Zum zweiten Mal wurde die Akzeptanz von queeren Menschen in den europäischen Kirchen in einer Studie untersucht. Michael Brinkschröder erläutert den Rainbow-Index und seine manchmal überraschenden Ergebnisse.

Die gleichberechtigte Akzeptanz von LGBTI+ Personen ist in der römisch-katholischen Kirche (nicht nur) in Deutschland seit Jahren ein Diskussionsthema; der Synodale Weg hat dazu mehrere Handlungstexte beschlossen. Doch die Änderung der moralischen Ablehnung homosexueller Handlungen erfordert eine breite weltkirchliche Unterstützung. Wie sieht es damit aus? Hat es zuletzt auch in anderen Ländern Fortschritte gegeben oder war die Revolte gegen die Erklärung Fiducia supplicans schon das letzte Wort in dieser Frage? Der „Rainbow Index of Churches in Europe 2025“ (RICE 2025)[1], der im Auftrag des European Forum of LGBTI+ Christian Groups erstellt worden ist, gibt darauf Antworten – zumindest für Europa. Verfasst wurde die Studie von einem internationalen und multikonfessionellen Team von Theolog:innen, zu dem Regina Elsner (Deutschland), Pekka Metso (Finnland) und Valérie Nicolet (Frankreich/Schweden) gehören.

Wie misst man Inklusivität für LGBTI+-Personen in Kirchen?

Die Methode, um Inklusivität in messbare Indikatoren zu übersetzen, wurde bereits für den ersten Rainbow Index aus dem Jahr 2020 von einem Team der Protestantischen Fakultät der Universität Amsterdam um Heleen Zorgdrager erarbeitet und nun für die zweite Runde durch kleine Änderungen weiterentwickelt. Ihr Ausgangspunkt war das theologische Argument, dass „die Praxis der radikalen Gastfreundschaft und Tischgemeinschaft“ Jesu mit einer Vielzahl von marginalisierten Menschen den Kirchen heute als Maßstab für die Inklusion von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten gelten müsse (vgl. 8).

Die 52 Indikatoren der Studie von 2025 verteilen sich auf die vier Kategorien: „Institutionelle Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung“, „Kirchliche Praktiken“, „Sprache, Reden und Symbole“ sowie „Öffentliche Stellungnahmen“. Auf diese Weise wurde ein breites Spektrum von Lehre, Tradition und Kirchenrecht über kirchliche Leitlinien (z.B. zum Umgang mit dem Klerus und Mitarbeiter:innen oder zur liturgischen Sprache) bis hin zu Stellungnahmen im Rahmen der Ökumene und zu gesellschaftspolitischen Fragen erfasst. Bei jedem Indikator konnten die Co-Researcher, die durch die Mitgliedsgruppen des European Forum gewonnen wurden, einen ganzen, halben oder keinen Punkt vergeben und sollten dies nach Möglichkeit durch Verweise auf kirchliche Dokumente begründen. Auf dieser methodischen Basis vergleicht RICE 2025 die Inklusivität für LGBTI+-Personen 46 Kirchen in 26 europäischen Ländern.

Die Ergebnisse im Überblick

Die Ergebnisse zeigen, dass die protestantischen Kirchen im Durchschnitt deutlich besser abschneiden als die römisch-katholische Kirche und diese wiederum deutlich besser als die orthodoxen Kirchen. Spitzenreiter unter den größeren Kirchen sind die lutherische Kirche von Schweden mit 93%, die Evangelische Kirche in Deutschland mit 85% und die Protestantische Kirche in den Niederlanden mit 77% der maximalen Punktzahl. Noch inklusiver als die Kirche von Schweden sind drei kleine Kirchen: die Metropolitan Community Church (MCC) in Wien (100%), die Reformierte Katholische Kirche in Polen (99%) und die MCC in Finnland (95%), wobei wichtig zu wissen ist, dass die MCC eine Kirche ist, die 1968 von queeren Menschen für queere Menschen gegründet worden ist. Auch in anderen Fällen erfüllen kleine Kirchen bzw. Kongregationen, wie z.B. die lutherische Gemeinde in der Innenstadt von Bratislava oder die alt-katholische Kirche in der Slowakei, die Funktion von „Asylkirchen“ für queere Menschen, die in anderen Kirchen keine Heimat gefunden haben.

