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Dunkle Materie – 85 Prozent des Universums bestehen daraus, ohne dass wir sie sehen. Nun meldet ein Forscher, sie erstmals „gesehen“ zu haben.
Tokio – Ein wissenschaftlicher Meilenstein könnte die Astrophysik revolutionieren: Nach fast einem Jahrhundert intensiver Forschung gibt es erstmals Hinweise auf eine direkte Beobachtung Dunkler Materie. Professor Tomonori Totani von der Universität Tokio hat mittels NASA-Weltraumteleskop spezifische Gammastrahlen identifiziert, die auf die Existenz dieser mysteriösen Substanz hindeuten.
Im Universum muss es dunkle Materie geben, die Galaxien zusammenhält. Nur gesehen hat sie bisher niemand. (Archivbild) © IMAGO/Christian Grube
Die Dunkle Materie zählt zu den fundamentalen Rätseln der modernen Physik. Obwohl sie weder Licht absorbiert noch reflektiert oder emittiert, macht sie nach gängigen Theorien etwa 85 Prozent der Gesamtmasse des Universums aus. Der Schweizer Astronom Fritz Zwicky bemerkte bereits in den 1930er Jahren, dass sich Galaxien schneller bewegten als ihre sichtbare Masse erlauben sollte. Seine Schlussfolgerung: Eine unsichtbare Substanz muss als kosmisches Gerüst fungieren.
Dunkle Materie ist eines der größten Rätsel des Universums
Doch direkt beobachtet wurde die Dunkle Materie nicht – zumindest bisher. Totani will nun jedoch Erfolg gehabt haben. „Wir haben Gammastrahlen mit einer Photonenenergie von 20 Gigaelektronenvolt entdeckt, die sich in einer haloartigen Struktur zum Zentrum der Milchstraße hin erstrecken“, erklärt Totani in einer Pressemitteilung der Universität Tokio. Die Gammastrahlen-Emission passe „genau zu der Form, die von einem Dunkle-Materie-Halo erwartet wird“.
Die aktuelle Forschung konzentriert sich auf sogenannte WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles) als mögliche Bausteine der Dunklen Materie. Diese Teilchen sollen bei Kollisionen Gammastrahlen freisetzen. Genau diese charakteristische Strahlung hat Totani nun nachgewiesen. Die Messungen des japanischen Wissenschaftlers zeigen ein Energiespektrum, das präzise mit der theoretisch vorhergesagten Vernichtung von WIMPs übereinstimmt – mit einer Masse von etwa dem 500-fachen eines Protons. Besonders bemerkenswert: Die detektierten Signale lassen sich nicht durch andere bekannte astronomische Phänomene erklären.
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Fotostrecke ansehenBeobachtung von Dunkler Materie wäre ein Paradigmenwechsel in der Teilchenphysik
Falls sich die Ergebnisse bestätigen, würde dies einen Paradigmenwechsel in der Teilchenphysik bedeuten. „Wenn das korrekt ist, wäre es nach meinem Wissen das erste Mal, dass die Menschheit Dunkle Materie ‚gesehen‘ hat“, betont Totani. „Und es stellt sich heraus, dass Dunkle Materie ein neues Teilchen ist, das nicht im aktuellen Standardmodell der Teilchenphysik enthalten ist. Das bedeutet eine große Entwicklung für Astronomie und Physik.“ Die Studie wurde im Journal of Cosmology and Astroparticle Physics veröffentlicht.
Gammastrahlen-Aufnahme des Milchstraßen-Halo. Der horizontale graue Balken im mittleren Bereich entspricht dem Bereich der galaktischen Ebene, der aus der Analyse ausgeschlossen wurde, um starke astrophysikalische Strahlung zu vermeiden. © Tomonori Totani, The University of Tokyo
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse mahnt Totani selbst zur Vorsicht. Die wissenschaftliche Methodik erfordert eine unabhängige Überprüfung durch andere Forschungsteams. Zusätzliche Nachweise wären notwendig, beispielsweise durch den Nachweis identischer Gammastrahlen-Emissionen in Zwerggalaxien des Milchstraßen-Halos, wo ebenfalls hohe Konzentrationen Dunkler Materie vermutet werden. „Das könnte erreicht werden, sobald mehr Daten gesammelt sind“, so Totani. „Und wenn ja, würde es noch stärkere Beweise liefern, dass die Gammastrahlen von Dunkler Materie stammen.“ (Quellen: Pressemitteilung, Studie) (tab)