Jetzt steht es fest: die Baumasse in der Kamenzer Straße 12 wird unter Denkmalschutz gestellt. Hier befand sich das größte Frauenaußenlagers vom KZ Buchenwald, in dem von 1944 bis 1945 Zwangsarbeiterinnen eines der größten deutschen Rüstungskonzerne – der nahe gelegenen Hugo Schneider AG (HASAG) – untergebracht waren. Nach 1945 sollte dieser Teil der Geschichte aus der Öffentlichkeit verschwinden. Gebäudeteile wurde erst gesprengt, dann mit Gewerbebauten versehen, wie in der Informationsbroschüre der Gedenkstätte für Zwangsarbeit detailliert nachzulesen ist.
Seit 2007 nutzen Rechte das Areal, organisieren Konzerte und Veranstaltungen. Die 2010 von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund deutscher Antifaschistinnen und Antifaschisten aufgestellte Gedenktafel wurde wiederholt geschändet. 2017 bezog zudem das Imperium Fight Team um Lok-Leipzig-Fan Benjamin Brinsa hier zwischenzeitlich seine Übungsstätte. Im Dezember 2019 kritisierten das Bündnis Ladenschluss und zivilgesellschaftliche Initiativen in einem offenen Brief an die Stadtverwaltung, dass sie den Nazitreff stillschweigend duldete. Daraufhin fasste der Stadtrat im Mai 2020 den Beschluss: »Die Stadt anerkennt, dass der Gebäudekomplex in der Kamenzer Straße 10/12 als ehemaliges Zwangsarbeiter*innenlager der HASAG und größtes Frauenaußenlager des KZ Buchenwald von besonderer Bedeutung ist, und verurteilt die aktuelle Nutzung durch Neonazis.«
Nach der ersten oberflächliche Untersuchung zum Denkmalschutz wurde dieser 2021 zunächst verweigert, unter anderem, weil es angeblich keine »unverfälschten Reste der historischen Gebäudesubstanz« mehr gäbe. Seit Sommer 2022 erinnert zumindest eine Gedenktafel der Stadt an die historischen Ereignisse.
2024 beschäftigte sich der Stadtrat erneut mit dem Grundstück. Auf kreuzer-Anfrage erklärt das Dezernat Stadtentwicklung und Bau, dass basierend auf den Ratsbeschluss Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig von 2024 »eine erneute bauhistorische Prüfung des Objektes Kamenzer Straße 12 beauftragt« wurde. Das neue Gutachten »wurde im Oktober dem Fachausschuss Kultur sowie dem Fachausschuss Stadtentwicklung vorgestellt«, so das erklärt das Dezernat.
Im Gegensatz zur ersten Untersuchung analysierte das Expertenteam nun in fünf Tagen rund 5000 Quadratmeter Fläche und etwa 100 Räume. »Die Gutachterinnen und Gutachter kommen zu dem Ergebnis, dass der bauzeitliche Bestand außerordentlich hoch ist. Das Erdgeschoss, das Kellergeschoss sowie die Außenwände des Obergeschosses sind als Bestand aus der NS-Zeit nachweisbar«, erklärt das Dezernat. Das bedeutet konkret auch, dass das Gebäude Kamenzer Straße 12 laut Gutachterinnen und Gutachter »ein Zeugnis von nationalem und internationalem Rang mit hoher Bedeutung für Sachsen und Leipzig« darstellt. Weiter ist im Schreiben nachzulesen: »Es handle sich um ein Kulturdenkmal mit großem Seltenheitswert und um das einzige erhaltene Massivgebäude der HASAG neben dem ehemaligen Verwaltungsgebäude. Aufgrund der Ergebnisse des bauhistorischen Gutachtens hat das Landesdenkmalamt Sachsen entschieden, das Gebäude gemäß Sächsischem Denkmalschutzgesetz unter Denkmalschutz zu stellen.«
Ein wichtiger und längst überfälliger Schritt. Der Eigentümer ist darüber in Kenntnis gesetzt wurden. Gleichzeitig hält das Dezernat fest, dass dieser »nicht verpflichtet werden kann, weitere Forschungen oder Erhaltungsmaßnahmen durchzuführen.«
Die Stadt weiß nun allerdings, wie sie im Schreiben ausführt, dass im April 2025 der Eigentümer bekannt gab, »dass er das Gebäude für erinnerungskulturelle Zwecke öffnen möchte und sich hierzu im Austausch mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig über eine mögliche Einmietung befindet.«
Ein Anruf bei der Gedenkstätte hätte die Verantwortlichen der Stadt allerdings gezeigt, dass dies keinesfalls der Wahrheit entspricht. Die Gedenkstätte erfuhr erst durch die kreuzer-Anfrage von diesem angeblichen Austausch.
Letztlich bleibt die Stadt bei dem Entschluss, dass sie das Gebäude nicht kaufen möchte – auch nicht nach dem neuen Gutachten. So erfreulich der Denkmalschutz für das ehemalige Konzentrationslager auch ist: für die Erinnerungsarbeit bleibt noch viel zu tun.