Manchmal sind es die Randnotizen, die viel verraten über eine Geschichte. Wer die Internetseite des Landkreises Ludwigslust-Parchim in Mecklenburg-Vorpommern besucht, klickt auf die Kontakte für die örtlichen Parteien. Dort hat auch die Fraktion der AfD ihren Platz, gelistet ist die Geschäftsführerin der in Teilen rechtsextremen AfD: Natalia S. Und sie hat für die Öffentlichkeit eine E-Mail-Adresse angegeben: Sie endet mit „@mail.ru“, „.ru“ steht für Russland, so wie „.de“ für Deutschland.
Mittlerweile ist die Adresse geändert. Doch Recherchen unserer Redaktion im Internetarchiv zeigen, dass der alte Kontakt dort angegeben war. SPD und Grüne im Landtag sind laut einem Bericht des NDR alarmiert, fürchten ein „potenzielles Datenleck“. Die deutschen Sicherheitsbehörden warnen seit 2022 stark vor Cyberspionage und Cyberkriminalität von Gruppierungen, die mit Russland in Verbindung stehen. Die Kreisverwaltung in Ludwigsburg-Parchim bestätigt gegenüber unserer Redaktion, dass sie Risiken bei der Datensicherheit befürchtet habe und von der AfD-Fraktion wegen der E-Mail-Adresse Maßnahmen gefordert hatte – offenbar bis hin zur Kündigung der Mitarbeiterin.

März 2021: Alice Weidel, Vorsitzende der AfD Bundestagsfraktion, steht in der Nähe des Kreml in Moskaus Zentrum. Heute spricht sie von „offenen Kanälen“ in Richtung Russland.
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Die örtliche AfD reagierte bisher nicht auf eine Anfrage. Im NDR sagte die Fraktion, die frühere E-Mail-Adresse sei „ein Irrtum“, es handele sich um einen privaten Kontakt der Mitarbeiterin, die Russin sei, aber seit vielen Jahren in Deutschland den „Hauptwohnsitz“ habe.
Es ist ein Detail aus der deutschen Politik-Provinz. Doch weil es die AfD betrifft, macht es Schlagzeilen. Die „Alternative“ steht immer wieder in der Kritik, mit ihrer Nähe zu Russland und dem russischen Staat die deutsche Sicherheit zu gefährden. „Die Vernetzung der AfD mit den autoritären Regimen dieser Welt hat ein solches Ausmaß angenommen, dass hieraus sicherheitspolitisch sehr ernste Bedrohungen für unsere Demokratie erwachsen“, sagt Konstantin von Notz, stellvertretender Grünen-Fraktionschef und Vize-Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag, unserer Redaktion. „Das Drehbuch ist immer identisch. Man lernt voneinander und unterstützt sich gegenseitig. So schreitet die globale Vernetzung der AfD weiter voran.“
CDU-Politiker zur AfD: „Diese Partei lässt sich blind am Halsband des Kremls führen“
Ähnlich scharfe Kritik übt der Vorsitzende des Kontrollgremiums, das geheim tagt und die Arbeit der Nachrichtendienst kontrolliert. So sagt CDU-Politiker Marc Henrichmann unserer Redaktion: „Diese Partei agiert nicht im Interesse Deutschlands und lässt sich blind am Halsband des Kreml führen.“ Putin versuche seit Jahren durch „Desinformationskampagnen und Einflussoperationen Deutschland und Europa zu destabilisieren“, so Henrichmann. „Dabei ist und bleibt die AfD ein günstiges Werkzeug Russlands unter vielen.“

Grünen-Politiker Konstantin von Notz: „Die AfD ist nie weit, wenn es darum geht, willfährige Helfer zu suchen, die bereit sind, die Narrative von Putin und Co. ungefiltert in unsere öffentlichen Diskurse, Talkshows und Parlamente zu tragen.“
