionsbündnis 8. März“ aufgerufen. Mit Aktionen, Veranstaltungen und Demonstrationen macht das Bündnis regelmäßig auf Missstände und prekäre Situationen von Frauen, trans, inter, nicht-binären und agender Personen in der Gesellschaft aufmerksam – unter anderem auch am namensgebenden Internationalen Frauenkampftag (8. März).
Mehrere hundert Menschen nehmen an Demo in Stuttgart teil
Schon zum Start der Kundgebung am frühen Dienstagabend versammelten sich zahlreiche Menschen auf dem Wilhelmsplatz. Die Veranstalter sprachen von bis zu 500 erwarteten Teilnehmenden. Die Polizei Stuttgart bestätigte auf Anfrage eine Teilnehmerzahl von mehreren hundert Personen. Diese brachten ihren Protest unter anderem mit Schildern und Bannern zum Ausdruck.
Unter dem Motto „We fight back – Trauer, Wut, Widerstand“ machten die Demonstrierenden ihren Forderungen friedlich Luft. „Es ist wichtig, dass wir darauf aufmerksam machen, dass auf der ganzen Welt Genozide und Femizide passieren“, sagte Aida aus Stuttgart, die mit einem selbstgestalteten Schild zur Demo gekommen war. „Gegen diese Gewalt müssen wir zusammenhalten. Damit setzen wir ein Zeichen in der Öffentlichkeit. Ich wünsche mir, dass auch die Politik auf unsere Forderungen reagiert.“
Die Demonstrierenden versammelten sich zu einer Kundgebung am Wilhelmsplatz in Stuttgart-Mitte. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt
Bei der Kundgebung auf dem Wilhelmsplatz stand vor allem ein Thema in Vordergrund: die sowohl in Stuttgart als auch bundesweit geplanten Haushaltskürzungen. „In Stuttgart steigen Kitagebühren drastisch, während gleichzeitig Beratungsstellen für Wohnungslose, Geflüchtete, Jugendliche und andere sozial und finanziell Bedürftige gekürzt werden“, so eine Vertreterin des Vereins Frauen helfen Frauen e.V. bei der Kundgebung. Derweil zeigten aktuelle Entwicklungen, dass mehr Beratungsangebote benötigt würden, nicht weniger.
Teilnehmende demonstrieren gegen patriarchale Gewalt
Patriarchale Gewalt sei keine Frage der Herkunft oder des Bildungsabschlusses, ergänzt Karolina Kleiner, Sprecherin des Aktionsbündnis 8. März. „Solange keine präventive Aufklärung in unserer Gesellschaft stattfindet, der fortschreitende Sozialabbau Frauen in finanzielle Abhängigkeit von ihren Partnern hält und Betroffenen kaum Hilfsangebote zur Verfügung stehen, wird sich die Gewalt weiter zuspitzen“, so die Aktivistin.
Die Sorgen der Menschen in Zeiten von massivem Stellenabbau in der deutschen Wirtschaft, steigenden Preisen für Lebensmittel und Wohnen böten zudem Nährboden für rechtsextremes Gedankengut. Das Aktionsbündnis kämpfe für einen grundlegenden Wandel.
„Unser Widerstand richtet sich gegen die gesellschaftlichen Missstände und politische Fehlentscheidungen“, so eine Sprecherin auf der Kundgebung. Diese führe zur Verschärfung der Situation von Frauen, trans, inter, nonbinären und agender Personen in unserer Gesellschaft.
Auch internationale Kriege, Genozide und die steigende Gewalt gegen Frauen wurden bei der Auftaktkundgebung thematisiert. Dabei kamen unter anderem der Arbeitskreis Autonome Frauenprojekte zu Wort. Die Sprecherinnen kritisierten ein System, das „es bevorzugt, Geld mit Kriegen und Genoziden zu verdienen, anstatt patriarchale Gewalt und Femizide zu stoppen“.
LaFuchsia Kollektiva bei der „Wut-Performance“. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt
Begleitet wurde die Kundgebung von einer „Wut-Performance“ des Stuttgarter Künstler*innenkollektivs LaFuchsia Kollektiva e.V. zum Thema geschlechterspezifische Gewalt sowie musikalischen Beiträgen des feministischen Chors.
Im Anschluss an die Kundgebung zog der Demonstrationszug in Begleitung von Einsatzkräften der Polizei über die Eberhardstraße und die Marktstraße in Richtung Schlossplatz. Die Hauptstätter Straße am Wilhelmsplatz sowie die Eberhardstraße wurden dafür kurze Zeit abgesperrt.
Der Demozug zog in Begleitung von Einsatzkräften der Polizei über die Eberhardstraße bis zum Schlossplatz. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt
Die Demonstrierenden skandierten Sprechchöre wie „Dieser Staat schützt mich nicht, meine Schwestern schützen mich“ und „Stoppt Femizide, man tötet nicht aus Liebe.“
Femizid in Stuttgart: „Wir müssen hinsehen“
Am Schlossplatz fand schließlich eine Abschlusskundgebung statt. Gemeinsam mit dem Frauenkollektiv Stuttgart kam dabei eine Mutter aus Stuttgart-Ost zu Wort, die aufgrund eines Femizids ihre 25 Jahre alte Tochter verloren hat. Die junge Frau wurde im Januar tot in ihrer Wohnung im Stuttgarter Osten aufgefunden. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen Mordes gegen einen 33-Jährigen erhoben.
„Wir müssen hinsehen – bei jedem merkwürdigen Verhalten, in jeder unbequemen Situation, bei jedem Gefühl, dass etwas nicht stimmt“, appellierte die Mutter der getöteten jungen Frau in ihrer Rede an die Menge. „Wenn Menschen schweigen und nicht handeln, dann fühlen sich Täter sicher. Unser Hinschauen und unser Mut kann das stoppen. Wir alle tragen Verantwortung.“
Auch das Thema Gewalt gegen Frauen an internationalen Kriegsschauplätzen, wie etwa in Afghanistan, wurde in Reden zum Thema.
Demonstration verläuft friedlich – Polizei mit mehreren Einsatzkräften vor Ort
Beider Demonstration zündeten Teilnehmende am Schlossplatz kurzzeitig einen Bengalo. Nach Angaben der Stuttgarter Polizei verlief der Demonstrationszug ansonsten jedoch friedlich, es kam zu keinerlei Ausschreitungen. Die Polizei war am Abend mit mehreren Einsatzfahrzeugen zur Absperrung der Demo-Route sowie zahlreichen Beamten vor Ort.
Offizieller Internationaler Gedenktag seit 1999
Der 25. November wurde im Jahr 1981 bei einem Treffen lateinamerikanischer und karibischer Feministinnen als Tag gegen Gewalt an Frauen ausgerufen. Das Datum wurde in Gedenken an die Mirabal-Schwestern gewählt, die in der Dominikanischen Republik im Widerstand kämpften. Seit 1999 wird dieser Tag von den Vereinten Nationen als offizieller Internationaler Gedenktag anerkannt.