Anfang Dezember – vermutlich am 8./9. – unternehmen die Fraktionsvorsitzenden des Pilnacek-U-Ausschusses einen Ausflug nach Berlin. Man will sich erklären lassen, wie im Bundestag Live-Übertragungen aus dem U-Ausschuss funktionieren. Zur Erinnerung: Seit einigen Wochen brüten im hiesigen Parlament die Fachreferenten der Parteien über einer Reform. Ergebnislos.

Wird der Berlin-Trip den Knoten lösen? Immerhin stand der Bundestag 2014 Pate für eine Reform des U-Ausschusses – Stichwort: Minderheitenrecht. Diesmal sind die Erwartungen aber gedämpft: „Die Idee, nach Berlin zu fahren, stammt von Nationalpräsidenten Rosenkranz (FPÖ)“, sagt Kai Jan Krainer, der für die SPÖ im U-Ausschuss sitzt. Natürlich schaue man sich das an, aber „ein Vorbild würde ich Deutschland nicht nennen“.

Denn in den Jahrzehnten seit Bestehen der deutschen Regelung gab es laut Bundestag-Pressestelle nur bei einem U-Ausschuss eine Live-Übertragung: 2005 durch den öffentlich-rechtlichen TV-Sender „phoenix“. Unter anderem der damalige Außenimister Joschka Fischer musste sich zur „Visa-Affäre“ erklären.

Seither herrscht wieder „Funkstille“. Denn die deutsche Live-Regel ist restriktiv. Zwar sind die Beweisaufnahmen in den U-Ausschüssen prinzipiell öffentlich. Während in Österreich nur Medien zugelassen sind, gibt es dort – wie hierzulande bei Gericht – Saalöffentlichkeit. Jeder kann sich das ansehen, sofern Platz ist. Ton- und Bildaufnahmen sind aber nur erlaubt, wenn „zwei Drittel der anwesenden Mitglieder sowie die zu vernehmende oder anzuhörende Person zustimmen“, sagt das Gesetz.

Dass dies überhaupt möglich wurde, ist übrigens „weniger auf eine politische Gestaltung des Parlaments zurückzuführen“, wie Professor Peter M. Huber, Verfassungsjurist an der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärt. Vielmehr sei das Gesetz in weiten Teilen eine Kodifikation der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Wobei puncto Zustimmungsrecht nicht zwischen Personen des öffentlichen Lebens und anderen unterschieden wird. Etwas, was in Österreich für eine Reform aber diskutiert wird.

„Verfassungsrechtlich wäre es zulässig, die Zustimmungsplicht im Regelfall ganz zu streichen. Wenn man sie beibehält, spricht aber viel dafür, Personen der Zeitgeschichte nicht unterschiedlich zu behandeln“, sagt Huber. Öffentliche Personen seien zwar mit Blick auf ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht grundsätzlich weniger schutzwürdig, vor allem wenn ihre Amtstätigkeit Gegenstand des Ausschusses ist. „Aber wenn sie nur Zeugen sind, unterscheidet sich die stigmatisierende Wirkung einer Übertragung nicht von jener für Privatpersonen. Eine öffentliche Person wäre auch eine Schauspielerin: Warum sollte die weniger Schutz vor dem U-Ausschuss haben?“

»Eine öffentliche Person wäre auch eine Schauspielerin: Warum sollte die weniger Schutz vor dem U-Ausschuss haben?«

Peter M. Huber

Verfassungsjurist an der Münchner LMU

Eine Debatte über „Live on tape“ kennt man in Deutschland übrigens nicht. In Wien argumentiert man ja, dass eine Zeitversetzung von einigen Minuten es ermöglichen würde, Datenschutzbedenken und Persönlichkeitsrechten Rechnung zu tragen, indem man manches spontan nicht sendet: „Das finde ich etwas paternalistisch gedacht“, so Huber. „Wenn jemand die Persönlichkeitsrechte verletzt, haftet er dafür, beziehungsweise ist es Sache des Vorsitzenden, solche Fragestellungen rechtzeitig abzudrehen.“

Was freilich auch in Deutschland gilt: Die Öffentlichkeit kann von manchen Beweisaufnahmen ausgeschlossen werden. Und bei der Namensnennung wird im Einzelfall abgewogen, ob das öffentliche Interesse oder das Persönlichkeitsrecht des Zeugen überwiegt. Bei Gefährdung des Zeugen etc., wird der Name nicht genannt.

Ob das deutsche Modell nun ein Vorbild für Österreich ist, könne er nicht beurteilen, sagt Huber, auch weil es ein „work in progress“ sei, dessen Nuancen vom Verfassungsgericht kontinuierlich weiterentwickelt würden. Aber: „Ich denke, uns ist das Ausbalancieren der vielen Interessen einigermaßen gelungen.“