Szene aus „Dickes Blut. Eine Familienfeier“ Foto: Dominique Brewing
Theater mit der Eltern-Kind-Gruppe: Das Citizen-Kane-Kollektiv zeigt im Naturfreundehaus Steinbergle sein neues Projekt „Dickes Blut. Eine Familienfeier“.
Wenn kluge Kinder erwachsen werden, stellen sie erstaunt fest, welche Zumutung sie für ihre Eltern sein konnten. Einerseits. Andererseits erkennen sie, mit wie viel Geduld und Liebe sie trotz allem erzogen worden sind, zumindest im Idealfall einer intakten Familie. Und im Idealfall geschieht noch etwas anderes, Jahre später: Die großgewordenen Kinder entschuldigen sich für ihr Verhalten – so wie Christian, der es bedauert, 2001 so besoffen gewesen zu sein, dass er beim Fest-Fondue schon im Bett lag. Oder Papa provozierte, obwohl der schon wütend war. Von Enttäuschungen und Schmerzen, die man seinen Eltern zugefügt hat, berichten auch die anderen fünf Mitglieder des Citizen-Kane-Kollektivs – in einem chorischen Prolog, der die Melodie des Abends anschlägt: Er ist auf Verständnis und Versöhnung gestimmt.
Blut ist dicker als Wasser, sagt der Volksmund. Metaphorisch meint das: familiäre Bindungen prägen einen zeitlebens. Diesem Sachverhalt geht das Kollektiv in seinem neuen Projekt „Dickes Blut“ nach und spielt dabei mit einer naheliegenden Assoziation: auch dicke Luft zirkuliert im Familienkreis, bei aller Zuneigung, die man füreinander spürt. Befangenheiten gab und gibt es bis heute, weshalb – der Clou des Abends – die autobiografischen Recherchen cross-familiär stattfanden: Die Kinder tauschten ihre Eltern; nicht Christian (Müller) befragte seinen Vater und seine Mutter, sondern Ida (Liliom). Idas Eltern wiederum befragte Nikita (Gorbunov) und so weiter mit heiteren Tauschgeschäften, deren Resultate als Video-Interviews über Leinwände laufen.
Die „Familienfeier“ findet im Naturfreundehaus Steinbergle statt: Festlich gedeckte Tische und Theatergäste, die tafeln – und dazwischen die Performer, die weiterspinnen, was in den Interviews angetippt wurde: familiäre Streitkultur, unterdrückte Familiengeheimnisse, das Altern der Eltern, deren Tod. Manchmal gehen die Kollektivisten dafür ins Freie und singen durchs geschlossene Fenster, etwa bei der Erinnerung ans heimische Weihnachtsritual: „Jauchzet, frohlocket, rühmet den Tag“, nicht durchweg sauber intoniert, aber hübsch ironisch mit Samtweste und Halskrause, als wär’s der Thomaner-Chor. Auch wenn hier niemand auf Abrechnung mit den Alten aus ist, ist das Festgeschenk, mit dem Christian jetzt Ida beglückt, eine selbstgebastelte ingeniöse Unter-den-Teppich-Kehrmaschine: Dass ihr ungarischer Künstlervater bei den schwäbischen Schwiegereltern nicht gelitten war, wurde standhaft beschwiegen.
Es sind Alltagsgeschichten, die Citizen Kane in seinem Genre-Mix aufruft. Sie wirken als Impulsgeber: Vom „Dicken Blut“ auf die Spur gesetzt, verknüpfen die Gäste das Gehörte und Gesehene mit eigenen Erinnerungen, Erfahrungen, Empfindungen. Im Kopf geht die Performance weiter. Und im Steinbergle mündet sie in eine Rave-Soul-Funk-Party, zu der jede Frau, jeder Mann und alles dazwischen superinklusiv eingeladen sind. Vom Hippiegeist beseelt, schafft das seit zehn Jahren bestehende Team um Christian Müller abermals einen Ort und eine Atmosphäre voller Diskurs, Vergnügen, Inklusion. Das eine schließt das andere nicht aus, sondern ergänzt es. Genau diese Verknüpfung ist es, die immer wieder das Singuläre dieser Theaterwerkstatt verbürgt. Unsere Autostadt braucht das Citizen-Kane-Kollektiv! Es darf nicht unter die Räder kommen, auch nicht in der aktuellen Spardebatte.
Aufführungen im Steinbergle am 6. und 14. Dezember. Tickets unter www.citizenkane.de