Man kann zwei unterschiedliche Zahlen ansetzen, um die Armutsgefährdung in Leipzig zu beziffern. Man kann das Leipziger Nettoäquivalenzeinkommen nehmen und kommt dann auf 1.171 Euro, die die Grenze zur Armutsgefährdung für eine Einzelperson beschreiben. Oder man nimmt den bundesdeutschen Maßstab. Dann beginnt die Armutsgefährdung schon bei 1.381 Euro netto.
Und wer die aktuellen Preise im Supermarkt und beim Wohnen kennt, weiß, dass der am bundesdeutschen Median gemessene Wert der Wirklichkeit wohl am nächsten kommt. Und das bedeutet auch, dass sehr viele Leipzigerinnen und Leipziger arm sind, wie die Linksfraktion nun auch durch eine Anfrage bestätigt bekam.
Noch kurz vor der Ratsversammlung am Mittwoch bekam sie die Antwort auf die Anfrage „Armutsschwelle und Armutslücke in Leipzig“.
Und die Berechnung dieser Armutsschwelle ist nicht ganz einfach, erläuterte das Amt für Statistik und Wahlen in seiner Antwort: „Für Leipzig ist auf Basis des MZ-Kerns eine Armutsgefährdungsquote von 19,4 % bekannt. Dieser Wert wird von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder auf Nachfrage bereitgestellt. Eine Armutsgefährdungsquote nach EU-SILC wird für Leipzig nicht berechnet, da die Fallzahlen in der Unterstichprobe zu gering sind.
Auch aus der größeren MZ-Kernstichprobe liegen für Leipzig keine differenzierten Ergebnisse nach Bevölkerungsgruppen vor. Solche Auswertungen können nur mit dem Datensatz der Kommunalen Bürgerumfrage Leipzig erfolgen. Wird dabei die Armutsschwelle nach MZ-Kern (1.305 EUR) zugrunde gelegt, ergibt sich eine Armutsgefährdungsquote von 23,7 % – also 4,3 Prozentpunkte mehr als im MZ-Kern. Ursache sind Unterschiede in Stichprobendesign, Einkommensabfrage, Gewichtung und Erhebungszeitpunkten.“
Das heißt: Die auch im Bericht zur Bürgerumfrage 2024 angegebene Zahl von 19 Prozent armutsgefährdeter Leipziger ist ehe die untere Grenze.
Auch Erwerbsarbeit schützt nicht vor Armut
„Die vorliegenden Zahlen geben Anlass zu politischem Alarm, denn sie bilden bedrückende Fakten ab, die etwa ein Viertel aller Leipzigerinnen und Leipziger betreffen“, erklärt Dr. Volker Külow, Sprecher für Gesundheit, Soziales und Senior*innen der Linksfraktion im Leipziger Stadtrat dazu.
„Die Armutsgefährdungsquote lag im Jahr 2024 auf Basis des Bundesmedian EU-SILC (Mikrozensus-Unterstichprobe zu Einkommen und Lebensbedingungen; Armutsschwelle 1.381 Euro) in unserer Stadt bei 26 Prozent. Die Armutslücke unter den Armen – und damit die Tiefe der Armut – beträgt dabei 29 Prozent; sie bezeichnet das durchschnittliche Ausmaß, um das das Einkommen armer Haushalte unterhalb der offiziellen Armutsschwelle liegt.“
In der Antwort der Verwaltung werde außerdem deutlich, dass sich die Armutsgefährdung in Leipzig durch alle relevanten Bevölkerungsgruppen zieht.
„Unter ihnen haben die aktuell Beschäftigten noch die größten Möglichkeiten, durch erkämpfte Lohnsteigerungen an ihrer Situation etwas zu verbessern – denn trotz Verankerung im Erwerbsleben ist jeder siebte Beschäftigte armutsgefährdet. Das ist in einem vermeintlichen Wirtschaftszentrum alarmierend“, so Külow.
12 Prozent der Leipziger Erwerbstätigen gelten nach der Erhebung als armutsgefährdet, haben also ein viel zu niedriges Erwerbseinkommen. Andere Gruppen (Arbeitslose, Studierende, Rentnerinnen und Rentner, Bürgergeldbeziehende) besitzen nur sehr geringe Spielräume, um an ihrer prekären Situation etwas zu ändern. Ihre Armutsgefährdungsquoten betragen jeweils 82 Prozent, 68 Prozent, 32 Prozent und 92 Prozent.
„Diese Gruppen sind auf Gedeih und Verderb davon abhängig, wie ihr Einkommensbezug durch Bundesgesetze und -programme etc. gestrickt ist. Ergo ist an der Effizienz bisheriger gesetzlicher Regelungen und Programme etc. heftig zu zweifeln“, stellt Külow fest.
„In der vorliegenden Form spiegeln die Daten einen erschreckenden Befund für tiefer liegende ökonomische Ursachen der zunehmenden Spaltung der Leipziger (Stadt-)Gesellschaft wider. Für alle Mitglieder der Linksfraktion wird die Armutsbekämpfung auf allen politischen Ebenen weiterhin ein Eckpfeiler ihres politischen Handelns sein.“