Seine charakteristischen Markenzeichen sind sein an den Seiten ausrasierter Schädel mit dem langen Zopf und seine Uniform: Johann Le Guillerm trägt eine Hose, die hoch über seine Taille reicht, aus der sein hager durchtrainierter bloßer Oberkörper herausragt, und einen langen grauen Mantel. Dazu kommen die spitz zulaufenden Stiefel mit Absätzen. Neben den Instrumentalklängen von Alexandre Piques geben sie mit hartem Klacken auf dem Boden, das sich bis zum Flamenco-Stakkato steigern kann, den Begleittakt zu seinen ungewöhnlichen mechanischen Konstruktionen vor.
Die rollt, schiebt und zieht er als Dompteur seiner selbst geschaffenen Maschinenwesen in die Manege hinein, oder er baut sie als Konstrukteur eine nach der anderen vor den Augen des Publikums zusammen. „Terces – Die Magie der Dinge“ heißt die eineinhalbstündige Show, die auf dem Tollwood Premiere hatte und dort bis 21. Dezember in Guillerms eigenem Zelt zu sehen sein wird.
Rückwärts gelesen ergibt das „Secret“, zugleich beschreibt das französische Verb „tercer“ aber auch den Vorgang, die Erde „zum dritten Mal umzupflügen“. Beide Begrifflichkeiten sind gewollt, ist doch diese Show auch der dritte Teil einer Trilogie des 56-jährigen Bretonen, der als legendärer Vertreter des Cirque Nouveau in Frankreich bereits mit höchsten Preisen geehrt wurde.
Oft genügt diesem geheimnisvollen Hexenmeister nur ein kleiner Anstoß, um die diversen Gerätschaften auf unvorhergesehene Weise in Bewegung zu setzen. Etwa, wenn er ein Gerüst aus Stahl und Draht mit zwei Kerzen versieht und durch Drehen mithilfe eines weißen Blattes eine Art pornografisches Schattenspiel entstehen lässt. Auch als Artist integriert er sich in seine verblüffenden Darbietungen: So wenn er Buch für Buch auf einer Walze zu sich in die Manege hereinrollen lässt; akribisch türmt er sie zu zwei Bücherstapeln mit rund 30 Exemplaren auf jeder Seite auf. Mit einer beachtlichen Schieflage, sodass ihre Spitzen mit wachsender Höhe einander zugeneigt sind und schließlich einen Rundbogen formen.
Welch virtuoser Artist er ist, beweist er, wenn er diesen „Triumphbogen“ erklimmt, sich oben vorsichtig ausbalancierend quer über ihn legt und von seinen Assistentinnen hinausziehen lässt. Großer Applaus, vielleicht auch deshalb, weil er stellvertretend für alle im Zelt diesen Berg an Informationsflut gemeistert hat.
Artisten-Star zu Gast in München
:Er ist die Sensation des diesjährigen Winter-Tollwoods
Cirque-Nouveau-Legende Johann Le Guillerm entlockt in seinem eigenen Zelt kuriosen Objekten Erstaunliches. Der Düsentrieb der Manege bringt sich und seine Gäste an die Grenze.
Später rollt er in einem großen Schneckenhaus-Vehikel in die Manege hinein. Wenn er steht, bewegt er es mit zwei langen Ruderstangen voran, wenn er drinnen sitzt, bedient er Tretpedale. Als er aus Metallstangen eine pyramidenartige Maschine errichtet, in die er sich kopfüber selbst einspannt, ist ein einziges Mal seine Stimme in dieser ansonsten völlig schweigend dargebotenen Show zu hören: Er stößt einen Schrei aus – unwillkürlich taucht die Assoziation an ein monströses Folterinstrument auf.
Im letzten Teil erweist er sich als ein geheimnisvoller Konstrukteur, der seine mit großer Präzision errichteten Werke verwandelt und immer wieder neu entstehen lässt. Etwa, wenn er riesige Holzstangen wie in einem überdimensionierten Mikado-Spiel zu unterschiedlichsten Modellen schichtet. Einen Hügel erweitert er durch das vorsichtige Herausziehen und Umlagern einzelner Stangen zu einem riesigen Vogeltier mit langem Hals – bis alles in sich zusammenstürzt. Also wieder von vorn. Jetzt errichtet er ein Iglu, an dessen Decke er sich entlanghangeln kann. Wenn alles erneut ineinander zusammenfällt, ist da und dort ein Lachen im Publikum zu hören. Der Künstler dagegen bleibt seiner Kunstfigur treu – und absolut ernst.
Bei aller Bewunderung für die Ästhetik dieser Konstruktionen und dem Staunen über den Einfallsreichtum ihres Schöpfers kann man sich bei dem Mikado-geprägten Ende doch nicht des Gefühls erwehren, hier einem hoch konzentrierten Jungen beim Bauen mit Legosteinen zuzuschauen. Was absolut seinen Reiz hat. Schließlich erfreuen sich auch die Minecraft-Videos zum Bauen mit Steinen riesiger Zuschauerzahlen im Netz.
