Schützende Hasenfrauen und traumhafte Körperlandschaften malt die in Berlin lebende japanische Künstlerin Leiko Ikemura. Aber sie macht auch große und kleinste Skulpturen, zeichnet fantastisch und dichtet auch. Jetzt erstmals groß in Wien zu sehen.

Japanische Künstlerinnen sind Meisterinnen der Wiedererkennung, zumindest die bekanntesten, was damit wohl zusammenhängt. Denken wir an die Punkte von Yayoi Kusama, derzeit mit einer spektakulären Schau in der Baseler Fondation Beyeler zu sehen. An die roten Fäden, mit denen Chiharu Shiota ihre und unsere Erinnerungsstücke und Briefe einwebt, aktuell im Horten Museum in Wien zu bestaunen. Oder an die unheimlich(en) zärtlichen Hasenwesen, eigentlich Häsinnenwesen, die Leiko Ikemura in teils monumentalem Format über ihre Ausstellungen wachen lässt. Wie gerade eben in der Pfeilerhalle der Albertina.

Es ist eine märchenhafte Chimäre, eine Mischform aus Mädchen, Tier und Göttin: Der ausgestellte, vorne wie ein Tor geöffnete Rock erinnert an eine Schutzmantelmadonna. Die Pfoten sind gebetshaft an die Brust gelegt. Tränen scheinen dem Frauenkopf über die Wange zu rinnen. Und die Ohren sind wie Hörner hoch aufgerichtet, die Patina der Bronze ist an den Spitzen poliert, dass sie wie glühende Antennen wirken. Wohin weisen sie? In die hypnotischen Welten einer fluiden Naturweiblichkeit oder Weiblichkeitsnatur, die diese alterslos wirkende Künstlerin (sie ist unglaubliche 74) erschaffen hat.

„Usagi“ nennt Ikemura diese Figuren, nach dem japanischen Wort für Hase, was auch ein beliebter Mädchenvorname ist und tief in der aktuellen Popkultur des Landes verwurzelt ist- So heißt die berühmteste japanische Manga-Superheldin „Sailor Moon“ im bürgerlichen Namen Usagi Tsukino, Mondhase. In der japanischen Legende haust nämlich nicht wie hierzulande ein schnöder Mann am Mond, sondern ein f(r)uchtbarer, in einem Mörser Reismehl mahlender Hase. Willkommen in Ikemuras magischem Wald aus Referenzen, in dessen sanftem Dunkel asiatische und westliche Ikonografien verschmelzen, geheimnisvoll beleuchtet von einem spezifisch weiblichen, ja feministischen Licht. Wenn Sie so wollen: Mondlicht. In Japan geboren, ging Ikemura bald nach Europa, wo sie erst Literatur in Spanien studierte, in der Schweiz erste Ausstellungen machte und 1991 zur ersten ausländischen Professorin an die Berliner Kunstuniversität UDK berufen wurde, an deren recht rau-machistische Kollegenschaft sie sich nur ungern erinnert. Die aktuelle Ausstellung in der Albertina, für die Direktor Ralph Gleis die Idee noch aus seiner Berliner Zeit mitbrachte, ist die erste größere in Österreich.

Nicht als reine Retrospektive gedacht, konzentriert sie sich auf jüngere Werke, weist aber auch mit einigen zart verstörenden, fragilen Zeichnungen aus der Mitte der Neunzigerjahre auf die Kontinuität des Mädchen-Themas in Ikemuras Arbeit hin. Wobei: Sagt nie Mädchen zu ihnen. Immer nur „Girls“, so will es die Künstlerin. Das ist frecher, stärker, härter.

Gerade in manchen dieser frühen Pastelle denkt man unweigerlich an Maria Lassnigs Farbigkeit. Ikemura zählt diese selbst zu den Künstlerinnen, die sie beeinflusst haben, neben vielen anderen, etwa der abstrakten Expressionistin Joan Mitchell. Auch die Tier- und Naturliebe verbindet sie mit Lassnig, treibt diese jedoch weiter. Ein neun Meter breites, nahezu bukolisches Triptychon von 2015, laut Gleis eines von Ikemuras Hauptwerken, konnte die Albertina jüngst sogar erwerben. Jetzt prangt oder schwebt es vielmehr zentral in der Pfeilerhalle. In einer faszinierend fahlen Farbigkeit, geschaffen durch die Malweise von Tempera auf Jute, öffnen sich darin großzügige Traumlandschaften, in denen erahnte Körper und Umgebung verschmelzen. „Motherscape“ ist denn auch der Titel der Schau, eine Wortschöpfung aus Mutter und Landschaft. Denn Ikemura drückt sich nicht nur in Skulptur, Malerei, Zeichnung und Video aus, sondern auch in Sprache, in Dichtung: „Wenn ich die Augen länger schließe/ bin ich im Fluss der glitzernden Bilder/ Die Landschaft wird flüssig und ich träume ein“.

Zur Ausstellung

Bis 6. April, tägl. 10-18h, Mi. und Fr. bis 21h. www.albertina.at

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