Blättert man durch die Ahnengalerie der US-Heeresminister der vergangenen Jahrzehnte, stößt man kaum auf Namen, die einem ausländischen Publikum geläufig wären. Kein Wunder: In der Jobbeschreibung des Ministers geht es vor allem um Ausstattung und Finanzfragen rund um die Streitkräfte. Mit dem aktuellen Amtsinhaber Dan Driscoll könnte sich das ändern. 38 Jahre alt war er bei seiner Amtsübernahme; damit ist er nicht nur der jüngste Minister auf diesem Posten, sondern seit einigen Tagen wohl auch derjenige mit der heikelsten Mission.
Obwohl der Jurist, der 2009 unter anderem als Soldat im Irak diente, über keine diplomatische Erfahrung verfügt, rückt Driscoll nun als neuer Ukraine-Sondergesandter in eine zentrale Rolle bei den Bemühungen von US-Präsident Trump, den Ukraine-Krieg zu beenden.
Von Kellogg über Witkoff zu Driscoll
Waffenstillstands-Gespräche mit Russen und Ukrainern zu führen wäre eigentlich die Aufgabe des pensionierten Generalleutnants Keith Kellogg, den Trump zu Beginn seiner zweiten Präsidentschaft zum US-Sondergesandten für die Ukraine ernannt hatte. Doch Kellogg, der bis heute als wichtiger Fürsprecher Kyjiws in Washington gilt, wurde schrittweise entmachtet und spielt schon lange keine bestimmende Rolle mehr. Anfang 2026 wird Kellogg die Regierung verlassen.
Zu Ukraine-freundlich? US-Sondergesandter Kellogg im Juli bei Präsident Selenskyj (li.)Bild: Uncredited/AP Photo/picture alliance
Anstelle des erfahrenen Ex-Militärs übernahm zunächst Trumps Friedensbeauftragter Steve Witkoff die Gespräche mit den Russen. Der frühere Immobilienmanager Witkoff hatte bereits im Gaza-Krieg für Trump mit den Konfliktparteien verhandelt und gilt als einer der engsten Vertrauten des US-Präsidenten. Nun drängt sich jedoch mit Dan Driscoll ein weiterer Verhandler für die USA in den Vordergrund.
Ranghöchster US-Besuch in Kyjiw
Internationale Aufmerksamkeit erlangte Daniel Patrick Driscoll am 20. November, als er unangekündigt in die ukrainische Hauptstadt reiste. In der Planung war zunächst ein Routinebesuch, bei dem es um Rüstungsfragen wie Drohnen gehen sollte. Doch dann bekam der Minister aus dem Weißen Haus den Auftrag, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj den 28-Punkte-Plan für einen möglichen Friedensschluss zu erläutern.
Eine US-Delegation mit Dan Driscoll (Mitte) berät mit ukrainischen Vertretern in GenfBild: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images
Von Kyjiw ging es weiter nach Genf, wo er am vergangenen Wochenende gemeinsam mit Außenminister Marco Rubio und Witkoff vertrauliche Verhandlungen mit Vertretern der Ukraine und den europäischen NATO-Verbündeten führte. Seit Montag ist Driscoll in Abu Dhabi, um dort Gespräche mit einer russischen Delegation aufzunehmen. Im Zuge dieser geheimen Treffen in den Vereinigten Arabischen Emiraten traf der Minister Medienberichten zufolge auch den Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow.
Wenig Erfahrung, enge Freundschaft
Der Vater zweier Kinder bringt – ähnlich wie Donald Trumps Vertrauter Steve Witkoff – kaum diplomatische Erfahrung mit in den Job. Stattdessen war Driscoll zuvor als Jurist und Investmentbanker tätig. Die Nähe zum Militär jedoch wurde ihm in die Wiege gelegt. Driscoll stammt aus einer Soldatenfamilie in North Carolina. Sein Großvater kämpfte im Zweiten Weltkrieg, sein Vater in Vietnam, und der junge Driscoll selbst diente als Zugführer in einer Gebirgsdivision.
Besondere Ehre: Dan Driscoll wird am 25.2.2025 von US-Vizepräsident JD Vance vereidigtBild: Creative Commons/@VP
Da er vor 2025 keinerlei Erfahrung in höchsten militärischen oder politischen Ämtern vorweisen konnte, dürfte seine steile politische Karriere vor allem seiner langjährigen Freundschaft mit J.D. Vance zu verdanken sein, für den er auch Wahlkampf machte. Beide Juristen kennen sich aus ihrer Studienzeit an der renommierten Yale University.
