Man kann es sich gut vorstellen, wie groß die Augen des kleinen Karls regelmäßig wurden, wenn wieder eine der riesigen schwarzen Lokomotiven zischend und dampfend auf dem Bahnsteig einfuhr. „Die Lokführer lehnten sich bei schönem Wetter immer lässig aus dem Fenster ihres Führerhauses“, erinnert sich Karl Isele, wenn er zurück an seine Kindertage in Südbaden denkt. „Coole Typen, würde man heute sagen.“
Aus solchen Erinnerungen entstehen Leidenschaften. Jedenfalls die des heute 76-Jährigen aus Merzhausen bei Freiburg. Der Vater und beide Großväter waren Eisenbahner. Lokführer, wie er es sich einst als Kind erträumt hatte, wurde Isele trotzdem nicht. „Meine Leidenschaft hat sich stattdessen zur Modelleisenbahn hin entwickelt“, sagt er. Als Eisenbahnerkind hatte er auch miterlebt, wie hart die Arbeit in den Dampflokomotiven war.
Bahnen mit unterschiedlichen Spurbreiten und Herstellern
Isele ist einer der Mitorganisatoren der Spielzeugeisenbahn-Schau, die am Wochenende im Häussler-Bürgerforum zu bestaunen war. Die Veranstaltung, die die Eisenbahn-Abteilung der Sport- und Kulturgemeinschaft Stuttgart Max Eyth-See (SKG) jährlich im Advent präsentiert, hat auch dieses Mal Hunderte große und kleine Eisenbahn-Liebhaber nach Stuttgart-Vaihingen gelockt.
Unter dem Titel „Alte Spieleisenbahnen in Betrieb“ ist die Schau zugleich ein Stelldichein von Sammlern aus ganz Deutschland. „Spieleisenbahnen“ deshalb, weil es sich bei den Bahnen unterschiedlichster Spurbreiten und Hersteller im Wortsinn nicht nur um Modellbahnen handelt. Denn nicht jede Lok und jeder Wagen, der hier zu bestaunen ist, hat es tatsächlich auch „in groß“ gegeben.
Iseles Herz schlägt ganz besonders heftig für englische Eisenbahnen in Spurbreite 0, also Großspielbahnen mit 32 Millimetern Gleisbreite. „Schon mit sechs Jahren habe ich eine solche Bahn geschenkt bekommen“, erzählt er. Der Clou: Jahrzehnte später habe er die gleiche Startpackung von Märklin aus den 50er-Jahren noch einmal bei einem Stuttgarter Händler gefunden. „Aus emotionalen Gründen ist das bis heute mein größter Schatz“, sagt er. Die Herstellung von Bahnen mit Spurbreite 0 habe Märklin dann kurz darauf aufgegeben, was die Beschaffung weiterer Teile zunächst erschwerte.
Weil es kaum etwas Vergleichbares zur Eisenbahnabteilung der SKG gibt, sind in dem Stuttgarter Verein Spielzeugeisenbahn-Enthusiasten aus ganz Baden-Württemberg organisiert. Ihre alljährlich durchgeführte Schau hat sich in diesem Jahr über eine Fläche von mehr als 700 Quadratmetern erstreckt. Zu sehen waren seltene Eisenbahnen und Kulissen aus den Jahren 1895 bis etwa Mitte der 1960er-Jahre.
Raritäten aus den 1930er Jahren
Raritäten sind auch Iseles Echt-Dampf-Loks der englischen Firma Bassett-Lowke aus den 1930er-Jahren. Sie werden mit Spiritus beheizt und mittels Dampfkraft angetrieben. „Im Optimalfall kann man damit eine halbe Stunde lang fahren“, erklärt er. 80 bis 90 Lokomotiven, die er meist auf Auktionen ersteigert, nennt der Sammler sein Eigen. Dazu kommen rund 400 Wagen aller Art.
„Ich bin aber immer noch mehr Spieler als Sammler“, betont Isele. Seine Raritäten zeigt er öffentlich gemeinsam in einer Gruppe mit drei anderen Spurbreite-0-Sammlern etwa fünf Mal im Jahr. Strom, Dampf und Uhrwerk bilden die Antriebsarten ihrer Lokomotiven.
Die Schau lockt Freunde und Sammler aus ganz Baden-Württemberg an. Foto: Ferdinando Iannone
Die größte Überraschung für Kenner dürfte am Wochenende im Häussler-Bürgerforum die Fahrt eines Märklin Rocket-Zugs aus dem Jahr 1902 gewesen sein. „Davon“, so erklärt SKG-Mitglied Lüder Hugendubel, „sind weltweit nur fünf Exemplare bekannt und nur einer fährt.“ Hagen von Ortloff beschreibt in einer Folge seiner bekannten SWR-Fernsehserie „Eisenbahnromantik“, dass in den 1980er-Jahren eine Rocket-Modell für rund 100 000 Mark seinen Besitzer gewechselt hatte.
Im Original war der Rocket eine frühe Dampflok, die George Stephenson 1829 in England hergestellt hatte. Wie der echte Rocket ist auch das Modell in Spurbreite 1 dampfbetrieben. Wie einst beim kleinen Karl am Bahnhof wurden am Wochenende im Vaihinger Bürgerforum manche Augen ziemlich groß, als sich der Zug zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder in Gang setzte.