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Gegen den AfD-Europapolitiker Petr Bystron ermittelt derzeit die Generalstaatsanwaltschaft München. Der Anfangsverdacht: Bestechlichkeit von Mandatsträgern und Geldwäsche. Im Mai hob das EU-Parlament die Immunität Bystrons auf, im Sommer durchsuchten Polizisten Objekte in Deutschland und auf Mallorca. Die Staatsanwälte werfen Bystron vor, er habe Zehntausende Euro Bestechungsgeld aus dem Umfeld der pro-russischen Plattform „Voice of Europe“ erhalten. Laut tschechischer Behörden soll hinter dem Medium ein Putin-naher Oligarch stehen. Bystron wies die Vorwürfe „mit Nachdruck“ zurück, sprach von einer „Diffamierungskampagne“. Gegenüber unserer Redaktion hatte er 2024 gesagt: „Ich habe kein Geld angenommen, um prorussische Positionen zu vertreten.“
Es ist erst wenige Tage her, da betonte AfD-Chefin Alice Weidel im Bundestag, ihre Partei sei „die einzige Partei, die einzige Fraktion mit offenen Kanälen“ zu den USA und Trump – und nach Russland. Weidel war selbst schon nach Moskau gereist, im März 2021. Die AfD-Chefin warf der Bundesregierung nun im Bemühen um eine Friedenslösung im Ukraine-Krieg Versagen vor. Und diese „Kanäle“ sind ihrer Meinung nach offenbar das Plus der AfD in ihrer „Friedenspolitik“.
Konkret führte Weidel nicht aus, wie eng Kontakte von Parteimitgliedern zur russischen Spitze sind. Andere AfD-Politiker lassen da weniger Zweifel. Gerade erst waren mindestens drei Politiker der Partei zu einer Konferenz ins russische Sotchi gereist – einer der Veranstalter laut Medienberichten: die Kremlpartei „Einiges Russland“. Unter den deutschen Delegierten war auch ein AfD-Bundestagsabgeordneter.
Letzterer gab einem kremltreuen Medium ein Interview, sprach sich laut Berichten gegen Sanktionen gegen Russland aus, und für einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine. Zum völkerrechtswidrigen Angriff der russischen Armee auf die Ukraine, zu den Bombardierungen der Zivilbevölkerung, zu den Vorwürfen der Kriegsverbrechen – offenbar kein Wort. Das mitgereiste extrem rechte und pro-russische Medium „Compact“ feierte die Politiker als „tapfere AfD-Abgeordnete“.
AfD-Politiker 2024 in Sotchi, traf Putin-Vertrauten und Scharfmacher Dmitri Medwedew
Das alles passiert in Wochen, in denen mutmaßlich aus Russland gesteuerte Drohnenüberflüge über europäische Staaten mehrere Flughäfen lahmlegen. In Zeiten, in denen aus Russland gesteuerte Cyberangriffe immer wieder deutsche Behörden und Unternehmen treffen. In denen russische „Low-Level-Agenten“ mutmaßlich Brandsätze in Transportflugzeugen platzieren.
Zugeschaltet zu der Konferenz im russischen Ski-Ort Sotchi soll laut Berichten ein früherer Abgeordneter der AfD gewesen sein, der heute für einen Parteikollegen im Bundestag arbeitet. Doch die Verwaltung des Parlaments verweigert ihm den Hausausweis. Einer der Gründe: dessen Kontakte zu russischen staatlichen Stellen.

Unter Druck, von innen und außen: Alice Weidel, Fraktions- und Bundesvorsitzende der AfD.
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Zugeschaltet per Video war offenbar auch Rainer Rothfuß, Sprecher der Partei im Menschenrechtsausschuss des Bundestags. Er war 2024 vor Ort auf der Konferenz in Sotchi, traf Ex-Präsident und Putin-Vertrauten und Scharfmacher Dmitri Medwedew. Diesmal aber war der Druck auf Parteichefin Weidel groß, sie erließ „Parteiordnungsmaßnahmen“, untersagte Rothfuß die Teilnahme vor Ort. Auch andere AfDler sollen sich in Russland nicht mehr auf Fotos mit Medwedew zeigen. Rothfuß sprach in rechten Medien von einem „Krieg gegen die AfD“ wegen der Sotchi-Fahrt.