Unter den fünf untersuchten orthodoxen Kirchen ist die Orthodoxe Kirche in Finnland hervorzuheben, die mit 36% sehr deutlich vor Griechenland (14%) liegt, während Rumänien (4%), Georgien (2%) und die Orthodoxe Kirche in der Ukraine (0%) ganz am unteren Ende der Skala rangieren.

Blick man auf die römisch-katholische Kirche, zeigt sich zwischen den 16 untersuchten Ländern eine enorme Bandbreite zwischen 5% in der Slowakei und 72% in Deutschland. In einer zentralistischen und hierarchischen Kirche muss diese Spanne verwundern.

Röm.-kath.
Kirche in:

Resultat (von 52)

in % Änderung zu RICE 2020 Rang (von 46) Deutschland 37,5 72% +18,9% 9 Belgien 27,5 53% +18,8% 20–21 England & Wales 27,5 53% +32,7% 20–21 Malta 26,5 51% +5,2% 22–23 Schweiz 21,0 40% +4,2% 25–26 Irland 19,0 37% +12,1% 27–28 Italien 18,5 36% -1,7% 29 Frankreich 18,0 35% -5,8% 30 Niederlande 12,5 25% +7,0% 32 Ungarn 9,0 17% -2,9% 34–38 Portugal 9,0 17% +1,4% 34–38 Slowenien 9,0 17% -1,8% 34–38 Spanien 9,0 17% +6,7% 34–38 Schweden 8,0 15% – 39 Polen 3,0 6% +3,6% 41–42 Slowakei 2,5 5% -3,7% 43

Tabelle erstellt anhand von Daten aus: European Forum of LGBTI+ Christan Groups: RICE 2025. Rainbow Index of Churches in Europe 2025.

 

Wie sind die Unterschiede innerhalb der römisch-katholischen Kirche zu erklären?

Regina Elsner schreibt in ihrer Auswertung: „Solche Befunde unterstreichen, dass sogar die strikte katholische Morallehre durch kontextsensible pastorale Ansätze, die in den Prinzipien der Pastoraltheologie und der katholischen Soziallehre wurzeln, interpretiert und implementiert wird.“ (90) Ausschlaggebend für die breite Streuung der Resultate ist ein hohes Potential von Ambiguitäten innerhalb der katholischen Theologie. Dass diese Ambiguitäten zugelassen wurden und sich im Sinne einer höheren Inklusivität für queere Menschen entfalten konnten, hängt unmittelbar mit dem pastoralen Programm von Papst Franziskus zusammen.

Um zu erklären, welche Faktoren diese unterschiedlichen Resultate verursacht haben, verweist der RICE-Report zunächst auf die unterschiedliche rechtliche Situation und gesellschaftspolitische Haltung der Bevölkerung. In den meisten Ländern, in denen die Rechte von LGBTI+-Personen weitgehend anerkannt sind, schneidet auch die römisch-katholische Kirche besser ab als dort, wo dies nicht der Fall ist. Dies geht einher mit einer Ost-West-Spaltung, da in Ländern wie Ungarn, Slowenien, Polen und der Slowakei Gesellschaft und Kirche wenig akzeptierend bzw. inklusiv sind.

Umso deutlicher fällt vor diesem Hintergrund auf, dass die römisch-katholische Kirche in Spanien, den Niederlanden und Schweden deutlich vom Akzeptanzniveau ihrer sozialen Umwelt abfällt. Dies lässt sich nur durch kircheninterne Faktoren in diesen Ländern erklären. In Schweden besteht die Kirche vor allem aus Einwanderern, die andere Wertvorstellungen haben. Da in Spanien und den Niederlanden jedoch auch die Katholik:innen selbst deutlich inklusivere Haltungen haben als die Kirche, legt sich die Schlussfolgerung nahe, dass hier die Bischöfe als Bremsklötze gewirkt haben. In ähnlicher Weise wirken sich bis heute die großen Mobilisierungen von Bischöfen und geistlichen Gemeinschaften gegen die sog. „Gender-Ideologie“, die in Frankreich, Italien und Spanien ihren Höhepunkt im Jahr 2013 hatten, retardierend auf die Inklusion von LGBTI+-Personen aus.

