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Etwas unruhig streift Juerg Judin durch seinen Garten. Zum Gallery Weekend wird es hier garantiert voll, und Judin sorgt sich schon jetzt um die sattgrünen Beete. Man merkt, dass der Galerist hier mal gewohnt hat: in der Tankstelle aus den Fünfzigerjahren, die lange ungenutzt herumstand, bevor er das architektonische Juwel an der Bülowstraße gekauft und behutsam hat umbauen lassen.

Inzwischen lebt Judin in Südfrankreich, in der Tankstelle residierte zwei Jahre lang das Kleine Grosz Museum. Dessen Schließung vergangenen November wurde weit über Schöneberg hinaus betrauert – das solitäre, von einer Mauer umgebene Refugium ist vielen ans Herz gewachsen.

Die Galerie Wentrup stellt zum Gallery Weekend die komplexen Webarbeiten von Desire Moheb-Zandi aus.

© Courtesy of the artist and Wentrup, Berlin. Foto: Nicolas Brasseu

Sie können aufatmen. Juerg Judin hat eine Lösung für das kleine Grundstück gefunden, das alle glücklich macht. Mit dem Gallery Weekend eröffnet hier eine Dependance seiner eigenen Galerie Judin, die für ihre imposanten Räume an der Potsdamer Straße bekannt ist. Mit Judin zieht in die Tankstelle die New Yorker Galerie Pace, ein global player der Kunstszene mit Ablegern in London, Seoul, Los Angeles, Tokio – und jetzt auch Berlin.

Statement für Berlin

Bislang gab es hier bloß ein Büro, das von Laura Attanasio betreut wird. Künftig sitzt Attanasio direkt in der Tankstelle mit Blick auf jenen Teil des Gartens, in den ihre Galerie zum Weekend eine neue Skulptur von Alicja Kwade installiert. Wenn die Pace-Direktorin ihr Office verlässt, steht sie im alten Kassenraum und damit mitten in jenem Café, das ebenfalls hier unterkommt. Gebrandet ist es von der Wochenzeitung Die Zeit, eine Terrasse gehört ebenso zur Ausstattung wie die feste Absicht, den Ort kulturell zu beleben. Diesmal, im Unterschied zu den finanziellen Zwängen des Grosz Museums, bei freiem Eintritt.

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Ein Statement, das betonen Attanasio und Pay Matthis Karstens als Partner der Galerie Judin gleichermaßen. Weil in Berlin die Kultur aktuell bis zum Verlust künstlerischer Existenzen bespart werde, sei dieser Ort auch als ein Angebot zu verstehen: Hier kann man sich treffen, kann lesen und aktuelle Kunst ansehen. Die erste Schau bestreiten die Galerien gemeinsam. Pace zeigt Zeichnungen von Jean-Michel Basquiat, Jean Dubuffet und dem 1985 geborenen Maler Robert Nava, Judin präsentiert eine intime Soloschau mit Motiven von Tom of Finland. Danach werden beide die Räume alternierend nutzen, verbindend wirkt eine langjährige Freundschaft. Und der Fakt, dass man gemeinsam den aus Rumänien stammenden Malerstar Adrian Ghenie vertritt.

Stars und Talente

Denn natürlich sind Galerien keine non profit spaces und verdienen ihr Geld mit dem Verkauf von Kunst. Doch den Hinweis auf die Möglichkeitsräume, die Berlins Galerien den Ansässigen ebenso wie einem internationalen Publikum erschließen, vergisst auch Antonia Ruder nicht zu erwähnen. Seit Herbst 2023 leitet sie das jährlich stattfindende Gallery Weekend. Aus den 21 Teilnehmern der ersten Stunde sind etwas mehr als 50 geworden, darunter Top-Galerien wie Esther Schipper, Sprüth Magers, Michael Werner und Max Hetzler, die Kunst von musealem Niveau in die Stadt bringen: Malerei des im vergangenen Jahr verstorbenen Frank Auerbach, Fotografien von Thomas Struth oder die Videos von Cyprien Gaillard. Große Namen finden sich ebenfalls bei Barbara Wien (Jimmie Durham), Buchholz (Anne Imhof) oder der Galerie Bastian (Wim Wenders).

Eines der letzten Selbstporträts von Frank Auerbach (2024), die Galerie Michael Werner zeigt Bilder des in Berlin geborenen Malers.

© The Estate of Frank Auerbach

Andere entscheiden sich für die Präsentation ihrer aufstrebenden Künstlerinnen und Künstler, verlassen sich wie die Galerie Thomas Schulte auf Bilder von Jonas Weichsel oder hängen wie Wentrup komplexe Webarbeiten von Desire Moheb-Zandi auf. Das Programm ist divers, nicht zuletzt dank einiger jungen Galerien, die immer wieder neu dazukommen.

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Antonia Ruder erkennt dennoch ein durchgängiges Thema in den aktuellen Ausstellungen, die gemeinsam am 2. Mai (18-21 Uhr) eröffnen und am anschließenden Wochenende jeweils acht Stunden lang zum Besuch einladen. „Die Künstlerinnen und Künstler verhandeln in diesem Jahr auffallend oft Fragen zur Identität und zu Machtstrukturen.“ Außerdem sei es ein Weekend „der starken Frauen“ – was ein Blick in die Ausstellungen von Monika Bonvicini (Capitain Petzel) oder Martha Rosler (Nagel Draxler) absolut bestätigt.

Tatsächlich sorgt diese Mischung aus etablierten Positionen und Lust am Experiment für eine ungebrochene Anziehungskraft. Selbst nach 21 Jahren herrscht große Neugier auf das Gallery Weekend. Ruder erzählt, dass sich Gruppen von Sammlern und Sammlerinnen aus Korea, Großbritannien, Polen wie auch London angemeldet haben. Es ist also viel los und das vom Weekend organisierte Dinner wie immer völlig überlaufen. Juerg Judin und seine Angst um das Grün im Tankstellen-Garten: Man beginnt ihn verstehen.