Evakuierungsroute
Foto: Anadolu Agency / Imago
Der 28-Punkte-Plan, der auf dem Tisch liegt, ist gerade einmal der erste Schritt auf dem Weg zum Frieden. Und es ist keineswegs so, dass er einer ukrainischen Kapitulation gleichkommt
Winston Churchill war nicht nur Staatsmann, sondern auch ein für seine markanten Sprüche bekannter Literat. Nach dem Sieg der britischen Truppen über das deutsch-italienische Afrika-Korps 1942 bei El Alamein bemerkte er treffend: „Das ist nicht das Ende. Es ist noch nicht einmal der Anfang vom Ende. Aber es ist vielleicht das Ende des Anfangs.“
Das könnte auch auf die gegenwärtige Lage im Ukraine-Krieg zutreffen. Denn der erste Schritt ist mit dem amerikanischen 28-Punkte-Plan getan. Dass dies erst der Anfang ist, zeigt die Einschätzung von Russlands Präsident Wladimir Putin, der soeben nicht von einem Friedensplan sprach, sondern von einer „Zusammenstellung von Fragen“. Zunächst muss also der Anfang der Friedensbemühungen konsolidiert werden, sodass mehr daraus folgen kann. Das setzt Gesprächspartner voraus, die auf der Basis nackter Realitäten und Interessen kompromissbereit sind, woran freilich berechtigte Zweifel bestehen.
Offenbar fällt es vielen Politikern und Kommentatoren in Deutschland schwer, den 28-Punkte-Plan für das zu nehmen, was er ist: Ein erster Aufschlag. Die darin enthaltenen Forderungen an Kiew sind hart – etwa der Verzicht auf nicht besetztes Territorium, die Obergrenze für die ukrainischen Streitkräfte von 600.000, keine freie Bündniswahl, eine vollständige Amnestie – , aber sie sind mitnichten eine „Kapitulation“. Es handelt sich auch um keinen Diktatfrieden, denn Kiew unterwirft sich nicht den einseitig festgelegten Bedingungen, sondern ist – unterstützt von den Europäern – aktiver Teil eines komplexen Verhandlungsprozesses.
Dieser führte zuletzt nach Genf, wo sich Vertreter der USA, der Ukraine und Europas „Koalition der Willigen“ auf einen neuen Entwurf einigten. Sie schlagen unter anderem vor, die Obergrenze für die ukrainische Armee auf 800.000 anzuheben, eine NATO-Mitgliedschaft prinzipiell nicht auszuschließen, die gesamte Frontlinie einzufrieren (statt den ganzen Donbas an Russland abzutreten), „robuste“ Sicherheitsgarantien, einschließlich einer direkten Beistandsgarantie der USA, die Möglichkeit von Truppenstationierungen in der Ukraine und keine Amnestie.
Aus russischer Sicht wäre der 28-Punkte-Plan nicht in Gänze akzeptabel
Demnach lagen nun unterschiedliche Entwürfe vor, die Vertreter aus Russland, den USA und der Ukraine anschließend in Abu Dhabi überarbeiteten. Nächste Woche soll US-Emissär Steve Witkoff nach Moskau fliegen, um „verbliebene Unstimmigkeiten“ zu beseitigen. US-Heeresminister Daniel Driscoll, einflussreicher Studienfreund von US-Vizepräsident JD Vance, wird in Kiew erwartet. Während Trump sich kurz vor dem Ziel wähnt, beurteilt Moskau die europäischen Vorschläge als „auf den ersten Blick völlig destruktiv“.
Aus russischer Sicht wäre selbst der 28-Punkte-Plan nicht in Gänze akzeptabel. Unter anderem kritisiert man die zu hohe Obergrenze für die ukrainische Armee (im April 2022 bei den Verhandlungen unmittelbar nach Beginn des Krieges hatte man 100.000 vorgeschlagen, Kiew 250.000) und die Verwendung von Teilen des eingefrorenen russischen Vermögens für den ukrainischen Wiederaufbau.
Zudem übersehen westliche Medien meist russische Konzessionen, wie die Anerkennung der Ukraine als souveräner Staat, der über 80 Prozent seines vorherigen Territoriums verfügt oder dessen Mitgliedschaft in der EU. Ferner fordert Moskau nicht mehr, wie noch 2022, den Rückzug aus allen annektierten Oblasten, sondern beschränkt sich auf den Donbas, wobei das von der Ukraine zu räumende Gebiet demilitarisiert würde und der Konflikt an der Kontaktlinie zu den beiden anderen Oblasten eingefroren würde.
Gebietsabtretungen müssten nicht völkerrechtlich anerkannt werden
Angesichts der militärischen Überlegenheit Moskaus, der vielfältigen ukrainischen Abhängigkeiten von den USA, Europas politischer Schwäche und Washingtons unverkennbarer Absicht, gute Geschäfte mit Moskau machen zu wollen, sollten die Europäer und Kiew auf Russlands Kernforderungen – keine NATO-Mitgliedschaft, Abtretung des Donbass, militärische Beschränkungen – eingehen. Eine Mitgliedschaft in der NATO würde schließlich durch Sicherheitsgarantien und die perspektivische Mitgliedschaft in der EU kompensiert. Außerdem müssten Gebietsabtretungen nicht völkerrechtlich anerkannt werden, und die Obergrenze für ukrainische Militärressourcen ließen sich in einen gesonderten abrüstungs- und rüstungskontrollpolitischen Prozess einbetten.
