Kiel. Die Kinderärzte in Schleswig-Holstein zeigen sich besorgt über den psychischen Zustand von Kindern und Jugendlichen. Auf der Jahrestagung des Landesberufsverbandes BVKJ in Kiel stand daher das Thema „Hilfe für die Kinderseele – Kindheit und Jugend in der Krise“ im Mittelpunkt.
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Als prominente Referentin sprach Prof. Ulrike Ravens-Sieberer von der Uniklinik Hamburg-Eppendorf über bisher unveröffentlichte Forschungen. Sie ist Leiterin der Copsy-Studie, dem derzeit einzigen bundesweiten Monitoring zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.
In der Copsy-Studie werden seit 2020 Daten erfasst. Die jüngsten Befragungsergebnisse aus dem Herbst 2025 sollen am 4. Dezember vorgestellt werden. Ravens-Sieberer präsentierte vorab einige Daten.
Demnach befindet sich die Anzahl psychisch belasteter Kinder auch 2025 auf dem hohen Niveau von 2024: 21 Prozent der Kinder und Jugendlichen geben eine geminderte Lebensqualität an. Der Wert liege fünf Prozentpunkte über denen vor der Corona-Pandemie. Von psychischen Auffälligkeiten sind ebenfalls über 20 Prozent betroffen.
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Copsy-Studie 2025: 30 Prozent der Mädchen leiden unter Angstsymptomen
Den Fünf-Prozent-Unterschied haben die Forscher auch in anderen Bereichen der psychischen Gesundheit ermittelt, etwa bei den Angstsymptomen. „Vor allem bei Mädchen ab 14 Jahren haben die Angstsymptome signifikant von 20 auf 30 Prozent zugenommen.“
Bei der Gruppe habe sich 2025 zudem gezeigt, dass die Zahl der Depressionen ebenfalls signifikant gestiegen ist – von zehn auf 17 Prozent. Ravens-Sieberer rät Kinderärzten, die jungen Mädchen im Blick zu behalten.
Es sind substanziell viele Kinder und Jugendliche deutlich mehr belastet als vor der Corona-Pandemie.
Prof. Ulrike Ravens-Sieberer
Leiterin der Copsy-Studie
Die seelischen Belastungen gingen oft mit körperlichen Beschwerden einher. „Vor allem die Zahl der Betroffenen mit Kopf- und Bauchschmerzen ist nach der Pandemie kontinuierlich angestiegen und hat sich im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie verdoppelt.“
Solveig von Bismarck, Kinderärztin in Kiel, berichtete, dass sie bei ihren Patienten zunehmend psychische Probleme mit Beschwerden wie Ein- und Durchschlafstörungen oder Kopf- und Bauchschmerzen beobachte. Während sie bei den Kindergartenkindern häufiger hyperaktives und aggressives Verhalten sieht, berichteten die Jugendlichen von depressiven Verstimmungen. Älteren Jugendlichen fehlten häufig Zukunfts- und Berufspläne.
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Zugenommen haben demnach auch Essstörungen – auch bei Jungs und schon bei jüngeren Kindern. Von Bismarck berichtete von einer neunjährigen Patientin, die zudem eine Zwangsstörung entwickelt habe. Das Kind meine: „Wenn ich nicht hundertmal Seil springe, dann darf ich kein Abendbrot essen.“
Zugleich erlebe die Kinderärztin eine Verunsicherung der Eltern beim Umgang mit ihren Kindern. Teils seien sie selbst psychisch belastet. Eine psychische Belastung der Eltern sei ein Risikofaktor für die psychische Gesundheit ihrer Kinder, sagte Ravens-Siebens.
Weitere Risikofaktoren seien eine geringe Bildung der Eltern, Migrationshintergrund und beengter Wohnraum. Leichter hätten es Kinder, die „viele Ressourcen in sich vereinten“. Gemeint sind damit Kinder, die zuversichtlich in die Zukunft schauen, die selbstwirksam sind, viel gemeinsame Zeit mit ihrer Familie verbringen und von ihrem Umfeld gut unterstützt werden. Diese Kinder hätten ein fünf- bis zehnfach geringeres Risiko, psychische Auffälligkeiten zu entwickeln.
Brauchen alle Kinder mit psychischen Problemen einen Therapieplatz?
Daraus schloss die Hamburger Forscherin: „Um die Psyche nachhaltig zu stärken, ist es richtig, in die Förderung von Ressourcen und Resilienz zu investieren.“ Prävention müsse niedrigschwellig und flächendeckend in Schulen und Kitas angeboten werden. Schleswig-Holstein sei in dieser Hinsicht gut aufgestellt, lobte Ravens-Sieberer.
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Bildungsministerin Dorit Stenke (CDU) stellte anschließend dar, wie sich Situation und Funktion der Schulen verändert hätten. „Es gerät manchmal aus dem Blick, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr die Unterstützung von zu Hause haben“, sagte Stenke. Schulkinder hätten „Bedürfnisse und Bedarfe, die in ihrem häuslichen Umfeld überhaupt nicht mehr erfüllt werden“.
Ralf van Heek, Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder und Jugendärzte, wies auf die Not in den Praxen hin. Es fehle an Psychotherapieplätzen für die Patienten. Auch Verbandssprecher und Kinderarzt Sebastian Groth berichtete von inzwischen täglichem Kontakt mit Patienten mit seelischen Nöten. „Bis sie eine Behandlung, eine Therapie bekommen, vergehen Monate.“
Ravens-Sieberer warf die Frage auf, ob alle Kinder mit psychischen Auffälligkeiten überhaupt behandlungsbedürftig seien. Die, die es wirklich bräuchten, könnten nicht richtig behandelt werden. Denn zu viele, die sonst nicht wüssten wohin, würden in die Therapien drängen. „Bei einigen würde mit Prävention und Gesundheitsförderung in der Schule schon viel abgemildert.“
Kinderärztin von Bismarck räumte ein, dass sie in Kiel nicht wisse, wohin sie Kinder und Jugendliche mit weniger schweren Auffälligkeiten schicken könne: „Ich wünsche mir für sie ein niedrigschwelliges Angebot, zum Beispiel Gesprächsgruppen.“
KN