Weidels Reaktion auf die Russland-Reise macht das Dilemma der Parteispitze deutlich. Intern sind die Klügeleien mit Russland nicht bei allen Mitgliedern beliebt, im Gegenteil. Eine Abgeordnete hält es im Gespräch mit unserer Redaktion für „politisch nicht klug“, es gebe „keinen Mehrwert“ durch Reisen nach Russland. Andere befürchten offenbar Schaden für die AfD durch die Berichte über die Russland-Nähe. Die Mehrheit der Bevölkerung sieht laut einer repräsentativen Umfrage im ZDF eine zu große Nähe der AfD zur russischen Führung. Mehr als die Hälfte der für das ZDF-„Politbarometer“ Befragten (62 Prozent) sind dieser Meinung. Gut ein Viertel (28 Prozent) sieht das anders.
Aber: Von den befragten AfD-Wählerinnen und Wählern hält nur ein kleiner Teil das Verhältnis zu Russland für problematisch – gerade einmal zehn Prozent. Während Weidel selbst mit Elon Musk über dessen Plattform X anbandelt, dem einstigen Vertrauten von US-Präsident Donald Trump, führt der politische Weg von Co-Chef Tino Chrupalla eher Richtung Osten: 2023, als Russland bereits in der Ukraine Krieg führt, besuchte Chrupalla die russische Botschaft in Berlin – zum Jahrestag des Sieges über Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Vor allem aus den ostdeutschen Landesverbänden – aber nicht nur dort – bekommt Chrupalla für seinen Russland-Kurs Zuspruch.
Bei einem Besuch spricht AfD-Politiker „spontan“ Botschafter Sergej Netschajew
Erst vor kurzem sagte Chrupalla in einer Talkshow, er sehe aktuell durch Russland keine Gefahr für Deutschland – und über Staatschef Wladimir Putin: „Mir hat er nichts getan.“
Grünen-Politiker von Notz kommentiert Vorfälle wie diesen mit scharfen Worten: „Die AfD ist nie weit, wenn es darum geht, willfährige Helfer zu suchen, die bereit sind, die Narrative von Putin und Co. ungefiltert in unsere öffentlichen Diskurse, Talkshows und Parlamente zu tragen.“ Vertreter der Partei würden „völlig offen und gänzlich ungeniert“ agieren. Von Notz sagte: „Sie machen sich zum Sprachrohr von Russland, China und anderen Staaten, die unserem Land massiv schaden.“

Andrij Melnyk: „Europa darf kein Zuschauer bleiben“
Immer wieder wird aber auch deutlich: Weidels und Chrupallas außenpolitischer Kurs ist nicht klar. Die Diskrepanzen gingen soweit, dass sich die beiden jüngst zu einem knappen Statement genötigt sahen und betonten, man werde auch „zukünftig gemeinsam Politik“ machen.
Zu Besuch in der russischen Botschaft war auch Rainer Rothfuß. Viermal seit 2023, wie er auf Nachfrage unserer Redaktion mitteilt. Und gemeinsam mit einer Besuchergruppe der AfD im Bundestag. Neben Reichstag und Spreeufer stand auch eine Visite in Putins Machtzentrale in Berlin auf dem Programm. Es finde eine Führung durch die Botschaft statt, teilt Rothfuß mit, durch „bislang durchweg fließend Deutsch sprechende, junge hübsche Frauen“. Bei einer Führung 2023 habe er „spontan“ Botschafter Sergej Netschajew sprechen können.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Mindestens fünf weitere Bundestagsabgeordnete führten Besucher laut einem Bericht des „Spiegel“ ebenfalls in die Botschaft. Ein weiterer AfD-Politiker bestätigte einen Besuch gegenüber unserer Redaktion. Es sei ihm ein „Herzensanliegen, jegliche Gelegenheit zu nutzen, für Völkerverständigung einzutreten“, schreibt Rothfuß zu den Besuchen. Er wolle „durch Dialog und Diplomatie die Eskalation der Spannungen mit Russland“ verhindern. Von den Völkerrechtsbrüchen und mutmaßlichen Kriegsverbrechen der russischen Armee – davon schreibt er hier kein Wort.