So könnte man das Ende des Anfangs der Friedensbemühungen unterstützen und die Möglichkeit eröffnen, diese zu verstetigen.
#228;tzung von Russlands Präsident Wladimir Putin, der soeben nicht von einem Friedensplan sprach, sondern von einer „Zusammenstellung von Fragen“. Zunächst muss also der Anfang der Friedensbemühungen konsolidiert werden, sodass mehr daraus folgen kann. Das setzt Gesprächspartner voraus, die auf der Basis nackter Realitäten und Interessen kompromissbereit sind, woran freilich berechtigte Zweifel bestehen. Offenbar fällt es vielen Politikern und Kommentatoren in Deutschland schwer, den 28-Punkte-Plan für das zu nehmen, was er ist: Ein erster Aufschlag. Die darin enthaltenen Forderungen an Kiew sind hart – etwa der Verzicht auf nicht besetztes Territorium, die Obergrenze für die ukrainischen Streitkräfte von 600.000, keine freie Bündniswahl, eine vollständige Amnestie – , aber sie sind mitnichten eine „Kapitulation“. Es handelt sich auch um keinen Diktatfrieden, denn Kiew unterwirft sich nicht den einseitig festgelegten Bedingungen, sondern ist – unterstützt von den Europäern – aktiver Teil eines komplexen Verhandlungsprozesses. Dieser führte zuletzt nach Genf, wo sich Vertreter der USA, der Ukraine und Europas „Koalition der Willigen“ auf einen neuen Entwurf einigten. Sie schlagen unter anderem vor, die Obergrenze für die ukrainische Armee auf 800.000 anzuheben, eine NATO-Mitgliedschaft prinzipiell nicht auszuschließen, die gesamte Frontlinie einzufrieren (statt den ganzen Donbas an Russland abzutreten), „robuste“ Sicherheitsgarantien, einschließlich einer direkten Beistandsgarantie der USA, die Möglichkeit von Truppenstationierungen in der Ukraine und keine Amnestie. Aus russischer Sicht wäre der 28-Punkte-Plan nicht in Gänze akzeptabelDemnach lagen nun unterschiedliche Entwürfe vor, die Vertreter aus Russland, den USA und der Ukraine anschließend in Abu Dhabi überarbeiteten. Nächste Woche soll US-Emissär Steve Witkoff nach Moskau fliegen, um „verbliebene Unstimmigkeiten“ zu beseitigen. US-Heeresminister Daniel Driscoll, einflussreicher Studienfreund von US-Vizepräsident JD Vance, wird in Kiew erwartet. Während Trump sich kurz vor dem Ziel wähnt, beurteilt Moskau die europäischen Vorschläge als „auf den ersten Blick völlig destruktiv“. Aus russischer Sicht wäre selbst der 28-Punkte-Plan nicht in Gänze akzeptabel. Unter anderem kritisiert man die zu hohe Obergrenze für die ukrainische Armee (im April 2022 bei den Verhandlungen unmittelbar nach Beginn des Krieges hatte man 100.000 vorgeschlagen, Kiew 250.000) und die Verwendung von Teilen des eingefrorenen russischen Vermögens für den ukrainischen Wiederaufbau. Zudem übersehen westliche Medien meist russische Konzessionen, wie die Anerkennung der Ukraine als souveräner Staat, der über 80 Prozent seines vorherigen Territoriums verfügt oder dessen Mitgliedschaft in der EU. Ferner fordert Moskau nicht mehr, wie noch 2022, den Rückzug aus allen annektierten Oblasten, sondern beschränkt sich auf den Donbas, wobei das von der Ukraine zu räumende Gebiet demilitarisiert würde und der Konflikt an der Kontaktlinie zu den beiden anderen Oblasten eingefroren würde. Gebietsabtretungen müssten nicht völkerrechtlich anerkannt werdenAngesichts der militärischen Überlegenheit Moskaus, der vielfältigen ukrainischen Abhängigkeiten von den USA, Europas politischer Schwäche und Washingtons unverkennbarer Absicht, gute Geschäfte mit Moskau machen zu wollen, sollten die Europäer und Kiew auf Russlands Kernforderungen – keine NATO-Mitgliedschaft, Abtretung des Donbass, militärische Beschränkungen – eingehen. Eine Mitgliedschaft in der NATO würde schließlich durch Sicherheitsgarantien und die perspektivische Mitgliedschaft in der EU kompensiert. Außerdem müssten Gebietsabtretungen nicht völkerrechtlich anerkannt werden, und die Obergrenze für ukrainische Militärressourcen ließen sich in einen gesonderten abrüstungs- und rüstungskontrollpolitischen Prozess einbetten. So könnte man das Ende des Anfangs der Friedensbemühungen unterstützen und die Möglichkeit eröffnen, diese zu verstetigen.