Ende Februar war es dann auch nicht Verteidigungsminister Pete Hegseth, der sich mittlerweile Kriegsminister nennt, sondern Vance persönlich, der Driscoll als Heeresminister vereidigte. Im US-Senat stieß die Personalie zuvor auf große Zustimmung der Demokraten. In seiner kurzen Ansprache nach der Zeremonie betonte Driscoll besonders seine enge Freundschaft mit dem Vizepräsidenten-Ehepaar.
Ein Mann für heikle Missionen
Nach seiner Amtsübernahme wurde das Weiße Haus schnell auf den Juristen aufmerksam. Driscoll wird dort, wie der Guardian berichtet, als verlässlicher Problemlöser geschätzt, der Lücken füllt, wo andere ausfallen. Damit ist vor allem Hegseth gemeint, der sich durch diverse Kontroversen ins Abseits manövriert hat und für heikle Missionen als ungeeignet gilt.
Rubio, Witkoff und Driscoll (v.r.n.l.) bei den Verhandlungen mit der ukrainischen Delegation in GenfBild: Emma Farge/REUTERS
Ein Insider erklärte gegenüber Politico, man traue eher Driscoll zu, schwierige Botschaften an ausländische Staatschefs zu überbringen als Hegseth. Driscoll hat durch regelmäßige Besuche im Weißen Haus, etwa im Zuge von Trumps umstrittenen Nationalgarde-Einsätzen im Inland, enge Arbeitsbeziehungen zur Regierungsspitze aufgebaut. Für Beobachter kommt seine neue Rolle daher nicht völlig überraschend.
Positive Zwischenbilanz
Schon wenige Wochen nach Amtsantritt wurden dem ehrgeizigen Minister zusätzliche Aufgaben übertragen. Übergangsweise leitet er seit April die Bundesbehörde ATF, die für Waffenkontrolle und Sprengstoffe zuständig ist. In den Ukraine-Gesprächen kann der Minister nun auf das Technik-Know-how der Behörde zurückgreifen.
Ein ukrainischer Soldat startet eine mit Wärmebildkamera ausgestattete KampfdrohneBild: ukrin/dpa/picture alliance
So lobte Driscoll öffentlich die Innovationskraft der Ukrainer bei der Entwicklung improvisierter Drohnen und autonomer Waffensysteme, die der US-Rüstungsindustrie als Vorbild dienen könnte. Die USA planen, innerhalb weniger Jahre mindestens eine Million Drohnen zu beschaffen. Fraglich, ob die eigene Industrie so schnell liefern kann. Die Ukraine wiederum produziert derzeit deutlich mehr als 1,5 Millionen Drohnen jährlich und hat signalisiert, diese Kapazitäten als Verhandlungsmasse in die Friedensgespräche einzubringen. In diesem Zusammenhang erscheint Dan Driscoll als geeigneter Vermittler, um einen technisch-industriellen Austausch auszuhandeln, von dem beide Seiten profitieren.
Fokus der Weltöffentlichkeit
Ob Driscoll die ihm von Trump übertragene Mission letztlich erfüllen kann, einen diplomatischen Durchbruch mit Russland im Ukraine-Krieg zu erzielen, ist offen. Die Sprunghaftigkeit des US-Präsidenten macht jede Prognose zu einem Blick in die Kristallkugel.
Wer hat das Ohr von US-Präsident Trump? In dieser Szene flüstert ihm Außenminister Rubio Informationen zuBild: Jim Watson/AFP
In jedem Fall verkörpert der junge Heeresminister eine neue Generation von Trumps Vertrauten: jung, loyal und bereit, unkonventionelle Wege zu gehen, um die Ziele des Präsidenten umzusetzen. Wie gut Driscoll auf Dauer im Team mit Witkoff und Außenminister Rubio harmoniert, ist dabei eine der offenen Fragen. Bislang sind allerdings keine Konflikte im Team an die Öffentlichkeit geraten. Als Gesicht von Trumps Friedensinitiative für die Ukraine steht Dan Driscoll nun im Spannungsfeld zwischen den hohen Erwartungen des Präsidenten, der harten Realpolitik und dem Fokus der Weltöffentlichkeit.