Noch ist unklar, was bei der neuen US-Initiative zur Beilegung des Kriegs in der Ukraine herauskommt. Gegenwärtig wird an verschiedenen Orten in unterschiedlicher Zusammensetzung darüber verhandelt.

Führende Vertreter der EU (von der Leyen, Macron, Costa, Starmer) beim Ukraine-Treffen auf dem G20-Gipfel in Südafrika [Photo by European Union]

In Genf feilschen Vertreter der USA, der Ukraine und Europas unter Aufsicht von US-Außenminister Marco Rubio über eine Revision der 28 Punkte, die Trumps Sondergesandter Steve Witkoff und der Putin-Vertraute Kirill Dmitrijew vorgelegt haben. Die Ukraine wird in Genf durch Selenskyjs Staatschef Andrij Jermak und den Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats Rustem Umjerow vertreten. Auch Witkoff selbst, Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und Armeeminister Dan Driscoll waren zeitweise in Genf.

Der 39-jährige Driscoll, ein Studienfreund und Vertrauter von Vizepräsident J.D. Vance, gilt als aufsteigender Star im US-Kriegsministerium und spielt eine zentrale Rolle in der Ukrainepolitik der USA. Er hatte in Kiew mit den Worten, „Wir verhandeln keine Details“, und, „Dieser Mist muss ein Ende haben“ (We need to get this shit done), ultimativ die Annahme des 28-Punkte-Plans verlangt. Seit Montag führt er laut Financial Times in Abu Dhabi geheime Gespräche mit einer russischen und einer ukrainischen Delegation.

Auch ein Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Weißen Haus Ende der Woche ist im Gespräch, bei dem eine Vereinbarung unterzeichnet werden könnte.

Die führenden europäischen Staats- und Regierungschefs versuchen inzwischen, eine Einigung zu verhindern. Sie waren in Südafrika auf dem von den USA boykottierten G-20-Gipfel vom Witkoff-Dmitrijew-Papier überrascht worden und haben sich seither intensiv bemüht, Trump davon abzubringen. Sie haben einen eigenen, für Russland nicht akzeptablen Plan vorgelegt, und Bundeskanzler Merz hat mit Trump telefoniert.

Doch was ihnen nach Selenskyjs Rauswurf aus dem Weißen Haus im Februar und dem Trump-Putin-Gipfel in Alaska im August gelungen war, die Verhinderung eines Abkommens, könnte diesmal scheitern.

Die Ukraine ist ausgeblutet. Die Armee hat hunderttausende Soldaten verloren und kann aufgrund der massenhaften Desertionen nicht mehr den erforderlichen Nachschub rekrutieren. Sie ist außerdem weiterhin auf Aufklärung sowie Waffen und Munition aus den USA angewiesen, deren Stopp die Krise an der Front weiter verschärfen würde. Die Bevölkerung ist seit Beginn des Krieges durch Massenflucht, niedrige Geburtsraten und Kriegstote um etwa 10 Millionen geschrumpft, und die Popularität von Selenskyj liegt im Keller. Der jüngste Korruptionsskandal hat auch dem Letzten vor Augen geführt, dass Selenskyjs Regierung nicht weniger korrupt ist als ihre Vorgänger.

Selenskyj könnte sich also gezwungen sehen, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die Russland praktisch alles zugesteht, was es vor Beginn des Kriegs gefordert hatte. Der 28-Punkte-Plan sieht unter anderem vor, dass die Krim, Luhansk und Donezk russisch werden und die Gebiete Cherson und Saporischschja unter militärischer Kontrolle Russlands bleiben. Eine Nato-Mitgliedschaft und die Stationierung von Nato-Truppen in der Ukraine werden für immer ausgeschlossen, die ukrainische Armee auf maximal 600.000 Mann beschränkt. Auch eine weitere Ausdehnung der Nato wird ausgeschlossen.

Der Vorschlag enthält zwar Sicherheitsgarantien der USA für die Ukraine. Doch die USA verlangen dafür „eine Entschädigung“. Die Sicherheitsgarantien verfallen, falls die Ukraine russisches Gebiet angreift oder Raketen in Richtung Russland abfeuert.

Die USA sichern sich außerdem finanzielle Vorteile. So sollen 100 Milliarden Dollar aus eingefrorenen russischen Vermögen einem von den USA geführten Wiederaufbaufonds für die Ukraine zufließen, zu dem Europa weitere 100 Milliarden aus eigenen Quellen beisteuert. 50 Prozent der Gewinne aus diesem Wiederaufbaufonds sollen an die USA gehen. Der verbleibende Teil der eingefrorenen Gelder soll gemeinsam von den USA und Russland in einem Investitionsfonds verwaltet werden.

Auch wenn bisher nicht klar ist, ob es zu einer Einigung kommt oder ob sich der Krieg weiter hinzieht, steht eines schon fest: Auch ein Abkommen wäre nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem dritten Weltkrieg. Es würde nicht die Grundlage für einen dauerhaften Frieden legen, sondern über die Köpfe der ukrainischen und russischen Bevölkerung hinweg Konfliktlinien zementieren, die jederzeit wieder zur Explosion gebracht werden können.

Ein wirklicher Frieden kann nur durch die unabhängige Intervention der europäischen, amerikanischen, ukrainischen und russischen Arbeiterklasse erzielt werden, indem sie sich zusammenschließt und den Kriegstreibern das Handwerk legt.

