„Nährt Zweifel an der Objektivität“

Polizei schießt Zwölfjährige an: Anwalt erhebt schwere Vorwürfe

Aktualisiert am 26.11.2025 – 16:08 UhrLesedauer: 2 Min.

Anwalt kritisiert Polizeiaussagen nach Schuss auf ZwölfjährigeVergrößern des Bildes

Die Wohnung der Mutter, in der der Einsatz eskalierte (Archivbild): Die Familie schildert die Vorgänge anders als die Polizei. (Quelle: Christoph Reichwein/dpa/dpa-bilder)

Ein zwölfjähriges gehörloses Mädchen wird bei einem Polizeieinsatz lebensgefährlich verletzt. Ihr Anwalt wirft den Ermittlern nun manipulative Darstellung vor.

Der Anwalt des durch einen Polizeischuss lebensgefährlich verletzten gehörlosen Mädchens in Bochum hat schwere Vorwürfe gegen die Ermittler erhoben. Simón Barrera González wirft der Polizei eine manipulative Darstellung und „aggressive Pressearbeit“ vor. Die Schilderungen der ebenfalls gehörlosen Mutter und des Bruders widersprächen der offiziellen Version der Ereignisse deutlich, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Nach Angaben des Anwalts habe er die Familie mithilfe eines Gebärdendolmetschers ausführlich befragt. Mutter und Bruder hätten angegeben, dass die Messer erst in einer Paniksituation ins Spiel kamen, die die Polizei selbst verursacht habe.

Die Beamten hätten zunächst in der Wohnung den Strom abgedreht. „Sie haben also gehörlose Menschen in dieser Wohnung sozusagen noch zusätzlich blind gemacht“, erklärte Barrera González. Als die Mutter ängstlich die Tür öffnete, sei sie mit vorgehaltener Waffe zu Boden gebracht und mit Handschellen fixiert worden.

„Die Polizei hat da aus meiner Sicht einen Zugriff inszeniert, wie man ihn gegen organisierte Kriminalität erwarten dürfte, aber doch nicht, um ein vermisstes zwölfjähriges Mädchen zu suchen“, kritisierte der Anwalt.

Die Polizei hatte in ihrer letzten Pressemitteilung erklärt, die Mutter sei fixiert worden, weil sie den Einsatzkräften den Zutritt zur Wohnung versperrt habe. Als die Beamten die Wohnung betraten, sei das Mädchen aus der Küche gekommen und habe sie mit zwei größeren Küchenmessern angegriffen. Der Schuss fiel, als sich das Kind unmittelbar vor den Polizisten befunden habe. Ein anderer Beamter setzte zeitgleich einen Taser ein.

Der Anwalt widerspricht: „Es war nach meiner juristischen Bewertung kein unmittelbar bevorstehender Messerangriff.“ Die Polizei hätte jede Möglichkeit des Rückzugs gehabt.

Barrera González kritisierte auch die Aussagen der Polizei zum Gesundheitszustand des Mädchens: „Noch während meine Mandantin im Krankenhaus um ihr Leben kämpfte, hat die Polizei ihren Zustand als ‚kritisch, aber stabil‘ bezeichnet.“ Er wirft der Polizei eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte vor, gegen die er vorgehen wolle. Das angeschossene Mädchen befinde sich nach wie vor auf der Intensivstation und sei noch nicht vernehmungsfähig.

Die Polizei begann den Einsatz in der Nacht zum 17. November, nachdem das Mädchen am Vortag aus seiner Wohngruppe in Münster verschwunden war. Das Kind fuhr zu seiner Mutter. Dort klingelten die Beamten.

Auf Nachfrage gab die Polizei an, die Mordkommission habe alle beteiligten Zeugen zeitnah nach dem Vorfall vernommen – auch Mutter und Bruder, wobei Gebärdendolmetscher anwesend gewesen seien. „Wir haben versucht, möglichst objektiv anhand der Spurenlage und der Aussagen aller beteiligten Zeugen zu berichten, was in der Nacht passiert ist“, sagte ein Sprecher der ermittelnden Polizei in Essen.

Zur Frage, warum die Beamten – laut Aussage des Anwalts – den Strom in der Wohnung abstellten, konnte eine Polizeisprecherin auf Anfrage von t-online keine Angaben machen.