Der Handelsstreit zwischen der EU und den USA spitzt sich weiter zu. EU-Wettbewerbskommissarin, Teresa Ribera, hat die Regierung von Donald Trump scharf angegriffen und ihr vorgeworfen, die EU in laufenden Handelsgesprächen massiv unter Druck zu setzen. Ziel sei es, Europas bahnbrechende Technologieregeln aufzuweichen. Ribera, die als Vizepräsidentin nach Ursula von der Leyen die zweithöchste Position in der Kommission bekleidet, spricht offen von „Erpressung“.

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Auslöser der Kontroverse waren Äußerungen von US-Handelsminister Howard Lutnick am Montag in Brüssel: Der Gefolgsmann Trumps deutete an, die USA könnten ihre Haltung zu den Stahl- und Aluminiumzöllen überdenken, sofern die EU im Gegenzug ihre digitalen Vorschriften neu austariere. Diese Verknüpfung interpretierten EU-Beamte als direkten Angriff auf zentrale Plattformgesetze wie den Digital Markets Acts (DMA).

Die spanische Kommissarin betonte gegenüber Politico: Diese unverhohlene Absicht bedeute keineswegs, dass die EU den Forderungen nachgebe. Lutnicks Bemerkungen seien ein „direkter Angriff gegen den DMA“. Sie fügte hinzu: „Es liegt in meiner Verantwortung, einen gut funktionierenden digitalen Markt in Europa zu verteidigen.“

Reiche will Plattformregeln lockern

Mit dem DMA schränkt die EU die Geschäftspraktiken großer digitaler Plattformen ein, um fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Ribera, die zusammen mit EU-Technologiechefin Henna Virkkunen für die Einhaltung der Verordnung zuständig ist, erklärt die digitalen Vorschriften zu einer Frage der Souveränität. Eine solche gehörte nicht in den Rahmen von Handelsverhandlungen. Washington betrachtet den DMA und den Digital Services Act (DSA), der auf illegale Online-Inhalte ausgerichtet ist, seit Längerem mit Argwohn. Die davon betroffenen Gatekeeper-Plattformen wie Google, Microsoft und Amazon stammen fast ausschließlich aus den USA.

Die harsche Intervention Riberas fällt in eine sensible Phase der transatlantischen Gespräche. Nur einen Tag vor Riberas Statement hatte Virkkunen ihren US-Amtskollegen das Paket zum „digitalen Omnibus“ präsentiert, in dem die Kommission in Teilen von ihrer ambitionierten Datenschutz-Agenda abrückt und die KI-Gesetzgebung zurückstellt. Brüssel verkauft das Vorhaben zwar offiziell als Schritt zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas. Aber es wird weithin als entgegenkommende Geste gegenüber der Trump-Regierung nterpretiert, die momentan das Tempo der Deregulierung in Europa vorzugeben scheint.

Die US-Seite erkennt indes Risse in der europäischen Front. Lutnick sagte nach dem Treffen am Montag, dass einige Minister von EU-Ländern der Idee einer Überprüfung der Digitalregeln nicht so abgeneigt seien wie die Kommission. Er betonte gegenüber Bloomberg TV, dass Europa sein Regulierungsmodell ändern müsse, wenn es US-Investitionen wünsche. Tatsächlich äußerte sich zumindest eine europäische Teilnehmerin offen zustimmend: Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) erklärte am Rande der Gespräche, sie sei für eine weitere Lockerung der EU-Digitalregeln: „Deutschland hat deutlich gemacht, dass wir Möglichkeiten haben wollen, um in der digitalen Welt eine Rolle zu spielen“, hob die Ministerin mit Verweis auf den DMA und den DSA hervor.

Büttel amerikanischer Interessen

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Die Kommission muss sich derweil weiterhin scharfe Kritik an ihrem Omnibus-Entwurf gefallen lassen. Die Arbeitskreise für digitale Souveränität und Datenschutz und IT-Sicherheit der Gesellschaft für Informatik (GI) sehen in der Initiative ein „demokratiepolitisches Alarmzeichen“. Das Paket stehe im Verdacht, primär auf den massiven Druck der US-Regierung zurückzugehen, anstatt europäische Bürger- und Wirtschaftsinteressen zu vertreten.

„Was wir hier erleben, ist beispiellos“, schlägt GI-Gremiumssprecher Harald Wehnes Alarm: „Eine ausländische Regierung betreibt offen Lobbyarbeit gegen europäische Wettbewerber, Verbraucherrechte und Datenschutzstandards – und die EU-Kommission scheint nachzugeben.“ Europa dürfe sich nicht zum „Büttel US-amerikanischer Handelsinteressen“ machen lassen. Die GI-Experten bemängeln vor allem ein Schleifen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): Die Aufweichung des Begriffs „personenbezogene Daten“ würde das Auskunftsrecht der Bürger systematisch aushöhlen und ein massives Schlupfloch für Datenbroker schaffen.

Die vorgesehene Streichung von Transparenzpflichten für KI-Systeme im AI Act mache unabhängige Kontrolle unmöglich, heißt es weiter von der GI. Das geplante Schnellverfahren bei der Gesetzgebung umgehe zudem notwendige demokratische Debatten und Folgenabschätzungen. Bürgerrechtsorganisationen wie European Digital Rights (EDRi), Noyb und der Irish Council for Civil Liberties (ICCL) beklagen zusammen mit Gewerkschaften und Vertretern des öffentlichen Interesses einen Angriff auf die DSGVO. Betroffenenrechte würden unter dem Deckmantel von „Vereinfachungen“ abgeschwächt. KI-Firmen wolle die Kommission einen Blankoscheck ausstellen, um europäische Daten abzusaugen. Das sei höchst besorgniserregend.

(nie)

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