Wie die meisten fatalen oder fragilen Frauen ist die Figur der Salome eine Männerfantasie. Das beginnt mit der Bibel und dem lieben Herrgott und reicht über eine schillernde Kulturgeschichte (Tizian, Flaubert, Oscar Wilde) bis zu dem weithin gefeierten Regisseur Evgeny Titov, 44, der nun an der Komischen Oper Berlin den Einakter Salome von Richard Strauss inszeniert hat. Das Stück dauert gut anderthalb Stunden, und die Frage, die man sich als Zuschauerin an diesem Abend nach exakt fünf Minuten stellt, lautet: Wird das, was Männer durch die Jahrhunderte hindurch fantasiert haben, allein dadurch frauen- und menschenfreundlich, dass auch Männer es inzwischen als von Männern fantasiert deklarieren?
Zugegeben: Die Frage ist etwas schlicht, was nicht zuletzt daran liegt, dass sich Genderdebatten selten in Kunst überführen lassen. Doch leider zwingt einen die Aufführung in ihrer Talmi-feministischen Anmutung zu solchem Holzklotzdenken.
Nach fünf Minuten nämlich betritt Salome die Szene, der Legende wie der Oper nach für die Enthauptung Johannes des Täufers zuständig. Als verderbtes, missbrauchtes, von einer inzestuösen Familiengeschichte traumatisiertes Gör, als das sie imaginiert wurde und wird, steckt sie in einer Art Silber-Tutu. Lolitas Ritterinnenrüstung? Alice im Wunderland? So richtig geht das Rätselraten mit der Kopfbedeckung los: Weiß ist sie und garantiert blickdicht, Helm, Larve, Alien-Maske zugleich – und natürlich wartet man den ganzen Abend nur darauf, dass die Prinzessin von Judäa sich des dämlichen Dings endlich entledigt. Tut sie aber nicht. Bis zum bitteren Ende nicht, wenn der Prophet Jochanaan (wie er bei Wilde und Strauss heißt) zwar nicht geköpft, aber immerhin ausgeweidet wie ein erlegtes Wild über dem Rand seiner Zisterne hängt und Salome, ganz die gute alte männerfresserische Mänade, sich an seinem blutigen Gedärm berauscht.
Z+
Z+ (abopflichtiger Inhalt);
Epstein-Akten:
Das Misstrauen gegen die da oben wächst
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SPD:
Die SPD zerbröselt von oben und von unten
Z+ (abopflichtiger Inhalt);
Donald Trump:
Haben wir das Schlimmste schon hinter uns?
Allerspätestens zum „Tanz der sieben Schleier“, den Salome für ihren Stiefvater Herodes tanzt, wenn ungefähr 19 Salomes im Tutu die Szene fluten, wird auch den begriffsstutzigsten Besuchern klar, was die Regie will: die Protagonistin als anonymes, gesichtsloses, austauschbares Wesen zeigen, als typisches Frauenopfer. Dramaturgisch ist das nicht nur arg Neunzigerjahre, sondern auch arg fragwürdig, schließlich kommt Salome sehr wohl ins Handeln, siehe das Schicksal des Propheten. Außerdem verkennt diese Lesart alle Macht, Klugheit und Subversivität der Strauss’schen Musik. Eine Sängerin wie Nicole Chevalier vermag sicher vieles an Ausdruck, an Darstellung allein in die Stimme zu legen; sie ihres Antlitzes zu berauben, gleicht dennoch einer Amputation und ist ein Missverständnis der Partitur, die ihre Protagonistin, allen lüsternen männlichen Blicken zum Trotz, stets als Herrin des Geschehens in Szene setzt.

Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 50/2025. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen.
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