Noch befinden sich ukrainische Streitkräfte in dem grenznahen russischen Gebiet Kursk. Der Kreml hat das Ziel ausgegeben, sie bis 9. Mai endgültig zurückzudrängen. Laut russischen Medienberichten plant Moskau zudem, 50 bis 60 Kilometer tief in die angrenzende ukrainische Region Sumy vorzustoßen und dort eine „Pufferzone“ einzurichten.

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Ziel ist es demnach, die Sicherheit der Bewohner an der Grenze zu gewährleisten. Für diese „Pufferzone“ müsste die russische Armee mehrere Gebiete erobern: die Anhöhe zwischen den Dörfern Junakiwka und Khrapivshchyna sowie die Ufer des Flusses Psel im Grenzgebiet. Dort verläuft die Verbindungsstraße zwischen der strategisch wichtigen Stadt Sumy und dem ukrainisch-russischen Grenzgebiet. Sie dient derzeit als logistische Versorgungsader für die ukrainischen Streitkräfte in der Region Kursk.

Am Osterwochenende hatte der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Oleksandr Syrskyi, die Brigaden in der Region Sumy besucht. „Die Offensive des Feindes“ in dem Gebiet sei von den Truppen „erneut vereitelt“ worden, sagte Syrskyi nach dem Besuch. Wann die russische Offensive zurückgeschlagen wurde, sagte er nicht.

Ukrainische Grenzdörfer unter russischem Dauerbeschuss

Was die russischen Soldaten nicht erobern konnten, terrorisiert die russische Armee dennoch. Die ukrainischen Grenzdörfer stehen unter russischem Dauerbeschuss, Tausende Menschen mussten bereits fliehen. Mehr als 100 Präzisionsbomben vom Typ KAB wurden allein in der vergangenen Woche in der Region Sumy abgeworfen. Allein in der Nacht zu Donnerstag feuerten russische Truppen nach Angaben der Militärverwaltung von Sumy 226 Mal auf die Grenzgebiete und Ortschaften der Region.

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Derzeit werden vor allem die Einwohner von vier Bezirken der Region in Sicherheit gebracht: Schostka, Konotop, Ochtyrka und Sumy. Insgesamt mussten bisher fast 49.000 Menschen aus 200 Ortschaften ihre Häuser verlassen. Videos in Online-Netzwerken zeugen von den massiven Schäden, die der russische Beschuss in den Grenzdörfern angerichtet hat. Wohnhäuser und wichtige Infrastruktur wurden zerstört.

Russland will den Donbass vollständig einnehmen

Russland bereite auf diese Weise eine neue Offensive vor, sagte Nick Reynolds, Experte des britischen Royal United Services Institute, der Zeitung „Times“. „Wenn es dort keine Gebäude gibt, wird es schwieriger, diese Gebiete zu verteidigen. Solche Taktiken sind für Russland inzwischen alltäglich geworden.“

Wladislaw Selesnew ist Militärexperte und Oberst der ukrainischen Armee.

Wladislaw Selesnew, Militärexperte und Oberst der ukrainischen Armee, bezweifelt, dass der Kreml seinen Plan tatsächlich vollständig umsetzen kann. „Selbst wenn die Russen alle ukrainischen Dörfer in Grenznähe zerstören und alle an der Grenze stationierten Einheiten einsetzen, werden sie maximal zehn Kilometer in die Ukraine vorstoßen können“, sagte er dem Tagesspiegel.

Nach Verlusten und der Verlegung mehrerer Truppen aus der Region Kursk in andere Gebiete seien Russlands Möglichkeiten für eine großangelegte Offensive in der Region Sumy begrenzt, sagte Selesnew. Er geht davon aus, dass sich die russische Armee nach dem Ende des Einsatzes in Kursk auf die Besetzung des Donbass und der Region Luhansk konzentrieren werde. Die Streitkräfte würden wahrscheinlich versuchen, Brückenköpfe in Richtung Slowjansk, Kramatorsk, Druschkiwka und Kostjantyniwka zu errichten.

Wenn die ukrainischen Streitkräfte aus russischem Gebiet zurückgedrängt wurden, wird sich zeigen, was Putins wahre Pläne sind.

Pawlo Lakijtschuk, Leiter der Sicherheitsprogramme am Zentrum für Globale Studien „Strategie XXI“

„Südlich von Kostjantyniwka, wo der Feind versucht, im Gebiet von Tschassiw Jar Fuß zu fassen, ist die Lage schwierig“, sagte Selesnew. „Die Russen kämpfen auch im Gebiet von Luhansk und in der Nähe von Kupjansk, um eine Pufferzone für ihre Eisenbahnlogistik zu schaffen.“ Der Militärexperte vermutet, dass sich Russland aus der Region Kursk zurückziehen und nur einige Truppen zur Stabilisierung zurücklassen wird.

Pawlo Lakijtschuk ist Leiter der Sicherheitsprogramme am Zentrum für Globale Studien „Strategie XXI“.

Auch Pawlo Lakijtschuk, Leiter der Sicherheitsprogramme am Zentrum für Globale Studien „Strategie XXI“, rechnet nicht damit, dass Russland die ukrainischen Verteidigungslinien durchbrechen kann. Es sei kaum in der Lage, gleichzeitig zwei Offensiven in Richtung Norden und Osten zu starten, sagte er dem Tagesspiegel.

Er erinnerte an den Vorstoß im Februar, als Russland versuchte, mit der 51. Garde-Armee die ukrainischen Linien im Raum Torezk zu durchbrechen und mit der 8. Garde-Armee vorzustoßen. „Das ist eine klassische Offensivmethode“, sagte Lakijtschuk. „Damals fügten die ukrainischen Streitkräfte der 51. Garde-Armee jedoch schwere Verluste zu. Der Feind musste die 8. Garde-Armee für die Offensive abziehen. Infolgedessen scheiterte die russische Offensive an den fehlenden Kräften.“

Derzeit versucht Moskau, die ukrainische Armee aus den russischen Grenzregionen Kursk und Belgorod zurückzudrängen. Sollte dies gelingen, könnten die dortigen russischen Truppen in die Regionen Sumy, Charkiw und Tschernihiw verlegt werden, um eine „Sicherheitszone“ zu schaffen.

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Doch in diesem Fall, so Lakijtschuk, würden Kremlchef Wladimir Putin die Reserven für einen Vormarsch in der Ostukraine fehlen. „Wenn die ukrainischen Streitkräfte aus russischem Gebiet zurückgedrängt wurden, wird sich zeigen, was Putins wahre Pläne sind“, sagte der Experte.

„Er will auf lange Sicht den Donbass vollständig einnehmen.“ Gleichzeitig wolle er aber auch in Sumy und den benachbarten ukrainischen Regionen vorrücken und eine „Sicherheitszone“ schaffen. „Vielleicht entscheidet sich der Diktator für den Spatz in der Hand statt die Taube auf dem Dach, und das bedeutet dann das Ende des Kriegs.“