Einen beschleunigenden kircheninternen Faktor stellt demgegenüber der Einfluss demokratisch strukturierter katholischer Laienorganisationen dar. Gerade in Ländern wie Deutschland, Belgien und Malta, die an der Spitze des Rankings liegen, haben Laienverbände eine starke Stellung in der Kirche.

Was steckt hinter den Veränderungen der letzten fünf Jahre?

Im Durchschnitt hat sich der Wert für die Inklusivität in der römisch-katholischen Kirche seit der RICE-Studie von 2020 um ca. 6% erhöht und damit stärker als in den anderen Kirchenfamilien. Diese Verbesserung führen die Co-Researcher durchgängig auf den Synodalen Prozess zurück. So erläutert der Co-Researcher aus den Niederlanden: „Die niederländische römisch-katholische Führung fördert dieses Thema nicht aktiv. Aber seit Beginn des Synodalen Prozesses gibt es zumindest Raum für Gespräche darüber. Viele Teilnehmer:innen des niederländischen Synodalen Prozesses sprachen sich für eine LGBTI+-inklusive Kirche und für die liturgische Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften aus.“ (S. 97) Umgekehrt gilt aber auch, dass die Werte dort stagnieren oder sogar zurückgegangen sind, wo der Synodale Prozess bislang nur oberflächlich und lediglich zur Wahrung des Scheins durchgeführt wurde (wie z.B. in Ungarn und der Slowakei).

Ein weiteres fällt beim Blick auf die Spitzengruppe in der römisch-katholischen Kirche auf: „Es ist bemerkenswert, dass die Daten aus Deutschland, Belgien und der römisch-katholischen Kirche in England und Wales sich verglichen mit RICE 2020 signifikant verändert haben.“ (S. 89) Die Steigerungen von knapp 19% in Belgien und Deutschland und sogar um rund 33% in England und Wales[2] innerhalb von fünf Jahren muten für eine Kirche, von der man gemeinhin sagt, dass sie in Jahrhunderten denkt, nahezu revolutionär an. In Belgien und Deutschland haben die Bischofskonferenz bzw. der Synodale Weg die Segensfeiern für queere Paare unterstützt und die pastorale Infrastruktur ausgebaut. Nur hier (und in Österreich) gibt es in den meisten Diözesen Beauftragte für Queerpastoral und zusätzlich eine regionale bzw. nationale Koordination, die Verbesserungen in der Pastoral anschieben und umsetzen kann.

Schritte in eine inklusivere Zukunft

Im Hinblick auf die weltkirchliche Unterstützung für die Akzeptanz von LGBTI+ Personen gibt es in Europa dort eine wachsende Inklusivität zu verzeichnen, wo der Synodale Prozess aktiv vorangetrieben wird. Große Fortschritte lassen sich aber nur erzielen, wenn mehrere Faktoren gleichzeitig gegeben sind. Je mehr Länder diesen Weg vorausgehen, desto leichter können andere darauf verweisen und diesem Weg folgen. Ein wichtiger Schritt dahin könnte die vertiefte Auseinandersetzung mit den zum Teil meilenweit auseinanderliegenden Konzepten der Queerpastoral in Europa sein.

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[1] European Forum of LGBTI+ Christian Groups: RICE 2025. Rainbow Index of Churches in Europe 2025, inclusive-churches.eu. Die Seitenangaben im Text beziehen sich auf diese Studie. Übersetzungen der Zitate aus dem Englischen von M.B.

[2] Der Sprung der röm.-kath. Kirche in England und Wales ist für mich bislang nicht nachvollziehbar. Die große Differenz könnte zum Teil dadurch bedingt sein, dass die Inklusivität durch die Co-Researcher in RICE 2020 tendenziell unter- und in RICE 2025 überschätzt wurde.

 


Michael Brinkschröder

Dr. Michael Brinkschröder arbeitet als Fachreferent für Queerpastoral in der Erzdiözese München und Freising. Er ist Vorsitzender der römisch-katholischen Arbeitsgruppe des European Forum und hat im Advisory Board beratend an der Erstellung von RICE 2025 mitgewirkt. Er ist Mitglied des Katholischen LSBT+ Komitees und von Out in Church.

Foto: Bela Raba

Titelbild: European Forum of LGBT Christian Groups


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