Europa rüstet verstärkt auf

Vor allem die europäischen Mächte haben deutlich gemacht, dass sie ihre Aufrüstungs- und Kriegsanstrengungen vervielfachen werden, falls es zu einem Abkommen zwischen Russland und der Ukraine kommen sollte.

Sie haben Europa unter dem falschen Vorwand, es gehe um die Verteidigung „westlicher Werte“ immer tiefer in einen Krieg hineingezerrt, der das Leben hunderttausender ukrainischer und russischer Soldaten gekostet, Milliardensummen verschlungen und die Gefahr einer europaweiten Eskalation heraufbeschworen hat. Tatsächlich ging es ihnen um die Kontrolle über die Ukraine mit ihren wertvollen Bodenschätzen und die Zerschlagung Russlands. Sie haben den Krieg außerdem als Vorwand benutzt, um aufzurüsten wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Doch nun stehen sie nackt da. Den von den USA angestrebten Deal hätten sie auch vor drei Jahren ohne Krieg haben können. Sie sehen sich verraten. Jahrelang haben sie gemeinsam mit den USA die Nato nach Osten ausgedehnt. 2014 organisierten sie gemeinsam mit Washington den Sturz des damaligen ukrainischen Präsidenten, bauten das Land zu einem militärischen Vorposten der Nato aus, provozierten so den reaktionären Einmarsch Russlands und brachen die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland, insbesondere den Import preiswerten Erdgases, weitgehend ab. Doch nun einigen sich die USA auf Europas Kosten mit Putin und sichern sich den Großteil der ukrainischen Beute.

Europas Mächte reagieren darauf, indem sie beschleunigt aufrüsten, um ihre globalen wirtschaftlichen und politischen Interessen unabhängig von den USA und notfalls gegen sie zu verfolgen. Das verschlingt gewaltige Summen, die nur durch einen Frontalangriff auf die Arbeiterklasse und mit diktatorischen Methoden eingetrieben werden können.

David North

30 Jahre Krieg: Amerikas Griff nach der Weltherrschaft 1990–2020

Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.

Das ist der Tenor der meisten europäischen Kommentare zu Trumps Ukraine-Deal. Besonders deutlich hat es der außenpolitische Experte der CDU, Norbert Röttgen, ausgesprochen, der bisher als überzeugter Transatlantiker galt.

In einem Interview mit der Zeit erklärt Röttgen, das Vorgehen der USA übersteige seine Vorstellungskraft. Sie würden „sich auf die Seite Putins schlagen und sowohl die Souveränität der Ukraine als auch die Sicherheit Europas verkaufen“. Die bisherige Annahme von einer transatlantischen Allianz mit den USA sei damit nicht mehr vereinbar.

Röttgen spricht von einer zweiten Zeitenwende: „Die Zeitenwende I war die Rückkehr des Krieges nach Europa durch Russland. Die Zeitenwende II ist die Entscheidung der USA, sich bei Fragen der europäischen Sicherheit auf die Seite des Krieg führenden Diktators zu schlagen.“

Europa müsse sich grundsätzlich neu orientieren, folgert er. „Wir müssen in Europa mit denjenigen, die dazu in der Lage und willens sind, noch schneller, substanzieller, entschlossener eigene Stärke entwickeln. In allen Bereichen, in unseren wirtschaftlichen und militärischen Fähigkeiten. Und wir müssen die Abhängigkeiten, insbesondere sicherheitspolitisch, jetzt auch in Richtung der USA viel schneller reduzieren.“

Auf Sicherheitsgarantien der USA sei kein Verlass. Die Ukraine müsse „zum Stachelschwein hochgerüstet werden, so abschreckend daherkommen, dass jeder weitere Angriff für Russland hoffnungslos erscheint“, betont Röttgen und befürwortet auch die Lieferung deutscher Taurus-Raketen an das Land.

Der französische Präsident Macron bestand in einem Interview, das er in Johannesburg dem Sender RTL gab, auf die sofortige Stationierung französischer, britischer und türkischer Truppen in der Ukraine, falls es zu einem Waffenstillstand komme – was Russland kategorisch ablehnt. Er schwadronierte über die Bedrohung Europas durch russische Cyberaktionen, Angriffe auf Krankenhäuser und manipulierte Nachrichten. Selbst für antisemitische und antimuslimische Anschläge in Frankreich machte er Russland verantwortlich.

Macron rief zur Stärkung des „Pakts zwischen Nation und Armee“ auf und kündigte die Stärkung der militärischen Reserve und die Wiedereinführung eines nationalen Diensts in neuer Form an. Die Wehrpflicht war in Frankreich 1997 abgeschafft worden. Der Chef der französischen Armee, General Mandon, hatte bereits vorher verkündet, Frankreich müsse sich wieder darauf einstellen, „seine Kinder zu verlieren“ – und damit einen nationalen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Europa reagiert auf den Aufstieg Trumps in den USA, indem es die eigene Politik „trumpisiert“. Das unterstreicht, das das Abgleiten in Militarismus und Diktatur kein individuelles Phänomen ist, sondern die Reaktion der herrschenden Klasse auf die ausweglose Krise des Kapitalismus. Nur der Sturz des Kapitalismus durch die internationale Arbeiterklasse kann diesen Wahnsinn stoppen.